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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Gmünder Eisenbahngeschichte(n), Teil 2: Wohin mit der Trasse? /​Jubelnde Bürger im modern werdenden Gmünd begrüßen Baubeschluss der Landesregierung

Von den ersten Absichtserklärungen des Gmünder Eisenbahnvereins und der Regierung von Württemberg für den Bau der Remsbahn bis zum tatsächlichen ersten Spatenstich war es noch ein langer und mühsamer Weg. Bei der Lektüre der zeitgenössischen Zeitungsberichte erinnert aus heutiger Sicht doch viel an das Hoffen und Bangen rund um die aktuellen Jahrhundertplanungen Tunnel und Stadtumbau. Von Heino Schütte

Donnerstag, 03. Februar 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
5 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND. 1835 hatten fortschrittliche Bürger und Beamte bei einer Versammlung im „Adler“ einen Eisenbahn-​Verein gegründet. Erst 1858 erfolgte der Baubeschluss für die Remsbahn. Dazwischen lag eine Zeitspanne mit größter Furcht der Gmünder und auch der Mögglinger, Böbinger, Lorcher usw., das Remstal könnte an der stürmischen technischen Entwicklung der Eisenbahn nicht teilhaben. Denn: Die damalige Landesregierung favorisierte für die erste Ausbauperiode der da kommenden Fernverbindungen eine Strecke Cannstatt-​Göppingen-​Geislingen-​Ulm.
Nebenbei ganz interessant: Seinerzeit dachte gewiss noch niemand an Stuttgart 21, denn Cannstatt war die eigentliche Drehscheibe des Bahnverkehrs. Das erste Stuttgarter Bahnhöfle stand auch ganz nah am Neuen Schloss, praktisch in der Mitte der Königsstraße, war daher eher eine Stichverbindung von Cannstatt in die königliche Metropole hinein.
Zurück ins Remstal und nach Gmünd. Was war das für ein kurioser Zeitgeist und eine Aufregung vor knapp 200 Jahren, als sich mit der ersten dampfbetriebenen Stahlrossfahrt zwischen Nürnberg und Fürth im Postkutschen-​Land eine gewaltige Zeitenwende ankündigte. Für die ehemalige Freie Reichsstadt Gmünd, die nun unter württembergischer Herrschaft stand, wartete in den folgenden Jahren der größte Umbau aller Zeiten. Hand aufs Herz: Das aktuell so heiß diskutierte Gamundia-​Projekt wirkt angesichts der damaligen Dimension der Veränderungen nur wie ein Klacks. Neben dem Herannahen der Eisenbahn vermeldete in jenen Tagen die Rems-​Zeitung (damals firmierte sie noch unter dem Titel „Der Bote vom Remstal /​Amts– und Intelligenz-​Blatt für die Oberamts-​Bezirke Gmünd und Welzheim“ noch andere sensationelle Überlegungen, Fortschritte und Entwicklungen. Eine Sache sticht im Zusammenhang mit den Trassenüberlegungen für die Eisenbahn-​Vision besonders ins Auge des Chronisten und tut heute dem Nostalgiker doch ziemlich weh: Redakteurs-​Kollegen sind im „Intelligenzblatt“ offenbar in einen solchen Fortschritts-​Koller verfallen, dass sie für einen Abbruch der historischen Stadtbefestigung plädieren. Weg mit der alten Stadtmauer! Denn sie erfülle ja keinen Zweck mehr und stehe doch nur im Wege des Fortschritts.
