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Christian Brückner las „Die Toten“ aus den „Dubliners“ von James Joyce im Bilderhaus

Gebannt lauschte das Publikum Christian Brückner Freitagabend im Gschwender Bilderhaus. Er las das Kapitel „Die Toten“ aus den „Dubliners“ von James Joyce.

Mittwoch, 23. Februar 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 1 Sekunden Lesedauer

LITERATUR (ww). Sein Vortrag war Rolf Kuhn gewidmet, Gschwender Wirtshauslegende vom „Ochsen“ und Mitbegründer der dortigen Kulturinitiative. Brückner, vor allem bekannt als deutsche Stimme Robert de Niros, faszinierte das Publikum mit seinem perfekten Vortrag. Dass dies in solcher Perfektion gelang, gründet sicher in seiner großen Erfahrung als Schauspieler und Synchronsprecher. Aber auch seine unverwechselbare Stimme trägt ein gut Teil dazu bei. Dass gesprochene Literatur mehr Dimensionen umfasst, als das „nur“ geschriebene Wort vermitteln kann, wurde am Freitagabend im Gschwender Bilderhaus eindrucksvoll belegt. Ohne Unterbrechung vermochte Brückner zwei Stunden lang, die irischen Gestalten samt ihrer ausgeprägten Charaktereigenschaften in unvergesslicher Weise zum Leben zu erwecken.
„Die Toten“ aus den „Dubliners“-Erzählungen wird noch Joyce’ Frühwerk zugeordnet. Als verständlicher angesehen als andre seiner Werke, schildert er darin alltägliche Abläufe eines irisch-​bürgerlichen Lebens. Abwechslung und Höhepunkte sind veranstaltete Bälle, die der Eintönigkeit etwas Farbe verleihen. Doch unterm vordergründig oberflächlichen Geschehen laufen parallel emotionale Geschichten ab, welche die scheinbar ruhig dahinlebenden Protagonisten aus der gewohnten Bahn werfen.
Da ist Gabriel, der zu diesem Ereignis gemeinsam mit Gattin Gretta seine Tanten Kate und Julia besucht. Schon zu Beginn wird die Stimmung nach einer Unterhaltung mit dem Dienstmädchen Lily gedrückter, die glatte Oberfläche weist erste Kratzer auf. Brückners Stimme erfasst kleinste Nuancen, kaum merkliche Stimmanhebungen oder –senkungen geben den Wörtern Bedeutung, vermitteln Stimmungen und erlebbare Gefühle. So erfordert es durchgängig konzentriertes Zuhören, damit diese über den reinen Text hinausreichenden Botschaften verstanden werden. Brückner zwingt zur Konzentration — und schafft zum Ausgleich großartige Hörerlebnisse. Hören als flüchtige Kommunikationsform einer Lesung hat natürlich ihre Tücken — ist der Faden gerissen, fällt der Anschluss schwer.
Nacheinander treten immer mehr Figuren auf, die Gespräche handeln von Nichtigkeiten oder so genannten Sinnfragen des Lebens. Das Klavierspiel Mary James provoziert Fragen über die Musik hinaus und verschiedene Sänger verschiedener Zeiten werden quasi benotet.
Brückners Lesestil wird diesen unaufgeregt wirkenden Diskussionen gerecht und schärft den Blick für die sich ändernde Befindlichkeit Gabriels, der Hauptfigur der literarischen Vorlage. Ganz nebenbei tritt Grettas Verhalten immer mehr in den Vordergrund; ihre offensichtlich melancholische Stimmung wirkt auf den Gatten zurück. Brückner schafft es, diese sich abzeichnende Stimmungsänderung fühlbar zu machen, lässt die entsprechenden Gefühlsregungen verständlich erscheinen. So erklärt sich fast Gabriels Eifersucht auf einen toten früheren Geliebten seiner Frau — in Brückners Vortrag wird das eigentlich Unverständliche als nahezu zwangsweise Folge unerlebten Lebens „irgendwie“ doch verständlich. Brückners Stil und das Timbre seiner Stimme sind idealer Nährboden für die melancholische Grundstimmung, die die ganze Geschichte von Leben, Tod und subjektiv erlebtem Scheitern durchzieht.
Fast schon beunruhigend die technische Perfektion des Vortrags. Ohne den geringsten Fehler zwei Stunden zu lesen, dabei noch mit feinsten Abstufungen zu arbeiten, beweist nachdrücklich, dass Lesen eine Kunstform sein kann. Dies allerdings erfordert außerordentliche Fähigkeiten. Christian Brückner ist ein solcher Künstler — er hat sie alle.

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