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Hajo Miller und seine Vorstellungen, wie Schule sein sollte

Ihm ist, als habe ihn sein gesamter beruflicher und persönlicher Werdegang an diesen Ort, in diese Zeit geführt: „Ich bin angekommen“, sagt der Schulleiter des Rosenstein– Gymnasiums, Johannes Josef Miller. Etwas Schöneres lässt sich kaum sagen über einen Arbeitsplatz.

Samstag, 24. März 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer


HEUBACH (bt). Der Oberstudiendirektor, höchste Stufe im Schuldienst, wurde Miller nicht in die Wiege gelegt und ist wohl nicht zuletzt auf die Arbeit des Quereinsteigers am Gymnasium in Herbrechtingen zurück zu führen, das er federführend von 18 zu 28 Klassen geführt und zum Reformgymnasium ausgebaut hat.
Der Waldstetter studierte in Tübingen Theologie, Klassische Philologie und Philosophie. Später kamen Diplome in Pädagogik und Theologie sowie eine therapeutische Ausbildung im Bereich Psychologie hinzu. Er war Hochschulseelsorger bei der Diözese Rottenburg-​Stuttgart, Religionslehrer an Gmünder Gymnasien; er hatte einen Lehrauftrag am Lehrerseminar in Stuttgart und war Leiter des Abendgymnasiums Ostwürttemberg in Aalen. Dass er „nicht nein sagen konnte“, als das Regierungspräsidium ihm die Stelle in Heubach anbot, erklärt Miller vor allem mit Besonderheiten des Rosenstein-​Gymnasiums, die mit seinem Vorgänger gewachsen sind. So werden die Heubacher an erster Stelle genannt, wenn die FAZ die erfolgreichsten Schulen ihrer Schreibwerkstatt auflistet — über zwei Dutzend Reportagen wurden bereits veröffentlicht. Dann ist da natürlich der Schulverein SaRose mit bis zu 50 Veranstaltungen, der sich vor allem als Bildungsinstitution versteht, die generationsübergreifend Interessierte inner– und außerhalb des Rosenstein-​Gymnasiums zusammenführt und Fahrten zu Konzert-​, Opern-​, Ballettaufführungen, oder auch Theaterbesuche zu Pflichtlektüren des Deutsch– oder Spanischunterrichts günstig anbieten kann. In diesem Zusammenhang wird Miller nicht müde, das „herausragende Engagement“ Dr. Helmut Rösslers zu preisen. Was Miller vorgefunden hat, wird ausgebaut, nach Kräften gefördert, vor allem aber Neues erarbeitet – hier die Wettbewerbe, dort die Arbeitsgemeinschaften, die neue Schulzeitung, die sich „Einblicke“ nennt, die Schulsozialarbeit. Oder auch die offene Ganztagesbetreuung, deren Start mit Millers Amtsantritt zusammenfiel – was das Ganze sicher nicht eben einfacher gemacht hat.
Etwas ganz besonderes sind die Stadtschreiberinnen, die sich auf die Suche nach Geschichten aus den Gemeinden der Verwaltungsgemeinschaft machen und auch das kommunale Geschehen verfolgen. Sechs Artikel sollen sie im Zeitraum eines Jahres verfassen, Publikationsforen sind die Gemeindeblätter und die Schulzeitschrift des Rosenstein-​Gymnasiums. Eine Art erweiterte Heimatkunde, eine die buchstäblich Schule machen könnte.
Möglich wird diese Vielfalt durch Delegation; dadurch, dass der neue Schulleiter die Stärken seiner Kolleginnen und Kollegen sieht und Verantwortung abgibt. Unter Personalentwicklung versteht er unter anderem, dass vielversprechende junge Talenten die Chance erhalten, an der Comburg, Kaderschmiede der Lehrerfortbildung, Potentiale auszubauen.
