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Dürrenmatt light von der Badischen Landesbühne: „Der Besuch der alten Dame“ im Gmünder Stadtgarten

Wieder einmal fand „der Besuch der alten Dame“ auf den Brettern des Stadtgartens statt, diesmal kam sie aus Bruchsal. Nur vier Tage nach der Premiere wagte sich die Badische Landesbühne auf Tournee, um von Gerechtigkeit und deren Preis zu künden, das Komische mit dem Tragischen zu verbinden und schließlich die Frage nach der Korrumpierbarkeit des Menschen zu stellen.

Mittwoch, 09. Februar 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 33 Sekunden Lesedauer

THEATER (wil). Den Güllenern bringt sie eine Milliarde, den Gmündern brachte sie eine Light-​Version von Dürrenmatts kraftvollem Stück vor einem langweiligen Bühnenbild und mit einer emotional überforderten Titelfigur. Auch sonst war das Ensemble stark unterbesetzt, Roby und Toby, die beiden Gewalttäter auf Seiten des Bösen, fehlten ebenso wie Ills Kinder, welche die Familienbande verkörpert hätten. Dafür wurden Zitate von Nietzsche und Sartre eingestreut und eine Schlussbelehrung angehängt, die wohl von der Kreativität der Regisseurin zeugen sollten. Natürlich gab es Gags und die intendierten Lacher des überwiegend jungen Publikums, natürlich zeigten die beiden meineidigen Kastraten Koby und Loby mit ihren grotesken Auftritten die gewünschte Wirkung — aber all dies war und blieb oberflächlich.
Claire Zachanassian (Ursula Schucht), die in ihrer perfiden Bösartigkeit außerhalb der Gesellschaft steht und sich dank ihres unermesslichen Reichtums dies auch leisten kann, blieb zu farblos trotz ihres extravaganten Outfits und ließ die nötigen Stimmungen vermissen. Gerade sie sollte doch die lobhudelnden Lügen entlarven, die christlichen Werte — beim heiligen Sakrament der Ehe angefangen — ad absurdum führen, ihre eiskalt ausgelebte Macht demonstrieren, die Bittsteller kalt abweisen. Nichts von alledem, Ursula Schucht bleibt eine unwandelbare Maske, aufgetakelt und schrill, gleichförmig unnahbar, ohne zu locken und zurückzustoßen. Dadurch fehlt ihr das Menschenartige, das sie zu einer von uns macht, aber zu einer, die mit anderen spielt und sich keine Grenzen setzen lässt.
Und sie war nicht die einzige Enttäuschung in dieser platt und plump angelegten Inszenierung. Stefan Holm als Lehrer wirkte wie eine Parodie seiner selbst. Keine Spur des verzweifelten Aufrechten, der sich doch noch gegen das Unvermeidliche stemmen will. Er war stets dem gemischten Chor näher als der Humanität. Auch Anke Siefken war als einzige Angehörige Ills mit ihrer Rolle überfordert. Eigentlich ist sie doch durchgängig die treue Ehefrau, die nie gelernt hat, selbst zu denken und folglich von den Ereignissen überrollt wird. Mangels der Kinder sollte sie auch deren Rollen inhaltlich verkörpern, und so mutierte sie zur Gattin a la Tatjana Gsell mit dem Verhalten von Dolly Buster.
Überzeugen konnte vor allem Hannes Höchsmann als Alfred Ill. Feinfühlig zeigte er im Lauf des Stückes seine gewachsene Größe, wandelte sich vom einfachen Krämer, der plötzlich der Hoffnungsträger geworden ist, zum kampfbereiten Gegner der ganzen Stadt. Er durchleidet tausend Tode, fürchtet um sein Leben, bis er bereit ist, die Realität anzuerkennen, heult nicht mit den Wölfen irgend ein geheucheltes Schuldbekenntnis und erlöst auch seine Mitmenschen nicht durch den erhofften Selbstmord. Er steht zu seiner Tat als etwas unabänderlichem, ist bereit, die Konsequenzen zu akzeptieren und wird dadurch stark, dass er nichts mehr tut. Glaubwürdig präsentierte sich auch Martin Brunnemann als Pfarrer, der seine Unfähigkeit, den Versuchungen zu widerstehen und Ill zu helfen, als wirklichen seelischen Zwiespalt spüren ließ.
Manfred Rieger, der Claires Butler spielte, erzeugte durch seine würdevolle Zurückhaltung das Flair, das nötig war, um die Scheinwelt der Zachanassian aufleben zu lassen. Mit seinem „Verhör“ bei der Ankunft gab er als ehemaliger Oberrichter Hofer der Gerechtigkeitsfarce die Basis, die das Stück bis zum Schluss trägt. Und als dann bei der Gemeindeversammlung im Saal des „Goldenen Apostel“ das Publikum im Peter-​Parler-​Saal angesprochen und in die Entscheidungssituation einbezogen wird, da kommt dann sogar in der Bruchsaler Inszenierung ein Hauch von Dürrenmatts Intention auf.
Als „tragische Komödie“ hat Dürrenmatt sein Stück bezeichnet, ein Spagat, der wohl nicht immer gelingt.

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