Neue Landesverteidigung benötigte keine alte Stadtmauern mehr
Im Oktober 1858 beschrieb der Schriftleiter, wie sich die Stadt „auf wohlfeile Art“ der Verantwortung für die Zukunft des Bahnbaus und des Stadtumbaus stellen könnte: Komplettabbruch der Mauer, Zwinger und fast aller 26 Tor– und Wehrtürme. Die guten und mächtigen Steinquader, die seit Jahrhunderten Wind, Wetter und Feinden getrotzt haben, wurden als günstiger Steinbruch beschrieben, um die vielen nun anstehenden Hochbauten bewältigen zu können. Die Gmünder Heimatzeitung zeigte damals allenfalls Gnade angesichts des Schmiedturms, dessen Turmuhr noch von praktischer Bedeutung sei und daher dieser Turm zunächst noch erhaltenswert erscheint. Man muss wissen: Die Doktrin und Strategien des in der Stadt im Dominikaner-​Kloster (Prediger) kasernierten württembergischen Militärs gingen ja auch nicht mehr von einer einzelnen Stadtverteidigung, sondern im Krisenfall von der Landesverteidigung aus. Die alten Stadtmauerringe um fast jede Kommune waren plötzlich völlig sinnlose Bauten, konnten einer modernen Artillerie, wie sie fortan im Schießtal bei Gmünd einen zentralen württembergischen Schießplatz auf riesige Distanzen fand, eh nicht widerstehen. Das Königreich Württemberg setzte vielmehr auf den Bau von einzelnen Landesfestungen rund um die Residenzstadt. Grundprinzip bildeten hierbei die Anlagen, die Napoleon und seine Konstrukteure wie der berühmte Marshall und Ingenieur Vauban als Modell festgelegt hatten: Mächtige Mauern mit extrem tiefen Spitzgräben, die dafür sorgten, dass allenfalls die Mauerkronen Kanonentreffer aushalten mussten, die Fundamente jedoch kaum unter direkten Beschuss kamen. Die jetzige Gmünder Grabenallee mit dem extrem und künstlich tief gelegten Josefsbach vor dem mittelalterlichen westlichen Stadtmauerzwinger könnte durchaus als Vorgänger dieser Konstruktionen bezeichnet werden. Zum Fortschritt in Gmünd kam in den Eisenbahn-​Gründerjahren auch der Bau der ersten Gasfabrik auf dem Gelände der heutigen Stadtwerke hinzu. In der Zeitung appellierte der Gasfabrikant mehrfach an die Bürger der nordöstlichen Altstadt: Man möge doch bitte endlich die vielen Misthäufen entfernen, welche dort dem Einzug der neuen Technologie für Straßenbeleuchtung und später auch Motorenantriebe im Wege standen.
Misthäufen standen der Zukunftstechnologie im Weg
Zu den ersten kritischen Gaskunden gehörte das Spital zum Heiligen Geist. Bei Besichtigungsfahrten– bzw. Geruchsproben stellte die Krankenhausleitung sicher, dass die Sache mit den Gaslampen ungefährlich ist und vor allem kein Patient belästigt oder gar dessen Genesung beeinträchtigt werde.
Auf Landesebene wurde währenddessen um die Trassenführung der Remsbahn gerungen, die da in einer zweiten großen Bauperiode der Königlich Württembergischen Staatsbahn kommen sollte. Neidisch blickten die Gmünder nach Göppingen, Geislingen und Ulm, wo schon um 1850 die ersten Züge auf der heutigen ICE-​Strecke Stuttgart-​München rollten. Somit hatten die Gmünder und ihre Nachbarn zunächst leider den Anschluss verpasst. Die starke Lobby der Geschäftsleute, Bauern und Handelsvertreter aus Ulm hatte sich durchgesetzt.
Doch dann bahnte sich Hilfe fürs Remsbahn-​Vorhaben aus dem Nachbarland Bayern an. Die Eisenbahnbauer hatten Nördlingen als wichtigen Knoten für ihre Westachse auserkoren. Das passte prima zur zweiten Stufe des Ausbaus der württembergischen Staatseisenbahn. Jetzt kam das Projekt durchs Remstal so richtig ins Rollen. Unterwegs gab es in den Interessenskonflikten zwischen Württemberg und Bayern sowie im Zusammenhang mit dem Standesdenken in einigen Regionen allerdings noch eine komplizierte Regelung, die sich in einem Staatsvertrag niederschlug. Der wiederum bremste den Bahnbau in Ostwürttemberg sehr, insbesondere die seinerzeit schon anvisierte Verbindung mit dem „Klepperle“ zwischen Rems– und Filstal. Den Württembergern wurde eine Direktanknüpfung von der Remsbahn an das Ulmer Gleis über viele Jahre hinaus untersagt, um diese Linie, die dann auch bis an den Bodensee führen sollte, wirtschaftlich nicht zu schwächen. Das beflügelte jedoch umso mehr die Achse Cannstatt-​Nördlingen via Gmünd.
Jetzt ging’s aber richtig los mit den kommunalpolitischen Debatten und gewiss auch mit den Streitereien an den vielen Stammtischen in Gmünd. Die Glaubensfragen: Wo bauen wir den Bahnhof und wie und wo ziehen wir den Schienenstrang durch die damals schon enge Bebauung der Stadt.
