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„Bürgerforum 100 % erneuerbare Energie in der Region“ will Energiewende vor Ort voran treiben und Vorurteilen entgegen wirken

Es wird sehr viel über die Energiewende gesprochen — aber reden allein bringt in Sachen Klimaschutz nichts. Deshalb bemüht sich das „Bürgerforum 100 % erneuerbare Energie in der Region“ darum, die Bürger von der Wichtigkeit einer Neuorientierung zu überzeugen und gängige Vorurteile zu korrigieren.

Mittwoch, 09. Oktober 2013
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer


Von Gerold Bauer
SCHWÄBISCH GMÜND. Eines dieser Vorurteile beziehe sich auf die Kosten für die Energiewende. Denn viele Bürger seien der Ansicht, dass die Förderung der erneuerbaren Energien den Strompreis in die Höhe treibe und dass wegen der Windkraftnutzung der Bau einer 380-​kV-​Stromleitung erforderlich sei. „Kaum jemand hinterfragt solche Behauptungen“, ärgert sich Volker Nick, der seit Jahrzehnten engagiert für die Abschaffung der Atomkraftnutzung kämpft — und zwar nicht nur im militärischen, sondern auch im zivilen Bereich.
„Ich habe den Verdacht, dass leistungsfähige Stromleitungen vor allem für die Intensivierung des Stromhandels in Europa nötig sind und die Energiewende nur ein Alibi ist!“, betont Nick. Ähnlich verhalte es sich auch mit der Kostensituation auf dem Strommarkt. „Die immensen externen Kosten durch Schäden, die aufgrund der konventionellen Energie durch den Klimawandel entstehen, werden im aktuellen Strompreis überhaupt nicht berücksichtigt. Würde man all dies mit einkalkulieren, auch das Entsorgungsproblem der Atomkraftwerke, dann wäre die konventionelle Energie doppelt so teuer wie jene aus erneuerbaren Energien“, sagt Franz Geberth. Er ist Diplom-​Ingenieur für Landespflege und macht darauf aufmerksam, dass man auch erneuerbare Energien nicht einfach planlos und übereifrig nutzen sollte. Die Installation von Photovoltaik-​Feldern auf wertvollem Ackerland halte er beispielsweise für nicht zielführend und den intensiven Ausbau von Biogas-​Anlagen sogar für sehr bedenklich. Eigentlich sei diese Technologie ja gedacht gewesen, um aus Agrar-​Abfallprodukten wie Gülle oder Pflanzenresten Energie zu gewinnen. „Doch dann haben schlaue Betreiber entdeckt, dass durch Einsatz energiereicher Pflanzen wie Mais die Ausbeute erheblich gesteigert werden kann — mit der Folge, dass unter einer fortschreitenden Monokultur im Ackerbau die Artenvielfalt der Natur leidet!“. Auch im Hinblick auf die Pachtpreise seien Biogasanlagen schädlich für die klassische Landwirtschaft.
Auch die Nutzung der Windkraft sei nicht frei von Interessenskonflikten, räumte Andreas Mooslehner, Geschäftsführer des BUND in Ostwürttemberg, ein. „Es gibt viele Windkraftstandorte, vor deren Nutzung Naturschützer warnen. Ich bin dennoch überzeugt, dass der Ausbau der Windenergie und der Naturschutz miteinander vereinbar sind.“ Mooslehner sieht in Bezug auf Windkraftanlagen die Nähe zu besiedelten Flächen als größtes Hindernis an. „Dem muss man entgegen wirken, in dem die ständige Ausweitung der Siedlungsgebiete eingedämmt wird“, fordert Mooslehner und sieht in der demographischen Entwicklung ein gutes Argument dafür, dass dies auch machbar ist. „Der Flächenfraß muss aufhören!“, lautet sein Appell.
„Die erneuerbaren Energien haben in der öffentlichen Meinung mittlerweile schon ein Negativ-​Image“, bedauert Karl Miller (Gmünder Stadtrat und seit vielen Jahren als Architekt ein Fachmann für energiesparende Gebäude) vor dem Hintergrund von Bürgerinitiativen gegen Windparks und Verärgerung über steigende Strompreise. „Dieser Denkweise von weiten Teilen der Bevölkerung wollen wir durch gezielte Information entgegen wirken“, macht Miller deutlich. Aus städtebaulicher Sicht mahnt der Architekt jedoch zur Vorsicht bei Photovoltaik-​Anlagen auf Dächern in historischen Innenstadt-​Lagen. „Es gibt allein auf Autobahn-​Randstreifen und auf Dachflächen in Industriegebieten noch genug Platz, um viele weitere Photovoltaik-​Anlagen aufzustellen.“ Die Altstadt, zum Beispiel von Schwäbisch Gmünd, könne man da getrost ausklammern. Miller machte aber auch darauf aufmerksam, dass die Industrie bereits dabei sei, „Solarziegel“ zu entwickeln, die fast wie herkömmliche Dachplatten oder „Biberschwanz-​Dächer aussehen. „Durch eine unauffällige Optik kann man die Akzeptanz der Photovoltaik-​Anlage noch deutlich verbessern“, ist sich Miller sicher.
Alle Vertreter des „Forums 100 % erneuerbare Energie in der Region“ sind sich einig, dass jedes nicht verbrauchte und damit auch nicht erzeugte Kilowatt Energie, egal ob Strom oder Wärme, ein Gewinn sowohl fürs Klima als auch für den Geldbeutel sei. Deshalb seien Bürger, Unternehmer und Kommunen gefordert, sich noch stärker fürs Energiesparen zu engagieren. Allein durch die Stand-​by-​Funktion an elektrischen oder elektronischen Geräten werde in Deutschland so viel Strom verbraucht wie zwei Atomkraftwerke erzeugen.
Eine ganz wichtige Rolle spiele ein regionales Energiekonzept. Es gelte dabei – so Geberth, Miller, Mooslehner und Nick unisono – die Energie am besten dort zu erzeugen, wo sie benötigt wird. Auf diese Weise könne man den Bau von gigantischen Stromleitungen zumindest teilweise überflüssig machen. Ein erster großer Schritt in diese Richtung sei mit der Einrichtung des Solarparks auf der Mutlanger Heide bereits getan. Allerdings gebe es in Sachen Photovoltaik im Gmünder Raum „noch sehr viel Luft nach oben“, besonders was die Nutzung von Dachflächen betrifft. Windkraft sei auf Gmünder Gemarkung aus topographischen Gründen eher schwierig, so dass sich hierfür Kooperationen mit Nachbargemeinden, zum Beispiel mit „Bürgerwindrädern“ und im Rahmen von regionalen Energiegenossenschaften, empfehlen.
Eine große Bedeutung habe auch die Entwicklung von modernen Technologien — zum Beispiel um Strom aus erneuerbarer Energie effizient speichen zu können, damit er zur Verfügung steht, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Viele dezentrale Blockheizkraftwerke könnten in ein intelligentes System einbezogen werden – zum Beispiel um nachts Elektrofahrzeuge zu laden.

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