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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Gmünder Eisenbahngeschichte(n), Teil 3: Bau und Einweihung der Remsbahn /​Tagelanges Volksfest mit Böllerschüssen und Gesängen am Bahnhof

Die ganze Stadt war im Sommer 1861 aus dem Häuschen, denn es ging mit Volldampf und sogar mit Kanonendonner der Zukunft entgegen: Schier unbeschreibliche Jubelszenen spielten sich ab, als Mitte 1861 die ersten Dampfrösser durch Gmünd schnaubten. Von Heino Schütte

Mittwoch, 09. Februar 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
5 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND. Bereits im Mai 1858 hatte, wie wir im zweiten Teil unserer ausführlichen Serie zum Jubiläumsjahr „150 Jahre Remsbahn/​100 Jahre Klepperle“ aufzeigten, der Remsbahn-​Baubeschluss der Landesregierung nach Eintreffen der Eil-​Depesche aus der Residenzstadt auf auf dem Marktplatz einen wahren Freudentaumel ausgelöst. Doch nun ging’s ans Werk. In nur drei Jahren wurde der gesamte Schienenstrang zwischen dem wachsenden Eisenbahnknoten Cannstatt bis nach Wasseralfingen einschließlich eines ehrgeizigen Hochbauprogramms aus dem Boden gestampft: Vom kleinen Bahnwärterhäuschen mit Laternensignalen im Kilometerabstand bis hin zu großen repräsentativen Bahnhofsgebäuden wie in Gmünd.
Intensive Planungen und teils auch erhitzte Diskussionen über Trassen– und Bahnhofsplanungen waren vorausgegangen. Besonders in Gmünd, wo ja zunächst Standortalternativen für „G 61“ (so würde man vielleicht aus heutiger S– 21-​Sicht die umstrittene Bahnhofsplanung taufen) im Bereich Paradiesstraße und Remsstraße angepeilt waren. Also möglichst zentral zur Innenstadt gelegen. Doch die städteplanerische Weitsicht für den heutigen Standort unterhalb des St. Salvator siegte. Die Gmünder verschmerzten in ihrer Zukunftsbegeisterung für „G 61“ auch den Kahlschlag einer wunderschön anzusehenden Pappelallee, die einst von der Innenstadt in Richtung Taubental und St. Salvator führte.
Trassen– und Kanalbau entlang der Rems fast wie beim B 29-​Tunnel
Ein Heer von Eisenbahningenieuren und Bauarbeitern wurde teils aus dem Ausland verpflichtet. An der Spitze stand eine staatliche Eisenbahnkommission, die auch für die umfangreichen Grundstücksverhandlungen verantwortlich war. Oberingenieur und späterer Königlicher Baurat Georg Morlock ist als Hauptverantwortlicher fürs Remstal zu nennen. Ursprünglich gab es noch verwegene Trassenalternativen, die den Bereich Waiblingen außen vor lassen sollten, um vielmehr durch den Schurwald hindurch Rems– und Filstal miteinander zu verknüpfen. Sogar ein riesiger Eisenbahntunnel wurde hierfür in Erwägung gezogen, um den Höhenzug zu unterqueren. Doch bei den Gegenüberstellungen, die für die betroffenen Städten und Gemeinden auch zu einem Gezerre und zu einem Politikum wurden, empfahl Morlock alsbald die heutige Remsbahn-​Trasse.
Die folgende Bauphase brachte für die Stadt Schwäbisch Gmünd einen gewaltigen Stadtumbau. Die notwendigen Erdbewegungen für die Eisenbahn-​Nordumfahrung der Innenstadt dürften mindestens so spektakulär anzusehen gewesen sein wie heute die Trogbauteile des B29-​Tunnels. Wie beim neuzeitlichen Straßentunnel-​Bau. so wurde vor 150 Jahren auch schon beim Bahnbau ein neuer Remskanal notwendig. Zuvor schlängelte sich der Fluss beschaulich an der nördlichen Stadtmauer entlang. Die Mauer wurde abgerissen, um Platz für die Verkehrsmaßnahmen zu schaffen. Denn auch die Remsstraße bekam in jenen Tagen ihren heutigen Trassenverlauf. Die alte Wehrmauer, deren Anblick die Stadtväter den Reisenden auf der modernen Remsbahn nicht zumuten wollten, erwies sich als günstiger Steinbruch. Gewinnbringend konnte die Stadt die guten Steinquader an Häusle– und Fabrikbauer verscherbeln.
Auf der Nordseite der begradigten Rems wurde direkt mit dem Aushub aus dem neuen Remskanal der Bahnkörper aufgeschüttet. Ein wohlüberlegter Nebeneffekt: Der Hochwasserschutz für das Stadtgebiet konnte durch die Tieferlegung der Rems deutlich verbessert werden. Gedenktafeln in der Ledergasse und an der Herrgottsruhkapelle an der Aalener Straße erinnern bis heute an Hochwasserkatastrophen wie am 13. Mai 1827, bei denen der Nordteil der Innenstadt fast mannshoch unter Wasser gestanden war. Eine weitere große Errungenschaft im Zuge des Bahnbaus war die revolutionäre Kommunikationstechnik der Telegraphie: Die Oberleitung wurde mit dem Schienenstrang gleich mitgebaut und den Bahnstationen die Telegraphenämter angegliedert. Ein beruhigender Fortschritt, denn erstmals waren die Orte im Remstal für eine schnelle Kommunikation miteinander verknüpft, um z.B. in Feuersnot Hilfe anzufordern. Dieses System bewährte sich nur wenige Jahre nach der Einweihung der Remsbahn, als die Gmünder Feuerwehr nach Aalen eilte, um dort erfolgreich einen Stadtbrand zu bekämpfen.
