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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Die Rettungsaktion für das „Top-​Objekt“ der Denkmalpflege hat jetzt am St. Salvator begonnen

Weithin sichtbar ist seit gestern am Steilhang des Nepperberg hinter der St.-Salvator-Kirche ein „Bohrturm“ auf einem Raupenfahrzeug im Einsatz.

Donnerstag, 14. April 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND Spezialisten der Firma Geotechnik Südwest haben in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern etlicher Fakultäten mit der Grundlagenforschung für Rettung und Konservierung der bedrohten Sandsteinkunst am heiligen Berg der Gmünder begonnen.
Die Universität Stuttgart, das Landesamt für Denkmalpflege und eine ganze Reihe von weiteren Institutionen und Fachleuten aus dem Land haben sich jetzt zusammengetan, um das in Deutschland einzigartige historische Kunstwerk zu retten. Es geht insbesondere um die nahezu lebensgroße biblische Darstellung, die im 17. Jahrhundert in der Felsenkirche St. Salvator von Bildhauer Caspar Vogt (1582 — 1646) direkt aus einem Sandsteinmassiv geformt worden war.
„Für die Denkmalpflege in Baden-​Württemberg handelt es sich um ein Top-​Objekt von großer Bedeutung“, kam Landeskonservator Prof. Dr. Michael Goer angesichts der „Sandsteinkunst“ bereits bei der Präsentation des Forschungs– und Schutzprojekt ins Schwärmen. Das Werk wurde 1617 bis 1621 geschaffen. Die Skulpturen und die Reliefbilder im Hintergrund übten schon in den vergangenen Jahrhunderten eine enorme Anziehungskraft auf einen seinerzeit beachtlichen Pilgerstrom aus, der in Schwäbisch Gmünd in jenen Zeiten durchaus auch zu einem Wirtschaftsfaktor wurde.
Mönche führten Aufsicht über die geheimnisvolle Felsenkirche, ernteten reichlich Spendengelder und Votivgaben für erhörte Gebete und erfolgreiche Heilungen. Der Orden, so heißt es in den Überlieferungen, wurde dadurch sehr wohlhabend. Das dann auch der frommen Stadt insgesamt zugute kam. Neben Kreuzweg und heilsamen Quellen war es die Skulpturengruppe der so genannte Ölbergszene, die sozusagen als „lebendige 3-​D-​Darstellung“ die letzte Nacht von Jesus Christus im Kreise seiner Jünger mit den herannahenden Schergen und Verrätern dokumentiert. Kunsthistoriker sind von der enormen Dichte an Symbolik und Botschaften fasziniert. Ja, sie sehen ein Alleinstellungsmerkmal dieses Werkes in Deutschland. Theologen und Archäologen wollen nicht ausschließen, dass es sich bei den sakralen Höhlen am St. Salvator vielleicht sogar um eine der ältesten christlichen Versammlungsstätten in Süddeutschland handeln könnte.
Caspar Vogt und seine Helfer haben alle Figuren und Reliefdarstellungen aus einem riesigen Rohling der dortigen Felswand aus Sandstein herausgeschlagen und geformt und anschließend eine Kirche sozusagen drumherum gebaut. Dahinter befindet sich der naturgewachsene Berg. Dieser Umstand und weitere Umwelteinflüsse machen jedoch den Erhalt des filigranen Sandsteinwerks unheimlich schwierig. Deutlich schritt in den letzten Jahren der Verfall fort.
Der Stubensandstein beginnt
zu bröckeln und
entwickelt schwarze Krusten
Um die wertvolle Darstellung zu erhalten, entwickeln jetzt Wissenschaftler der Materialprüfungsanstalt (MPA) Otto-​Graf-​Institut der Universität Stuttgart Methoden für die Konservierung. Das Forschungsprojekt wird von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und der Denkmalpflege gefördert, beteiligt sind weitere Unternehmen, die zuständige Denkmalbehörde und vor allem natürlich die Katholischen Kirchengemeinde Schwäbisch Gmünd als Eigentümerin. Die Felsen der Kirche bestehen aus Stubensandstein des mittleren Keupers. Vor allem Feuchtigkeit, Salze und mikrobiologische Einflüsse setzen den empfindlichen, sandigen Oberflächen zu.
