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Struthofbauer Rudolf Wahl hat mit einem „Milchautomaten“ etwas Neues ausprobiert

Es gibt Suppe und Kaffee aus dem Automaten, Geldscheine, Fahrkarten und belegte Wecken. Warum, so fragte sich Landwirt Rudolf Wahl, sollte das nicht auch mit frischer Milch möglich sein.

Mittwoch, 13. April 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 47 Sekunden Lesedauer

ALFDORF (bt). Es waren wohl die 22 Cent, die den Ausschlag gaben. Diese irrsinnige Zeit vor eineinhalb Jahren, in der das Höfesterben ungeahnte Ausmaße annahm und protestierende Bauern ihre Felder mit Milch düngten. 22 Cent gab’s da für den Liter Milch. Fast das Doppelte wäre nötig, um wirklich Gewinn zu machen. Am meisten ärgerte sich Rudolf Wahl aber drüber, dass andere mit dieser 22 Cent-​Milch immer noch Geld machten: Selbst vermarkten müsste man das so mühsam Erarbeitete, wie früher, als die Kinder milchkannenschwenkend von dannen zogen. Blieb freilich die Frage, wer diese Milch wann verkaufen sollte und wie sie frisch und kühl und sauber gehalten werden könnte. Mechanische Milchausgabe war bereits bekannt; vor allem in der Schweiz machten Landwirte damit gute Erfahrungen. Die entsprechenden Apparate waren jedoch unverhältnismäßig teuer. Und so überlegte Wahl weiter; der „Milchautomat“ ließ ihn nicht los. Sein Bruder Frieder, ein Elektriker, erklärte ihm schließlich, dass er sich eine solche Konstruktion zutraue, und so wurde der Struthofbauer einer der ersten weit und breit, die auf die neue Form der Direktvermarktung setzten.
Dass er damit nicht das große Geld verdienen würde, war klar. Die 50 Cent, die er für den Liter verlangt, machen seinen Kohl nicht fett. Aber es ging ja auch ums Prinzip. Und darum, dass er es nett findet, ab und zu ein paar Worte mit Menschen zu wechseln, die sich und ihren Kindern bewusst machen, dass Milch nicht im Supermarktregal entsteht, die Lebensmittel als das wert schätzen, was der Name sagt, lebenbringend. Der Aufwand, gibt er zu, ist groß. Die Milch fließt direkt vom Euter seiner Kühe in den Tank, wo sie auf 3,7 Grad heruntergekühlt wird. An der Milchmaschine findet sich der Hinweis, dass Rohmilch vor dem Verzehr abgekocht werden sollte, um möglicherweise darin enthaltene Keime abzutöten. Einige Wahl-​Kunden machen das, andere verzichten darauf, weil sie den „puren“ Milchgeschmack mögen, der ihnen die Kindheit zurückbringt. Für seine Kundschaft hat Wahl einen Vorrat von — nach allen Regeln der Kunst und des Wirtschaftskontrolldienstes aufbereiteten — Milchflaschen angelegt; Stammkunden freilich bringen ihre eigenen Flaschen mit, einige haben gar die alte Milchkanne hervorgekramt, einfach weil’s Spaß macht. Um Fremde auf sein „Direkt vom Erzeuger“-Angebot aufmerksam zu machen, hat der 57-​Jährige aus Hartfaserplatten zwei Holzkühe gesägt, die von Petra Brezing bemalt wurden.
Weitaus länger, als sich irgend jemand erinnern kann, lebt die Familie Wahl von der Landwirtschaft. Mit 26 Jahren, vor über 30 Jahren also, gab Jungbauer Rudolf, dem’s allmählich zu eng wurde in Brech, den Hof der Familie auf, um zwischen Alfdorf und Pfahlbronn einen Aussiedlerhof zu gründen, den Struthof. Etwas anderes als diese Arbeit, konnte er sich nie vorstellen: „Ich hatte immer Freude an der Landwirtschaft.“ 90 Hektar bewirtschaftet der Meister seines Berufes, etwa eine Hälfte als Grünland, die andere als Ackerfläche. Mit 14 Kühen hat er sich damals selbstständig gemacht, heute sind es um die 65, und angefangen bei der Milchquote hat er so einige Veränderungen er– und überlebt. Mit dem in der Ausbildung Erarbeiteten gab er sich mit gutem Grund nicht zufrieden: Er hat immer versucht, Schritt zu halten, mit dem was die Zukunft bereit hielt – nur so kann ein Landwirt heute bestehen. Derzeit verwirklicht er mit zwei Kollegen aus Brech und einem Adelstetter eine 1,5 Millionen Euro teure Biogas-​Anlage direkt neben seinem Hof
. Sein Alltag freilich hat sich in all den Jahren kaum verändert. Sein Arbeitstag beginnt um 6 Uhr, wenn er die Kühe melkt, die sich im übrigen frei im Stall bewegen. Bis er dann Feierabend macht, was selten vor 21 Uhr der Fall ist, muss richtig rangeklotzt werden – und zwischendurch ist Zeit, dem Kalb mit den verkürzten Sehnen die Fesseln zu massieren. Auf die Idee, seinen Stundenlohn auszurechnen, ist er nie gekommen. Da müsste er wohl, wie die meisten Landwirte, verzweifeln. „Für dieses Leben muss man geboren sein“, sagt er. Ob seine achtjährige Tochter mal weitermacht, steht in den Sternen.

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