Zwei aus heutiger Sicht höchst mutige Trassenplanungen wurden von den Ingenieuren durchgespielt. Die Bahnlinie sollte aus Richtung Cannstatt im Westen zunächst ungefähr der Linie Schwerzerallee folgen. Die eine Trasse war dann in Richtung Stadtgarten vorgesehen, sollte dann auf der Remsstraße in die Innenstadt umrunden dann interessanterweise ziemlich genau dem Trogbau des jetzigen Tunnelbaus folgen und weiter über die Buchwiesen nach Hussenhofen streben. Die zweite Trasse wäre von St. Katharina in einem Südbogen über das Gelände der alten PH bis zur Paradiesstraße geführt worden, wo offenbar sogar das Gasthaus „Hasen“ hätte abgerissen werden müssen. Dann hätten die Eisenbahnbauer knapp unterhalb des Königsturms und zwischen Königsturmstraße und Rinderbacher Gasse hindurch die Bresche geschlagen, um dann über die Buchstraße in die damals unbebauten Buchwiesen zu steuern.
Jede Menge Häuser wären also den Varianten zum Opfer gefallen. Gmünd hätte heute eine völlig andere Stadtbau– und Verkehrsstruktur, wäre das Wirklichkeit geworden.
Neue Orientierung der Stadtentwicklung durch Bahnhof
Die „Tunneltrog-​Trasse“ fand eine heute kurios anzusehende Kritik: Heftig gewarnt wurde in der öffentlichen Diskussion davor, dass die Bahnlinie dann die Stadt vom Leonhardsfriedhof abgeschnitten hätte. Bei bis zu drei Bestattungsterminen pro Tag wäre der gestresste Stadtpfarrer wohl zu häufig an verschlossenen Bahnschranken gestanden und hätte die Trauergesellschaften auf unwürdige Weise warten lassen.
Schließlich wurde eine dritte und damit die wohl zukunftsfähigste Trasse ins Spiel gebracht: Weiträumige Umfahrung des Stadtbereich im Norden und jenseits der Rems plus Bahnhofsstandort unterhalb des St. Salvator und damit auf einer großen Entwicklungsfläche weit außerhalb der Stadt. Der Stadtentwicklung wurde damit eine völlig neue Blickrichtung auf der Landkarte vorgegeben.
Ende Mai 1858: Ganz Gmünd schaute dem Baubeschluss der Landesregierung und der Abgeordnetenkammer in Stuttgart entgegen. An der Post auf dem Marktplatz wurde mit allerhöchster Spannung und Vorfreude die Ankunft der Depesche aus dem fernen Stuttgart erwartet. Dann die erlösende Nachricht, und Riesenjubel brach auf Marktplatz los.
Ganz Gmünd war beim Baubeschluss aus dem Häuschen
Lassen wir einfach den Zeitungschronisten von damals zu Wort kommen, denn es war für die Gmünder offenkundig eine gewaltige Gefühlswallung des Glücks: „Gmünd den 27 Mai: Noch nie sah man seit Jahren abends eine solche Menschenmasse vor dem Postgebäude versammelt als gestern und heute. Doch diese wollte ja nichts Anderes, als die Nachricht vernehmen, welche ihr der Schwäbische Merkur über die für unsere Gegend so hochwichtige Kammerberatung über die Eisenbahnfrage bringen sollte. Waren aber gestern schon alle Gemüter aufs Froheste gestimmt über die günstigen Anträge der volkswirtschaftlichen Kommission, so erscholl heute heller Jubel über den Ausgang der Kammerverhandlungen über die fast einmüthige Abstimmung der Kammer der Abgeordneten zugunsten der Remsthalbewohner. Das frohe Ereignis wurde ganz kurz nach Ankunft der Post von der Redaktion des Remsthalboten (Rems-​Zeitung) der ganzen Einwohnerschaft durch Extrablätter verkündet und überall sah man nur heitere fröhliche Gesichter. Eine solche Botschaft ist auch ganz geeignet, in einer Gegend, welche bisher etwas stiefmütterlich behandelt wurde, eine allgemeine frohe Stimmung hervorzurufen, denn für das Remstal entsteht ein neues Zeitalter.“

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