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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Geschenktes Organ, geschenktes Leben: Tessa Ingelmann und Monika Herrmann machen sich für Organspende stark

Tessa Ingelmann sagt Dank für elf geschenkte Jahre mit ihrem Mann, Monika Herrmann spricht von einem neuen, einem zweiten Leben. Beides war möglich, weil sich andere Familien zur Organspende entschlossen haben.

Mittwoch, 04. April 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Sie war müde. Imme so müde. Dass sie ernsthaft krank sein könnte, kam Monika Herrmann nicht in den Sinn. Bis sie eines Tages ihre Beine nicht mehr bewegen konnte. Eine Autoimmunkrankheit hatte zu diesem Zeitpunkt bereits beide Nieren zerstört; die Lehrerin war von einem Tag auf den anderen Schwerstpflegefall. Zweieinhalb Jahre war ihr Leben von der Dialyse bestimmt: Dreimal in der Woche nach Heidenheim, jeweils fünf Stunden Blutwäsche über sich ergehen lassen müssen, danach einige Stunden ruhen, weil ihr so übel war. Sie durfte nur einen halben Liter am Tag trinken, was insbesondere im Sommer zur Qual werden kann, und sie lebte im Prinzip von Weizenbrot mit Honig, weil sie weder Kalium noch Phosphat zu sich nehmen durfte, was sich in fast allen Lebensmitteln findet – in Gemüse ebenso wie in Schokolade. Vor allem aber war sie schwer krank und fühlte sich auch so. 2006 dann wurde ein Spenderorgan für sie gefunden. Ein großer Glücksfall; normalerweise muss zwischen fünf und sieben Jahre auf eine Spenderniere gewartet werden: „Seither hab ich wieder ein Leben, jetzt fühle ich mich wieder vollständig.“ Nicht nur sie selbst, auch ihre Familie genießt dieses zweite Leben; ihre Tochter war 13 als sie krank wurde, in einem Alter also, in dem die Mutter gebraucht wird.
Wie sie setzt sich auch Tessa Ingelmann für die Organspende ein; ihren Organspendeausweis trägt sie immer bei sich. Mit gutem Grund. Ihr inzwischen verstorbener Ehemann hatte 1972 einen Autounfall, an dem er keine Schuld trug – das festzustellen ist Tessa Ingelmann wichtig. Ihr Mann war damals schwer verletzt und erhielt mehrere Bluttransfusionen; bei dieser Gelegenheit infizierte er sich mit dem Hepatitis C-​Virus. Auch Hans-​Joachim Ingelmann wusste lange Zeit nicht, wie krank er war. Die Erschöpfung, auch die zunehmenden Beschwerden, schob er auf den beruflichen Stress, bis 1984 in der Stauferklinik die Hepatitis und eine Leberzirrhose diagnostiziert wurden. Ein Alptraum, aus dem es kein Erwachen gab. Bald traten erste Blutungen in der Speiseröhre auf, die verödet werden mussten. Hans-​Joachim Ingelmann lebte fortan mit eiserner Disziplin, verzichtete auf Alkohol ebenso wie auf eiweißreiche Nahrung; dennoch verschlechterte sich sein Zustand ständig; eine Diabetes machte ihm das Leben zusätzlich schwer.
Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen – unter anderem wies eine Leber, die ihm zugedacht war, Stichverletzungen auf – fand sich 1998 auch für ihn ein Spenderorgan. Wiederum ein Riesen-​Glücksfall: Jeder Dritte stirbt auf der Warteliste. Elf Jahre wurden ihm und seiner Frau dann geschenkt; dafür ist sie unendlich dankbar. Nach drei Wochen Uniklinik und anschließender Reha nahm er seine berufliche Tätigkeit in Stuttgart wieder auf. Seine Frau erinnert sich: „Er war wie ein neuer Mensch. So vieles war ihm wieder möglich, er konnte am Leben teilhaben, reiste in sein Lieblingsland Island, zeltete dort im Landesinneren und erfüllte sich so einen Lebenstraum. Er war so dankbar für dieses geschenkte Leben.“ Dafür auch, dass er miterleben durfte, wie die beiden Söhne erwachsen wurden und ihre Berufsausbildung abschlossen. Die Zeit nach der Transplantation waren die „intensivst erlebten Lebensjahre“, für die ganze Familie.
Ehrenamtlich hat er sich in der Selbsthilfegruppe Lebertransplantierter engagiert und sich gemeinsam mit seiner Frau bei zahlreichen Veranstaltungen für Organspenden eingesetzt. Mit der Zeit sind viele Beziehungen, ja Freundschaften gewachsen – etwa mit einer Mutter, die ihren 14-​Jährigen bei einem Fahrradunfall verloren, seine Organe freigegeben und dies nie bereut hat. Zwei Schicksale würden untrennbar miteinander verbunden, und ein Teil ihres Sohnes lebe weiter.
Monika Herrmann macht deutlich, dass jeder und jede in die Situation kommen kann, ein Spenderorgan zu benötigen: „Wohl niemand würde das ablehnen und lieber sterben.“ Besonders betroffen macht sie die hohe Zahl von Kindern, die auf eine Transplantation warten, die etwa mit einem Nierenschaden auf die Welt kommen: „Für ein Kind hätte ich auf meine Niere verzichtet“, sagt sie. Aber noch besser wäre natürlich, es gäbe ausreichend Organe. Dafür machen sich die beiden Frauen stark. Dass künftig jeder und jede gefragt werden soll, finden sie gut: Die Angehörigen im Angesicht des Todes entscheiden zu lassen, sei eine enorme Belastung.

