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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Nächtliche Begegnung: Volker von Mallinckrodt fährt noch immer gegen Fremdenfeindlichkeit und für Noël Martin

Mitten in der Nacht blinkt’s wie von tausend bunten Lichtlein; Fähnchen wehen, es klingelt und bimmelt leise. Ein seltsames Gefährt, das da auf Gmünds Straßen unterwegs ist — und eine Geschichte, die erzählt werden will. Auch noch nach 15 Jahren.

Dienstag, 24. Mai 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 35 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Unter der Talisman-​Kollektion, den Wimpeln, Lichterketten, Werbetäfelchen, Autokennzeichen und Dutzenden foliengeschützter Zeitungsausschnitte ist dieser bunte Miniatur-​Rummel kaum als Fahrrad zu erkennen. Moment mal, das ist doch dieser Radler, Volker irgendwas, der damals immer nach Brandenburg gefahren ist, um daran zu erinnern, dass dort Mitte der 90er ein gerade Mann praktisch getötet wurde, nur weil er schwarz ist. Seit der Begegnung mit ihm auf der Klepperle-​Trasse sind bestimmt fünf Jahre vergangen. Das ist er doch, oder?
Und obwohl der Mann noch einen weiten Weg vor sich hat in dieser Nacht, lässt er sich gerne in ein Gespräch verwickeln. Er heißt Volker von Mallinckrodt, er ist 71 Jahre alt und er fährt noch immer mit dem Fahrrad nach Brandenburg, jedes Jahr. In den vergangenen neun Jahren hat er knapp 160 000 Kilometer zurückgelegt; davon 30 000 mit dem Rennrad, mit dem er einst Wettkämpfe bestritten hat, den Rest mit seinem Noël Martin gewidmeten Aktions-​Rad.
Noël Martin — so hieß, so heißt der englisch-​jamaikanische Bauunternehmer, der seit 1996, seit seinem 36. Lebensjahr, vom Nacken abwärts gelähmt ist, der lange Jahre sterben wollte und der so gerne noch einmal Jamaika sehen würde. Irgendwas an dieser Geschichte hat Mallinckrodt gepackt und nicht mehr losgelassen. Die Kerle, die einen Felsbrocken ins Auto des „Niggers“ geschleudert haben, sind längst wieder frei, und dieser verzweifelte Mann im Rollstuhl, damals Gast in Deutschland, hatte alles verloren. Volker von Mallinckrodt konnte das nicht vergessen; immer mehr hat er über den „Fall“ gelesen, es kam zu langen Telefonaten, und irgendwann hat er Noël Martins Probleme zu seinen eigenen gemacht. 2002 fuhr er zum ersten Mal mit dem Rad nach Mahlow, dem Ort des Geschehens, obwohl Noël Martin da schon längst wieder in Birmingham lebte. Er radelte gegen Fremdenfeindlichkeit an und um am durch einen Gedenkstein gekennzeichneten Tatort „ein Zeichen zu setzen“. Viel Ermutigung erfuhr er damals auf seinem langen Weg; Spenden aber gab es kaum. Und es kam und kommt zu Angriffen und Beschimpfungen. Von Mallinckrodt radelt trotzdem. Vermutlich ist der Eislinger längst der treueste Unterstützer den Martin hat. Er hat ihn besucht und mit ihm Weihnachten gefeiert und mittlerweile leistet er sich eine Auslands-​Flatrate, um Martin immer mal wieder durch die toten Stunden der Nacht begleiten und ihn nach Möglichkeit zum Lachen bringen zu können.
Wenig macht Volker von Mallinckrodt so viel Freude, wie durch die Nacht zu radeln; die Trasse zwischen Gmünd und Göppingen, so scheint es fast, ist sein eigentliches Daheim. Vielleicht ist es ja auch die Vorstellung, dass seinem Freund — nichts anderes sind die beiden mittlerweile – solches Glück verwehrt sind, die ihn nicht ruhen lassen: Auch Martin war einst begeisterter Radfahrer.
Volker von Mallinckrodt hat in München Malerei studiert, war dann als Kunststoffverarbeiter selbstständig, hat über seine Glasmalerei ein Patent entwickelt, das auf Interesse stieß – er liebt leuchtende Farben – und sich in seinen letzten Berufsjahren auf Glas– und Ölmalerei und auf seine Gedichte konzentriert. Wie sein Lehrer Xaver Fuhr hat er sich schon vor vielen Jahren „in Gmünd verliebt“. Hier ist er regelmäßig zu Gast, hier gibt es Familien, die ihm den Rücken stärken. Der Straßdorfer Eugen Stegmaier etwa macht ihm immer wieder Mut — und ein Vesper. Auch zu Martins Stiftung gibt es Kontakte. Bei Politikern, TV-​Sendern und Hilfsorganisationen fordert er hingegen weitgehend erfolglos Hilfe ein. Das kostet ihn fast sein ganzes Geld, zudem Zeit, und oft Zuversicht, die so viel mehr wert ist als jede Nacht ein Dach über dem Kopf zu haben. Nicht viele wollen sich erinnern. Einer tut’s in jedem Fall.

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