Im Mittelpunkt der Hochbaumaßnahmen stand der Bahnhofsbau, das neue Tor zur Welt, das die Königliche Württembergische Staatseisenbahn den Gmündern alsbald öffnen sollte. Ein Bahnhof war zu jener Zeit auch Versorgungs– und Betriebsstation für die Dampflokomotiven. Als Treibstoff benötigten sie enorme Mengen an Brennholz (später Kohle) und Wasser. Am Taubental wurde sogar ein kleines Sperrwerk mit einer Leitung zur Wasserstation am Bahnhof gebaut. Das Bahnhofgelände zeigt eine sauber aufeinander abgestimmte Anlage, deren Anblick jedem Modelleisenbahnbauer das Herz höher schlagen lässt: 1200 Meter war die Anlage lang und umfasste 4000 Meter Gleisanlagen. Die Durchgangstrasse wurde ergänzt durch zwei Überhol– und Ausweichgleise. Hinzu kamen zwei Lade– und vier Rangier– und Abstellgleise. Jeweils zwei Gleise führten in die Lok– und in die Wagenremise. Nicht zu vergessen der Güterschuppen und das Wasserwerk. Die Bahnstation Gmünd hatte also eine beachtliche Selbstständigkeit. Der Betrieb erforderte starken Personaleinsatz mit einem Führungsteam aus mehreren Vorständen, weil die technischen und verwaltungsmäßigen Verantwortungen geteilt werden mussten. Gut 100 Bahnbeamte dürften es gewesen sein, die der Gmünder Bahnhof in seiner frühen Phase beschäftigte. Unter– und Überführungen waren damals noch kein Thema: Man schritt einfach über die Gleise hinweg. Vorerst hatten Königlicher Baurat Morlock und sein Team die Remsbahn nur eingleisig gebaut. Doch den Grunderwerb und vor allem auch die Brückenbauten wurden bereits weitsichtig für einen zweigleisigen Ausbau dimensioniert, der aufgrund des wirtschaftlichen Erfolgs auch nicht lange auf sich warten ließ.
Doch zunächst fieberten die Gmünder dem Jahrtausendereignis der Einweihung ihrer Remsbahn entgegen. Die Spannung wuchs, wie ein Blick in die damaligen Ausgaben der Rems-​Zeitung zeigt. Da taucht beispielsweise am 27. Juni 1861 eine „Amtliche Bekanntmachung“ mit „eisenbahnpolizeilichen Vorschriften“ auf. Angekündigt werden die ersten Lokomotiv-​Probefahrten. Und angesichts der anrollenden, neuen Verkehrstechnik wird der Bevölkerung regelrecht respekteinflößend die zum „Schutz des Eisenbahnbetriebs bestehenden strafrechtlichen Bestimmungen“ vor Augen geführt. Besondere Obacht musste der Tierhaltung zuteil werden, denn vom Gockel bis hin zum Rindvieh durfte natürlich keine Kreatur dem fauchenden Dampfross im Wege stehen und die da kommenden Fahrpläne durcheinander wirbeln.
Offiziere und Bahnbeamte waren nicht nur vor Freude trunken
Die folgenden Wochen hindurch war dann in Gmünd nur noch Feststimmung angesagt. Die erste Lokomotive wurde halboffiziell am 29. Juni im Gmünder Bahnhof begrüßt. Der „Bote vom Remsthal“ (heute Rems-​Zeitung) berichtet von einem „Tag der Freude, wie wir uns eines solchen kaum erinnern können“. Noch vor der eigentlichen Bahneröffnung muss an jenem Tag bereits eine richtige Sause in der Güterhalle abgegangen sein. „Alle Stände, insbesondere auch die Gesamtheit des verehrlichen Offizierskorps“ seien vertreten gewesen. Böllersalven verkündeten die Ankunft des Zuges. Trotz strömenden Regens wird von „vielen tausend von Menschen mit entblößtem Haupte unter Musik und Gesang mit nicht endenden Hochrufen“ berichtet. Andeutungsweise dokumentiert die Schriftleitung des „Remsthalboten“, dass an diesem Tag auch die hohen Herrschaften nicht nur vor Freude trunken gewesen seien. Ein gewisser „Staatsrath von Sigel“ schwörte in nicht enden wollenden „Toasten“ die Gmünder auf eine neue Zeitrechnung ein und lobte „rühmend“, dass diese Bürger diesem neuen leichten Verkehrsmittel besonders würdig seien.
Am 18. Juli kam der eigentliche majestätische Eröffnungszug. Wieder Salutschüsse vom „Hohlenstein“ (Villa Buhl), erneut Volksfest mit Musik und Gesang. Der Chronist stellte fest: Die Innenstadt sei „wie ausgestorben“ gewesen, weil „alles, was zu laufen vermochte“ am Bahnhof und entlang der Bahntrasse versammelt war. Gezogen von der fahnengeschmückten Lokomotive namens „Nördlingen“ traf gegen 10 Uhr der Hofstaat aus Stuttgart in Gmünd ein, fuhr weiter nach Wasseralfingen, um gegen Abend den gleichen „Festzug“ durch Gmünd zu wiederholen. Der Freudentaumel ebbte tagelang nicht ab. Es brauchte angesichts der Pilgerströme der begeisterten Stadt– und Landbevölkerung noch eine ganze Weile, bis auf der Remsbahn einigermaßen der Alltag einkehren konnte.
Skeptisch betrachtete lediglich die Gmünder Zunft der Kutscher das neue Dampfross. Denn es revolutionierte das Transportgewerbe im Remstal.

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