Direkt zum Inhalt springen

Nachrichten Schwäbisch Gmünd

„Gmünd macht Kinderbetreuung“

„Gmünd macht Kinderbetreuung“ war am Montag die Soirée im Rathaus überschrieben. Referent und Diskussionspartner war Erik Flügge vom Sinus-​Institut aus Berlin. Er wirbelte u.a. mit seinen Milieustudien altes Kindergarten-​Bewusstsein durcheinander, warb für neue Dynamik und Flexibilität im Zeitalter von Migration und Multikulti.

Dienstag, 24. April 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 23 Sekunden Lesedauer


Die Stadtverwaltung hatte zusammen mit der Aktion Familie zu diesem Abend eingeladen, der viel Resonanz fand: Volles Haus im großen Rathaussaal, wo zunächst Erster Bürgermeister und zuständiger „Familien-​, Kinder– und Migrationsdezernent“ Dr. Joachim Bläse das Engagement der Aktion Familie für eine gute soziale Zukunft von Schwäbisch Gmünd sehr lobte: „Wir im Rathaus sind stolz auf diese Bewegung!“ Dann kam er aufs Thema zu sprechen. Zunächst mit eigenen Erinnerungen an seinen Kindergartenbesuch. Es sei die traditionelle Wegweisung gewesen, wenn es am Morgen hieß: „So, jetzt geht’s zur Tante in den Kindergarten.“ Die Zeiten hätten sich gewaltig gewandelt, wobei Dr. Bläse jedoch mit einem schmunzelnden Hinweis auch die Verdienste des traditionellen, meist kirchlich geprägten Kindergartenwesens sehr zu würdigen wusste: Denn aus ihm, dem Joachim, sei ja schließlich auch was geworden. Die Kommune habe nun sehr viel mehr Verantwortung übernommen. Zu meistern gelte es die Herausforderung, dass teils schon die Hälfte der Kita– und Kiga-​Kinder einen Migrationshintergrund besitze.
Mit hoher Geschwindigkeit in seinen sozialpädagogischen Betrachtungsweisen fegte dann Erik Flügge los. Die Basis seiner Aussagen bildete aufwändige Befragungen, Erfassungen von Gewohnheiten und Lebensführungen bei Milieustudien in Familien mit und auch ohne Migrationshintergrund. Vor allem wurde auch nach Werten und Tugenden gefragt, die in den jeweiligen Familien im Mittelpunkt der Lebens– und Familiengestaltung stehen. Die erste Botschaft, die Flügge hierbei vermitteln konnte: „So groß sind die Unterschiede zwischen Migranten und Nichtmigranten gar nicht, so fremd sind wir uns nicht.“ Die nächste Anti-​Schubladen-​Botschaft: Es gibt nicht den einen Migranten, ebenso nicht diesen einen Hartz-​4-​Empfänger. Einer Flüchtlingsfamilie aus einem krisengeschüttelten Land, die von einer Heimkehr träume, dürfe doch keine Integration aufgezwungen werden. Eine Hartz-​4-​Familie, die einen riesigen Flachbildfernseher beschaffe, versuche materiell vielleicht doch nur gesellschaftlich anzudocken, um den Anschluss ans normale Leben nicht zu verlieren. Oder es gebe den einen Türken, der igle sich in seinen eigenen Traditionen ein. Andere stellen sich bei einer Bewerbung selbstbewusst hin und sagen: „Ich bin Türke und das ist geil, weil ich mehr Sprachen beherrsche und größeres kulturelles Wissen habe als andere.“ Auffallendes Ergebnis aus den besagten Milieu-​Studien: Sowohl in Migranten– als auch in bodenständigen Familien stehen Tugenden wie Pflichtbewusstsein und der Wert von Familienstrukturen ganz oben. Unterschiede gebe es bei der religiösen Selbstdisziplin und in der Frage der Notwendigkeit der totalen Integration.
Sozusagen durch die Milieu-​Brille öffnete im weiteren Verlauf seines Vortrags Erik Flügge der Blick dafür, wie sich Eltern aus ärmeren Schichten fühlen, wenn sie bei einem Elternabend eine stundenlange Diskussion zu Fragen wie z.B. „Bioäpfel oder normale Äpfel zur Pause“ anhören müssen. Flügge beschrieb auch die Gefühlswelt eines Vaters aus unteren Einkommensschichten, der abends als Türsteher arbeitet, weil er möchte, dass es sein Kind mal besser haben soll. Resultat für die Kinderbetreuungseinrichtungen: Mehr Dynamik und Flexibilität im Umgang mit den Kindern und auch mit den Eltern. Nicht verurteilen, wenn sie nicht zum Elternabend erscheinen oder sich auch sonst wenig beteiligen. Es gibt meist nicht schlechte Eltern, sondern halt einfach nur andere Ansprüche der Eltern an den Kindergarten. Und Flügges weiterer Ratschlag: „Menschen nicht übertrieben integrieren wollen, sondern Unterschiede akzeptieren lernen.“ Allen Eltern und multikulturell gleich ist das große Lebensprojekt: „Ich will ein Kind versorgen, so dass es später einmal in seinem Leben gut und besser haben soll.“

14 Tage kostenlos und unverbindlich testen?
Das RZ-Probeabo - digital oder klassisch mit Trägerzustellung

5587 Aufrufe
573 Wörter
4356 Tage 15 Stunden Online

Beitrag teilen

Hinweis: Dieser Artikel wurde vor 4356 Tagen veröffentlicht.


QR-Code
remszeitung.de/2012/4/24/gmuend-macht-kinderbtreuung/