Sie beginnen zu bröckeln, zeigen schwarze Krusten. Aufgrund der natürlichen, hohen Bergfeuchte, die zudem jahreszeitlichen Schwankungen unterliegt, gibt es bis heute keine geeigneten Festigungsmittel und Konservierungsverfahren, die gefahrlos eingesetzt werden können. Hinzu kommen Temperaturschwankungen in den Felsenkapellen, die auch durch den regen Besucherstrom beeinflusst werden. Ein Austrocknen des Reliefs birgt das Risiko, dass es zu verstärkten und schnellen Materialverlusten kommt. Die Wissenschaftler der Uni Stuttgart erfassen jetzt gemeinsam mit den Projektpartnern die Schadenspotentiale aus klimatischen, hydrogeologischen, mikrobiologischen und nutzungsbedingten Belastungen.
Daraus soll eine Strategie für die dauerhafte Schutzbehandlung der Steinkunst entwickelt werden. Ziel des Forschungsprojekts ist über die Konservierung der Gmünder Felsenkapellen hinaus, dass die gewonnen Ergebnisse als Muster für die Konservierung ähnlicher Objekte aus dauerfeuchten Naturstein genutzt werden können. Zudem erarbeiten die Stuttgarter Wissenschaftler ein Überwachungs– und Maßnahmenkonzept, um die Wallfahrtskapelle auch in Zukunft zu erhalten. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die Einbindung des Eigentümers, der Nutzer, der Denkmalpflege und der Öffentlichkeit gelegt.
Die Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Restauratoren Waldstetten-​Wissgoldingen-​Stuttgart stehen gleichfalls hinter der Rettungsaktion, ebenso das Fachlabor für Konservierungsfragen der Denkmalpflege München und weitere Fachinstitute aus Stuttgart. Auf rund 360 000 Euro belaufen sich die Kosten für das Projekt, wobei ganz besonders eifrig der Salvator-​Freundeskreis unter der Schirmherrschaft von Diane Herzogin von Württemberg Spenden gesammelt hat — und auch weiterhin auf Freunde und Gönner angewiesen ist, um dieses wunderbare Erbe an sakraler und volksfrömmiger Gmünder Kunst nachfolgenden Generationen zu bewahren.
Die Bohrarbeiten kommen flott voran. Gestern konnten Dr. Jürgen Frick, Leiter Stabsabteilung Forschung und Entwicklung, von der MPA der Universität Stuttgart und Diplom-​Geologe Dieter Frey bereits aus einer ersten Bohrung Ton– und Gesteinskerne aus bis zu 18 Metern tiefe in Augenschein nehmen. Hierbei stieg die Hochachtung aus dem Blickwinkel der Wissenschaftler für die Leistungen von Bildhauer Caspar Vogt. „Das Steinmaterial aus der Ebene der Felskapellen ist ungeheuer bröselig. Es ist eine Meisterleistung, ja fast ein Rätsel, wie die Bildhauer damals solche filigrane Werke gestalten konnten.“ Die größte Überraschung für Diplom-​Geologe Dieter Frey: Das vermutete Grundwasser bzw. eine Quellwasserebene, die nach bisherigem Verdacht hangseitig gegen die Felskunst der Ölbergszene drückt und diese schädigt, konnte bislang noch nicht gefunden. Dies verstärkt für die Wissenschaftler eine erste Erkenntnis, dass doch andere Umwelteinflüsse, vor allem sogar die Atemluft er vielen Besucher, den Sandsteinfiguren und Reliefs zusetzt. Konsequenz wäre die Herstellung einer entsprechenden Raumluft-​Atmosphäre in den Felsenkapellen, um den Verfall des Sandstein zu stoppen.

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