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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Sabine Preisendanz sprach mit der RZ über eine Möglichkeit, mit ADHS-​Kindern zu arbeiten

Ritalin als unverzichtbare Notwendigkeit oder als Droge, die stark abhängig macht und von der abzuraten ist? So vielen Kindern lasse sich helfen, ganz leicht, ganz ohne Medikamente – sagt Sabine Preisendanz und erklärt im Gespräch mit der RZ, wie sie zu dieser Erkenntnis gekommen ist.

Donnerstag, 28. August 2014
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer


SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Die Frau aus Reutlingen, die „der Liebe wegen“ nach Straßdorf gezogen ist, geht schon sehr lange mit Kindern um. Eigentlich seit sie Tochter Marleen zuliebe über den Deutschen Sportbund einen Trainerkurs absolvierte und fortan Mutter-​Kind-​Turnen anbot. Daraus wurden VHS-​Kurse: „Entspannt und konzentriert läuft es wie geschmiert.“ Es gab Aus– und Weiterbildungen zur „Lernberaterin und Coach P.P. und zur Evolutionspädagogin und immer mehr die Überzeugung, dass sich Kindern helfen lässt. Ein Schlüsselerlebnis hatte sie ausgerechnet, als sie 2010 zu „Teenager außer Kontrolle – Letzter Ausweg Wilder Westen“ eingeladen wurde, ein umstrittenes RTL-​Format, in dem verhaltensauffällige Jugendliche in einem Camp irgendwo in der Wildnis therapiert werden sollten. Dass die 55-​Jährige heute auf Schreiben von „Tim“ verweisen kann, bestätigt sie: Vor vier Jahren hat sie mit dem damals 13-​Jährigen fünf Tage alleine in den Bergen Montanas verbracht, mit nichts als zwei kleinen Zelten und dem Allernötigsten an Verpflegung.
Sie hatte damals schon allerhand gesehen, aber der Beutel voller Medikamente, den Tim ihr präsentierte, hat sie schockiert. Nach Absprache mit den Fachleuten gab’s fortan keine Tabletten mehr für den Jungen, den seine Eltern, sein gesamtes Umfeld, aufgegeben hatten. Seither, sagt sie, weiß sie, was Ritalin-​Entzug aus Menschen macht – und zieht Parallelen zum Entzug, der erwachsene Drogenabhängige durch Flucht– und Kampfreaktionen jagt. Sie hat in diesen fünf Tagen mit nichts als ihrer Persönlichkeit und einer Taschenlampe gearbeitet – mit Lichtimpulsen, ähnlichen dem Verfahren, das traumatisierte Kinder aus dem Trauma holen soll.
Anderes ist seit langem und in allen Kulturen bekannt, auch wenn’s anders genannt und begründet wird: Psychischer und physischer Stress führen zu einer erhöhten Freisetzung von Cortisol aus der Nebenniere ins Blut. Sollen diese Hormone abgebaut werden, empfiehlt Marathonläuferin Preisendanz zwölf Minuten intensives Joggen. Bewegung eben. Aber nicht der Stressabbau ist der eigentliche Ansatzpunkt. Auch nicht der Schlüsselbund, den sie auf den Boden wirft, um ein nicht mehr ansprechbares, schreiendes und sich selbst auf den Boden werfendes Kind aus einer Spirale zu holen, in der es ohne solche Impulse nicht erreichbar ist.
Sabine Preisendanz zieht gegen das Ritalin zu Felde. Für viele ist das Medikament Rettungsanker, für sie eine der gefährlichsten Drogen, die zu Veränderungen des Nervensystems führe. ADHS sei in erster Linie mangelhafte Vernetzung. Fehlende Synapsen, „durch eine verzögerte Entwicklung noch nicht hergestellt“. Schlüsselbegriff für sie ist das „Überkreuzmuster“. Eltern, die verzweifeln, weil ihre Kinder den Anforderungen der Schule und des Alltags nicht gewachsen sind, sollen – sagt sie – die Kinder, Jugendlichen oder gar jungen Erwachsenen erst mal krabbeln lassen. Sogar einige Erwachsene kriegen nur durch größte Konzentration auf die Reihe, was eigentlich jedes Kleinkind verinnerlicht, indem bestimmte angeborene Reflexe wie Asymmetrisch Tonischer Nackenreflex oder Tonischer Labyrinthreflex gehemmt werden: Rechts, links, rechts. Jedes Mobile schaffe durch Auge-​Hand-​Koordination entscheidende Synapsen.
Andere Methode, Probleme festzustellen, ist das Zeichnen einer liegenden Acht mit einer Taschenlampe, der das Kind dann mit den Augen folgen soll – sehr schnell stelle sich dann heraus, so versichert Preisendanz, dass das nicht gehe. Rechte und linke Hirnhälfte spielten nicht zusammen, die frühkindlichen Reflexe seien aus irgendeinem Grund nicht durch bewusste Bewegungen umgewandelt worden. „Guck doch richtig“, „lies doch“, „warum konzentrierst du dich nicht“ kann nicht zum gewünschten Erfolg führen, wenn ein Kind das an der Tafel Gesehene nicht umwandeln und den Sinn nicht erfassen kann, wenn es an den Zeilen hängen bleibt – schlicht nicht in der Lage ist, umzusetzen, was verlangt wird. Das setze Kinder, die heute sehr früh sehr umfassend funktionieren müssen, unglaublichem Druck aus, und der damit verbundene Stress mache alles noch viel schlimmer. Es tut ihr in der Seele weh, sagt Sabine Preisendanz, wenn sie Kinder mit schief liegendem Heft und verkrampfter Hand sieht und sicher ist, dass ihnen geholfen werden könnte, ohne sie unter Drogen zu setzen. Die benötigten Vernetzungen ließen sich herstellen und trainieren. Den Kindern erklärt sie das mit einem „Trampelpfad“. Beim ersten Überqueren der Wiese sei noch nichts zu sehen, aber irgendwann sei da unübersehbar ein Weg.
Neue Nervenzellen bilden sich nicht, neue Synapsen aber bis ins hohe Alter, was in der Arbeit mit Demenzpatienten genutzt wird: Für ADHS kann das eine zweite Chance sein, sagt Preisendanz. Bei Tim hat’s funktioniert, dieses Arbeiten mit Licht und der liegenden Acht. Als der Junge sich endlich, endlich hinsetzte – um seinen Eltern einen Brief zu schreiben – , hätte sie weinen mögen vor lauter Freude.

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