Wichtiges Thema ist derzeit die „Corporate Identity“ samt neu zu erstellendem Leitbild, also eine Zusammenstellung all dessen, was die Schule ausmacht und wofür sie steht. Alle am Schulleben Beteiligten wirken daran mit. So gibt es einen Logowettbewerb, der von den Schülern entschieden wird; ein paar Dutzend Beiträge sind eingegangen, zum Teil auf sehr hohem Niveau an Designerprogrammen entwickelt, wie Miller voller Stolz erzählt. In Herbrechtingen haben nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer T-​Shirts mit dem Schullogo spazieren getragen; durch solche Aktionen kann ein Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt werden, und das ist ein ganz zentrales Anliegen des Rektors. Die Schulgemeinschaft zu stärken kann auch heißen, in der Regel nur noch zwei Klassenarbeiten pro Woche zu schreiben, oder die Klausurtermine jeweils zum neuen Halbjahr bekannt zu geben, um so die Eltern einzubinden. Ebenso wichtig ist ihm „Bildung in umfassendem Sinn“, die Erziehung der jungen Leute zu mündigen, konfliktfähigen Staatsbürgern, die das Prinzip der Partizipation, der Teilnahme, verinnerlichen: „Auch deshalb gibt’s Schule.“ Dass er selbst, der Theologe, durchaus bereit ist, für eine humane Gesellschaft und sein christliches Menschenbild zu streiten, hat er immer wieder unter Beweis gestellt, wenn’s ums Kirchenvolkbegehren ging etwa, ums Parkhaus, um die Gedenktafel am Prediger. Aber auch als Anwalt der Asylbewerber, grundsätzlich derer, die nicht für sich selbst einstehen können.
Das jeder und jede eine reelle Chance verdient, die Wertschätzung aller am Schulleben Beteiligten, ist aus dem neuen Leitbild nicht wegzudenken: Niemand darf außen vor bleiben. Das heißt auch, dass der Schulleiter beispielsweise mit Schulwechslern in Kontakt bleibt und deren weiteren Werdegang im Auge behält. Dieses Interesse allein kann motivieren, ermutigen, bestätigen. Miller braucht die Nähe zu den Schülern; „Unterricht und Leidenschaft“ ist ein Wortpaar, das sein Berufsbild ausmacht.
„Politisch tätig“ sein will er ebenfalls. Als Bildungseinrichtung der VGW Rosenstein sei die Schule eng verbunden nicht nur mit Heubach, sondern auch mit Heuchlingen, Bartholomä, Mögglingen und Böbingen. Naturverbundenheit ist da Thema, das Schaffen von Identität, sich ins Gemeinswesen einzubringen. Auch deshalb seien die Stadtschreiberinnen so wichtig. Intensive Kooperation mit den Grundschulen versteht sich von selbst.
Der neunjährige Zug am Gymnasium, unter Umständen 2013 Thema, mache nur Sinn, wenn ein pädagogisches Konzept dahinter steht, sagt Johannes-​Josef Miller; grundsätzlich aber ist Reformpädagogik ein Thema am Rosenstein-​Gymnasium — der Marchtaler Plan, Montessori-​Pädagogik, auch das individuelle Lernen, die individuelle Unterstützung. Die Zeit ist reif dafür, meint Miller.
„Ich“ fällt selten in diesem Gespräch über Gegenwart und Zukunft des Heubacher Gymnasiums, „wir“ um so öfter. Er sei ein Teamplayer, sagt Miller und würdigt die Kollegen. Seinen Stellvertreter Bernhard Abele etwa, oder die Abteilungsleiter Dr. Rössler, der dem Schulverein vorsteht, sowie Konrad Sorg, der sich der Schulentwicklung widmet. Dann ist da Thomas Becker in den Naturwissenschaften, der sich federführend dem MINT-​EC-​Projekt widmet – ein von der Wirtschaft gefördertes Netzwerk mathematisch-​naturwissenschaftlicher Schulen Deutschlands, in das bundesweit nur 150 Schulen aufgenommen werden. Mit solchen Pfunden lässt sich wuchern: Miller zufolge soll dieser Bereich forciert werden; naturwissenschaftliche Wettbewerbe sind in Arbeit, zudem die Zusammenarbeit mit der Junior– und der Schüler-​Ingenieur-​Akademie, die Schülerinnen und Schüler für den Ingenieurberuf begeistern und ihnen den Weg in die Hochschule ebnen will. Diese Kooperation von Schule, Wirtschaft und Wissenschaft als fester Bestandteil des Schulalltags zeigt Wirkung; entsprechend froh ist man unterm Rosenstein, teilnehmen zu dürfen.
Ganz neu ist die Aussicht auf einen Austausch mit dem serbischen Elitegymnasium Novi Sad, das direkt an die Universität angeschlossen ist und eigentlich mindestens eine Nummer zu groß fürs kleine Heubach: Manchmal ist es einfach wichtig, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort zu sein. Dafür scheint Johannes Josef Miller ein Händchen zu haben.

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