Direkt zum Inhalt springen

Nachrichten Kultur

Akademie des Tanzes — eigenwillig und seelenvoll

Ein außergewöhnliches Programm präsentierte die Akademie des Tanzes Mannheim im voll besetzten Stadtgarten. Sie spannte einen Bogen vom klassischen Thema bis hin zur modernen Tanzkunst.

Montag, 30. April 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 45 Sekunden Lesedauer

BALLETT (sf). Auffällig viele junge Menschen waren gekommen um zu sehen, wie Studierende der Tanztechnik ein klassisch akademisches Repertoire in einer Weise transportieren, die dem Zeitgeist des 21. Jahrhunderts entspricht.
Die Akademie des Tanzes der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellenden Kunst in Mannheim ist eine der traditionsreichsten Ausbildungsstätten für Tänzer in Deutschland. Ihre Wurzeln reichen zurück bis in die glanzvolle Zeit des Balletts in Mannheim im 18. Jahrhundert. Unter Birgit Keil, der international gefeierten Ballerina des Stuttgarter Balletts, wird den Studierenden nicht nur eine klassische Ausbildung angeboten, sondern verstärkt die eigene künstlerische Individualität und Persönlichkeit gefördert.
Dies wurde klar am Freitagabend. Unglaublich, wie sich der Bogen spannte vom klassischen Thema bis hin zur modernen Tanzkunst, einer krankheitsbedingten Umbesetzung zum Trotz. Schon der erste Programmpunkt, der zweiten Akt aus Giselle, begeisterte: 20 Tänzerinnen und Tänzer präsentierten den Ausschnitt aus diesem phantastischen Ballett mit einer Perfektion, als hätten sie es schon tausende Male getanzt. Völlig ohne Kulissen stand der tänzerische Ausdruck im Vordergrund, und die Betrachter wurden einbezogen in die Trauer um Giselle. Sie durften miterleben, wie Graf Albrecht die Nacht tanzend am Grab der Geliebten verbrachte und sich beinahe zu Tode tanzte, bis hin zu seiner anschließenden Rettung durch den Geist Giselles, die durch ihre grenzenlose Liebe die Trauer überwindet.
Im anschließenden Stück „Mensch“, einer Textcollage und Eigenchoreografie eines Tanzstudenten wurden Gefühle wie Angst, Liebe, Hoffnung und Einsamkeit durch Körper und Sprache zum Ausdruck gebracht und auf das Wesentliche konzentriert. Es gelang dem Tänzer, die Phänomene Liebe und Leid erfahrbar und gleichzeitig deutlich zu machen, dass ohne diese Dinge und den Menschen nur Einsamkeit herrschen würde. Das Stück war mutig inszeniert und getanzt, wofür sich das Publikum mit lautem Applaus bedankte.
Bei der folgenden russischen Quadrille war man überrascht von der Wahl der außergewöhnlichen Kostüme. Was eigentlich im alten Russland als humorvoller Paartanz in der Moskauer Vorstadt seinen Anfang nahm und sich später zu einem der beliebtesten Tänze im ganzen Land entwickelte, wurde unglaublich eigenwillig präsentiert.
Bunt und leger wurde Lebensfreude getanzt, fröhlich und lustig wechselten sich russische Volksmusik und Walzerklänge ab, ebenso wie Klavier und Akkordeon. Brücken wurden hier geschlagen, zwischen Nationen und Kulturkreisen und selbst das Publikum stimmte ein und klatschte mit.
Der klassische Pas de deux nach der Pause aus dem Ballett Santanella, das bis heute gerne als brillanter Höhepunkt in Ballettabenden mit gemischtem Programm oder Galas dargeboten wird, zeigte einmal mehr die Perfektion der Tänzer im klassischen Bereich.
Beeindruckend waren auch die beiden folgenden kurzen Eigenchoreographien zweier Studenten, bei denen jeder sein individuelles Wesen tänzerisch darstellte. Hier erlebte man Ausdruckstanz mit Erotik und Leidenschaft, ungewöhnlichen Bewegungskombinationen, Elementen aus Rap und Akrobatik. Jeder Muskel, jede Faser regte sich im Bestreben, Gefühle, Individualität und Seele des Tänzers erlebbar zu machen.
Nach einem spanischen Flamenco fielen dann endgültig alle Masken und die Künstler präsentierten mit offenen Haaren und alltäglichem Outfit in weiß in einem Square Dance zur Musik von Strauss, Weber und Tschaikowski , was sie bewegt und wie sie sich fühlen im Hier und Jetzt. Archaisch nahmen sie die Bühne in Beschlag, wild, ungestüm und ungezähmt und dennoch friedlich und gemeinschaftlich. Bis sich Einzelne mit handys, i-​pods und i-​pads darunter mischten und die Kommunikation zum Erliegen kam. Einsamkeit, Streit, Zwietracht scheinen auch hier ein brisantes Thema zu sein. Umso schöner war das Finale, als die rund 40 Tänzerinnen und Tänzer befreit wieder zueinander fanden, eindrucksvoll getanzt, gelebt, gefühlt, die Kraft der Musik und des Tanzes als verbindendes Element nutzend.
Das Publikum gab tosenden Beifall und ein schöner und eindrucksvoller Abend der den Bogen vom klassischen Ballett zum Ausdruckstanz spannte, von der Maske zur Seele, ging zu Ende.
Und wieder einmal wurde deutlich, wie aktuell Ballett sein kann, was es auszudrücken vermag und wie es auch vor aktuellen Themen nicht Halt macht, und welche tiefe Empfindungen es hervorrufen kann im Menschen durch eine Reduktion auf das Wesentliche.

14 Tage kostenlos und unverbindlich testen?
Das RZ-Probeabo - digital oder klassisch mit Trägerzustellung

2433 Aufrufe
663 Wörter
4350 Tage 8 Stunden Online

Beitrag teilen

Hinweis: Dieser Artikel wurde vor 4350 Tagen veröffentlicht.


QR-Code
remszeitung.de/2012/4/30/akademie-des-tanzes---eigenwillig-und-seelenvoll/