Voraussetzung für eine Organspende

Christine Gehringer von der Deutschen Stiftung Organtransplantation, versichert, Angehörige könnten „selbstverständlich beim Sterbenden bleiben, bis dessen Tod bestätigt ist“. Nach der Organentnahme könne „in jeder gewünschten Form Abschied genommen“ werden.
Der Hirntod ist heute fast überall als das maßgebliche Merkmal für den Tod eines Menschen anerkannt. Die Entnahme eines lebenswichtigen Organs von einem Patienten, dessen Hirntod noch nicht sicher eingetreten ist, wäre strafrechtlich Totschlag
Ziel aller Ärzte und aller medizinischen Maßnahmen ist es, Leben zu retten. Als Organspender kommen nur Patienten in Frage, bei denen die Durchblutung und die Funktion des Gehirns vollständig ausgefallen sind und Atmung und Kreislauf nur künstlich aufrechterhalten werden.
Grundsätzlich gilt: Zwei erfahrene und unabhängige Neurologen, die über eine mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit schweren Hirnschädigungen verfügen, müssen diesen Hirntod feststellen und die Totenbescheinigung ausfüllen. Sie dürfen nicht dem Entnahme– oder Transplantationsteam angehören. Erst dann kommt eine Organspende in Betracht. Gute Nachricht für die über 12 000 Patientinnen und Patienten, die derzeit auf ein Spenderorgan warten: Zwar sind die meisten Menschen grundsätzlich zur Organspende bereit, doch nur wenige haben einen Organspendeausweis. Mit einer von von allen Fraktionen getragenen Initiative will der Gesetzgeber nun die Spendebereitschaft in Deutschland erhöhen. Im Gespräch ist eine sogenannte Entscheidungslösung: Angesichts des großen Bedarfs an Spenderorganen sei es unerlässlich, dass eine Erklärung zur Organ– und Gewebespende regelmäßig nachgefragt werde. Das Nachdenken über Organspende wird zur Pflicht. Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) könnte für die Dokumentation der Organspendebereitschaft genutzt und die Krankenkassen verpflichtet werden, eine entsprechende Infrastruktur aufzubauen.

Zusätzliche Informationen

Momentan dürfen in Deutschland Organe nur dann entnommen werden, wenn der Verstorbene sich zu Lebzeiten zu einer Organspende bereiterklärt hat. Ist keine schriftliche Zustimmung vorhanden, können auch die Angehörigen über die Entnahme von Organen entscheiden, müssen dabei allerdings dem mutmaßlichen Willen des Toten gerecht werden.
Seit 1963 in Deutschland die erste Nierentransplantation durchgeführt wurde, gab es kontinuierlich Fortschritte im Bereich der Transplantationsmedizin. Heute können Organe wie beispielsweise Nieren, Herz, Leber und Lungen transplantiert werden. Lediglich 4000 Organe können aufgrund des Mangels an Organspenden jährlich einem anderen zukommen. Auch wenn in Deutschland täglich zwölf Transplantationen durchgeführt werden, sterben täglich drei Patienten, weil ein lebenswichtiges Organ nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.

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