Direkt zum Inhalt springen

Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Weihnachtsfeier für Flüchtlinge in Schwäbisch Gmünd

Rund 300 Flüchtlinge kamen am Freitag zur Weihnachtsfeier für Flüchtlinge. Die RZ sprach mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern und Kulturen, denen am Freitag zumindest eines gemeinsam war: Aufrichtige Freude über diese Feier und der Dank an alle, die diese Feier im VHS-​Foyer, im Münster und in der Augustinuskirche möglich gemacht hatten.

Freitag, 19. Dezember 2014
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer


SCHWÄBISCH GMÜND (bt). „Aus aller Herren Länder, aus Nord, Süd, Ost und West“: Wie in der Staufersaga besungen, gab es eine Flüchtlingsfeier, zu der auch Gmünder eingeladen waren. „Heute wird die dritte Strophe tatsächlich verwirklicht“, sagt Hubert Herkommer, der die Jubiläumshymne geschrieben hat: „Bewundern auch das Fremde, beschützen es vor Wut“. Der Vers „ein Leben voller Freude, ein Leben wie ein Fest“ trifft es bei den meisten Gästen freilich weniger.
Azmat, sieben Jahre, bastelt und lächelt dabei still vor sich hin. Vor allem um ihn zu schützen, sind seine Eltern aus Pakistan hergekommen. Der Vater Muhammad Waqar hat einen guten Bankjob zurückgelassen; ein Master-​Abschluss in Computerwissenschaften dürfte ihm hier einen Neuanfang erleichtern. Seine Mutter ist einfach nur verzweifelt. Und unglaublich zornig, weil sie „so hilflos“ ist. Sie ist Lehrerin; ihre Schule im Schulviertel Peshawars ist ein paar hundert Meter von der Schule entfernt, in der dieser Tage bei einem der blutigsten Taliban-​Angriffe der vergangenen Jahre so viele Menschen getötet wurden. Die Taliban haben ihre Familie seit Jahren terrorisiert, sagt sie und nennt den Anschlag auf das „world trade center“ 2001 als Wendepunkt. Es ist immer schlimmer geworden für sie als Frau, die sich der Bildung verschrieben hat; ihr Vater wurde getötet, ihre Mutter verletzt. Ihren Sohn konnte sie retten, viele andere ihr nahe stehende Menschen aber blieben zurück: Kinder aus ihrer Familie sind in der betroffenen Schule; sie blieben unverletzt, aber das Wissen, in welcher Gefahr sie waren und sind, lässt Mehwish Iftikhar noch nach drei Tagen zittern. Lange vor dem jüngsten, verheerenden Mordanschlag habe man der Welt immer und immer wieder gesagt, wie sehr Pakistan unter dem Taliban-​Terror leide. Aber die Welt höre nicht zu. Essen will sie nicht, dazu ist sie viel zu aufgewühlt. Dass ihr Junge aus kleinen Gummis Armbänder flicht, ist das einzige, was ihr ein Lächeln abringt: Er ist in Sicherheit.

Kirchen, Stadt, Landkreis, VHS,
DRK – alle machen mit

Es war ein Tag der Begegnungen. Pfarrer Robert Kloker, Pfarrer Dr. Charles Unaeze aus Nigeria – der die italienische Gemeinde betreut – und Pfarrvikar Dr. Jean Hilaire Nyimi-​Vita aus dem Kongo – der für die Gemeinden St. Franziskus und St. Peter und Paul da ist – erklärten mehrsprachig, welche Weihnachtsbräuche es in Gmünd und im Münster gibt, vor allem versicherten sie, Kirchen und Herzen seien für die Flüchtlinge geöffnet. Münsterorganist Stephan Beck spielte an diesem Nachmittag kein großes Kirchenkonzert, sondern ein Willkommen für die Fremden in der Stadt – auch für Kamijom Mbouoda Merline aus Kamerun, mit ihrem 14 Monate alten Sohn erst vor wenigen Wochen in Gmünd angekommen. Kluge Frau. Schöne Frau. Und so traurig.
Dekan Immanuel Nau schilderte anschaulich den Lebensweg des Augustinus, dem Gmünds barockes Kirchen-​Schmuckstück seinen Namen verdankt – der Kirchenvater war zunächst Dieb und Lügner, niemand hätte auf ihn gesetzt. Gerburg Maria Müller, Jakoubu aus Nigeria und Ali aus Afghanistan erzählten dann die Geschichte vom Lamm und den vier Kerzen; Ali hätte zwar auch aus dem Telefonbuch vorlesen können – nur wenige Gäste sprachen Farsi –, nichtsdestotrotz war er unglaublich unterhaltsam.
Viele trugen zum Tag gestern bei. VHS-​Chefin Ingrid Hofmann, die Gastgeberin, verteilte gespendete Geschenke an die Kinder und half –wie viele andere – bei der Ausgabe der ebenfalls gespendeten Kuchen und selbst gebackenen Pizza. Hier wurde deutlich, wie unterschiedlich all diese Menschen aus rund 90 Ländern sind, die nach Gmünd gekommen sind, weil sie um ihr Leben fürchten, oder auch weil sie sich ein besseres Leben aufbauen wollen. Da gab’s den Mann, dem höflich bedeutet werden musste, mit dem vierten Stück Kuchen doch bitte noch zu warten. Und da war Musa Ceesay aus Gambia, der sich als Ehrenamtlicher einen Namen gemacht hat und sich für eine Tasse Kaffee anstellte, die er dann – ganz Gentleman – Gertrud Singer brachte.

Keine Kritik wurde laut
keine Zwischenfälle gemeldet

Gutscheine für die gespendeten Mäntel und Jacken wurden verteilt, die Münsterspatzen sangen, OB Arnold („die Welt ist daheim in Gmünd“) und Josef Rettenmaier, Sozialdezernent des Ostalbkreises („eine Allianz der Solidarität und der Menschlichkeit), sprachen. Rettenmaier nannte Gmünds Oberbürgermeister anerkennend „Lokomotive der Flüchtlingsarbeit“; in der Übersetzung wurde daraus ein „großer Zug, der durch die Stadt fährt“. Gelächter und zustimmendes Nicken – entscheidend sei, war zu hören, dass Gmünd einen guten Weg weitergehe.

Schönes Geschenk für die Flüchtlinge waren die Jacken und Mäntel, die auch RZ-​Leserinnen und –Leser gespendet haben. Bürgermeister Dr. Joachim Bläse kam vor allem als DRK-​Präsident: Das Team des DRK hat über 400 Mäntel eingesammelt und aufbereitet, die bis Jahresende im Secondhand-​Laden in der Kornhausstraße ausgegeben werden – gestern wurden die Gutscheine von Hauptamtsleiter Helmut Ott und der Flüchtlingsbeauftragten Daniela Dinser verteilt, der mit der Organisation dieser Feier ein Meisterstück gelungen ist

14 Tage kostenlos und unverbindlich testen?
Das RZ-Probeabo - digital oder klassisch mit Trägerzustellung

3299 Aufrufe
831 Wörter
3387 Tage 17 Stunden Online

Beitrag teilen

Hinweis: Dieser Artikel wurde vor 3387 Tagen veröffentlicht.


QR-Code
remszeitung.de/2014/12/19/weihnachtsfeier-fuer-fluechtlinge-in-schwaebisch-gmuend/