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Die Gnadenlosigkeit von Stadträumen

Stadträume sind Ausdruck unserer Kultur, sie prägen unser tägliches Leben. Darauf geht eine Wanderausstellung ein, die deutschlandweit Resonanz findet, nicht nur unter Stadtplanern und Architekten.

Donnerstag, 14. August 2014
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 27 Sekunden Lesedauer

Von Reinhard Wagenblast
ARCHITEKTUR. „Plätze in Deutschland. 1950 und heute“ lautet der Titel der seit Anfang 2014 laufenden Ausstellung. Sie macht vom 17. September bis zum 10. Oktober in der Volkshochschule am Münsterplatz Station. Sie wurde zusammengestellt vom Deutschen Institut für Stadtbaukunst an der Technischen Universität Dortmund, das von Christoph Mäckler geleitet wird. Gmünds Baubürgermeister Julius Mihm steht seit Längerem in Kontakt mit dem Professor. Vor zwei Jahren zeigte eine Ausstellung in der VHS 17 Studienarbeiten aus dem Master-​Studiengang mit dem gemeinsamen Thema „Wohnen und Arbeiten in der Altstadt von Schwäbisch Gmünd“. Es sollte eine Entwurfsstrategie eingeübt werden, „die über das einzelne Gebäude hinaus die Wirkung der einzelnen Teile untereinander, sowie ihre Wirkung zum bestehenden Umfeld genau und präzise entwickelt und die Studierenden in die Kunst einführt, schöne und ‘charaktervolle’ Stadträume zu entwerfen.“ Ausgewählt war die südöstliche Altstadt, in der Mitte das Woha-​Areal.
Die Schönheit von Stadträumen ist eine Kategorie, die im Städtebau über Jahrzehnte hinweg nicht mehr vorkam. Das macht Mäcklers Ausstellung schlagend deutlich. Sie stellt Fotografien von Plätzen deutscher Städte in den 50er-​Jahren aktuellen Aufnahmen vom gleichen Standort aus gegenüber. Die Wanderausstellung, die schon in Köln, Dortmund, Nürnberg und Stuttgart zu sehen war, wächst mit jeder Station um ein weiteres Bildpaar und macht auf Fehlplanungen und Versäumnisse in der Gestaltung des Stadtraums aufmerksam. Auch aus Schwäbisch Gmünd wird ein Bildpaar weiter wandern: die Klösterlestraße und die schlecht vernarbte Wunde, die seit dem Abriss des historischen Stadtbades im Jahr 1974 dort klafft.
Die Ausstellung verdeutlicht wieder einmal, dass die Verluste an stadträumlicher Qualität durch Erneuerungswut der Nachkriegszeit, Bauwirtschafts-​Funktionalismus und Ideologie der „autogerechten Stadt“ nicht weniger schlimm waren als die Verheerungen des Bombenkriegs. Städte, die verschont blieben, fügten sich aus Modernisierungsfreude selbst üble Verletzungen zu. Dieser Vorgang ist noch nicht einmal zu Ende gekommen. Und selbst eine Kleinstadt wie Schwäbisch Gmünd kennt bis heute gefährdete Gründerzeitarchitektur.
Eine begleitende Veranstaltung zur Ausstellung ist ein Vortrag des Architekten Philipp Dechow (Montag, 22. September, 19 Uhr im Klösterlesaal der VHS): „Nur Fassade?“ Dechow geht der von Alexander Mitscherlich beklagten „Unwirtlichkeit unserer Städte“ nach, die selbst dort entstand, wo Stadträume auf historischem Grundriss wiederaufgebaut worden sind.
Er vergleicht Gründerzeit– und Nachkriegs-​Straßenzüge miteinander. Dabei, so seine These, werde deutlich, wie enorm der Einfluss der Fassadengestaltung auf die Raumwirkung ist – eine Ansicht, die Gmünds Baubürgermeister teilt. Philipp Dechow: „Während der von Nachkriegsbauten geprägte Straßenabschnitt als eher abweisend, kühl und leer beschrieben werden kann, wirkt der von gründerzeitlichen Bauten gebildete Bereich gesättigter, greifbarer. Er scheint den Menschen zu umfangen oder einzubetten, die Luft oder das Dazwischen scheint einen Gehalt, eine andere Stofflichkeit zu haben – hier meinen wir tatsächlich, den Raum fast körperlich zu spüren. Die These besagt, dass ohne eine entsprechende Gestalt der Fassaden keine wirkliche Raumwirkung zustande kommt und ein Stadtraum eine leere Hülse bleibt. Solchen Hohlkörpern fehlt das spezifisch Räumliche. Plastizität und Detailreichtum der Fassaden sind hierfür eine entscheidende Bedingung.“
Philipp Dechow hat mit seinen Forschungen einen Beitrag zur Revision von in der Tradition begründeter Fassadenkonzepte für die zeitgenössische Architektur geleistet. Er stellt die wahrnehmungspsychologischen Hintergründe dar, warum sich Menschen in bestimmten Gestaltungszusammenhängen wohlfühlen und auf andere ablehnend reagieren.
Philipp Dechow könne eine wesentliche Perspektive für eine anders gestaltete Stadt jenseits von Moderne und Neotraditionalismus aufzeigen, meint Julius Mihm.

Die VHS befasst sich in einer Erzählcafé-​Veranstaltung im September mit dem alten Stadtbad und dessen Abriss. Gesucht werden noch Fotografien des Gebäudes, vor allem auch Innenaufnahmen.

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