Die Vergänglichkeits-Performance
Ein Jahr lang sollen die 20 „Seelenbretter“ von Bali Tollak im Gärtlein vor dem Kreuzgang stehen bleiben — wenn sie denn dürfen. Wenn nicht, kann man’s als illustrativen Vorgang zu einem Buddha-Spruch nehmen, der auf einem von ihnen geschrieben steht. Vielleicht sogar als Vergänglichkeits-Performance.
Freitag, 06. April 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
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Bali Tollak und ihr Lebensgefährte Wolfgang Dennig, die in der Nähe von Landsberg leben, begannen mit ihrer Seelenbretter-Aktion vor zehn Jahren, nachdem sie eine Fernsehsendung über den alten Oberpfälzer Brauch gelesen hatten, auf „Totenbrettern“ nicht nur Gedenksprüche zu hinterlassen, sondern die Verstorbenen darauf zu legen, bis sie eingesargt wurden. Was mit zwei selbstgefertigten Brettern begann, die neben die alten und echten gestellt wurden, wuchs an. Bali Tollak stellte ihre Bretter im Wiener Bestattungsmuseum aus und auch im Messner-Mountain-Museum im Schloss Bruneck in Südtirol. Und Seelenbretter-Workshops gab es auch schon zuhauf.
Die Spannung zwischen Alt und Neu, zwischen Morbidität und gedeihender Natur, von der Wolfgang Dennig sprach, ist im Kloster Lorch gegenwärtig; man muss noch nicht einmal ans Altenheim denken, es genügt das alte Gemäuer. Der Effekt ist offensichtlich. Und so hebt es denn an, das alte Spiel von Leben und Tod, das unerschöpfliche Thema der Kunst. Beide bringen genügend gravitas mit. Wer will schon einen Einwand gegen Gevatter Tod erheben, wenn der mit seiner Sense winkt, auf der „Vergänglichkeit“ geschrieben steht? Und die Liebe ist sowieso eine Himmelsmacht.
Ob so Kunst entsteht oder nicht eher Kunsthandwerk, das mit dem Beuysschen Kunstbegriff garniert wird, ist die Frage. Friedrich Theodor Vischer, der schwäbische Philosoph, beobachtete einst mit Widerwillen auf einer seiner Italienreisen einen eitlen Priester, den die Umstehenden ignorierten, worauf dieser gleich mit „il morte“ kam, dem alten Popanz.
Es kann einen hier das Gefühl beschleichen, dass Gehalt und Gestalt nicht zueinander finden, dass weder die Sprüche noch die ganze scheinbar naiv-symbolische Freude an Farbe und Ornament ganz echt sind. Originalität braucht es nicht als Kriterium, irgendwo hat man derlei sowieso schon gesehen, in Kursen zur Selbsterfahrung, die mit kreativem Wirken und Werkeln einher gehen.
Aber sei’s drum, Kunst ist, vom Ende her bedacht, nur eine der Illusionen, mit der man sich die Zeit bis zum Tod vertreiben kann. Was Wunder, dass schon die ersten Bretter für ein in zwei Jahren anstehendes Jubiläum des grausigsten Massensterbens bereitstehen: 100 Jahre Erster Weltkrieg. Sie finden garantiert Aufmerksamkeit — wenn schon nicht auf dem Kunstmarkt, mit dem Bali Tollak und Wolfgang Dennig nichts zu tun haben wollen (will der Kunstmarkt mit ihnen?), dann medial. Denn plakativ und hübsch anzuschauen, vor allem im Kreis von so geschichtlich aufgeladener Architektur, ob im staufisch-imperialen Kloster Lorch oder vor den Gräbern von Verdun, sind die Bretter allemal.
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