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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Ein Gmünder Flüchtlingsschicksal

Mehwish Iftikhar teilt mit der RZ ihre Zweifel, ihre Angst, ihren Zorn. Ihr Thema ist der Terror, ihre Sorge eine, die auch Deutschland in den vergangenen Wochen zutiefst berührt hat. Mit ihrem Ehemann Muhammad Waqar und ihrem Sohn hat sie Pakistan verlassen. Sie lernt jetzt Deutsch, intensiv, und ihre Familie hat gute Chancen, sich hier zurechtzufinden: Ihr Mann ist Computerfachmann; Fachkräfte wie er werden immer gebraucht. Aber Pakistan ist das Land, das sie ihre Heimat nennt, auch wenn sie dort um ihr Leben und vor allem um das ihrer Familie fürchtet.

Donnerstag, 29. Januar 2015
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND. Die Taliban haben ihre Familie seit Jahren terrorisiert, sagt sie, es sei immer schlimmer geworden, nicht zuletzt für sie als Frau, die sich der Bildung verschrieben hat.
Mehwish Iftikhar ist Herzblut-​Lehrerin, ihre Schule im Schulviertel Peshawars liegt ganz in der Nähe der Schule, die vor Weihnachten Ziel eines der blutigsten Taliban-​Angriffe der vergangenen Jahre war. Die Weihnachtsfeier der Flüchtlinge in Gmünd stand ganz unter dem Eindruck dieses verheerenden Mordanschlags, bei dem 132 Kinder und einige Erwachsene getötet wurden. Längst schon sei doch bekannt, welche Bedrohung dieser Terror darstelle, zeigt sie Unverständnis. In der Zwischenzeit ist einiges geschehen; erneut hat sich gezeigt, dass der Terror auch in Europa Thema ist.
Ihr Vater kam jung verheiratet aus dem Dorf Pir Pai in die „Blütenstadt“, Hauptstadt der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa, weil er seiner Familie ein besseres Leben bieten wollte. Das war sein Traum – „es waren keine großen Träume, die er verwirklichen wollte.“ In den 80ern gründete er ein kleines Unternehmen. Seine Tochter erinnert sich an ihre Kindheit: „Damals kamen viele afghanische Flüchtlinge nach Pakistan.“ Sie hat diesen Flüchtlingen zugehört, die vom Krieg erzählten, von dem was auf ihnen lastet: „Ich war zehn Jahre alt und wusste nicht, dass mein eigenes Kind einmal ein Flüchtling sein würde.“ Mehwish Iftikhar ist überzeugt, dass mit der Zahl der afghanischen Flüchtlinge die Probleme wuchsen. Die Fremden hätten sich in Gruppen organisiert mit dem Ziel, in Afghanistan das islamische Recht zu etablieren: „Sie nannten sich Mudschahedin“, sahen sich also als Krieger im Heiligen Kampf, im Dschihad. Auf ihre Stadt Peshawar aber habe das während ihrer Jugend kaum Auswirkungen gehabt.
Man hat sie halt wursteln lassen, die Jungs. Das sagt sie nicht, aber das wird deutlich. Nach dem 11. September 2001 sei freilich alles anders geworden. Als Amerika in Afghanistan eingefallen sei, war das der Beginn einer verhängnisvollen Entwicklung in ihrem Heimatland: „Ab da hatten wir ein immer größer werdendes Problem mit dem Terrorismus.
2004 begann sie als Lehrerin in einer „model school“ zu unterrichten, eine Art Realschule bis zur zehnten Klasse, in der Warsak Straße in Peshawar – jene Straße, die Ende des vergangenen Jahres Ziel eines Anschlags wurde, der weltweit Entsetzen auslöste. Und Trauer.
Damals, erinnert sie sich, vor zehn, elf Jahren, machte es Freude, ein Picknick mit den Kindern zu organisieren; große und kleine Feste wurden gemeinsam gefeiert, Jahrmärkte mit Schülern und Eltern besucht. Die Situation heute sei eine ganz andere: „Heute fürchten sich Mütter, ihre Kinder zur Schule zu schicken; jeder hat Angst. Überall und jederzeit kann eine Bombe explodieren oder ein Geschoss einschlagen.“ Unterricht, generell die Bildung in Peshawar werde dadurch ganz erheblich beeinträchtigt. Lehrer hätten Angst, ihre Häuser zu verlassen, so groß sei die Gefahr, angegriffen, etwa mit Säure attackiert zu werden. Das Peshawar, das sie verlassen habe, sei eines, in dem Angreifer Türen einschlagen, um Handgranaten ins Haus zu werfen. In dem ganze Gruppen von Aggressoren in Häuser eindringen, um Menschen zu töten, die gegen die Taliban sprechen. In dem Frauen und Kinder entführt werden.
2008 wurde ihr Vater, der damals die Armee belieferte, getötet; die Schule, in der sie arbeitete, war mehrfach Ziel von Angriffen: „Auch unsere Busse wurden in Brand gesteckt“, erzählt sie. Und sie spricht vom Leid. Immer nach einem Bombenanschlag in einer Schule, auf dem Marktplatz, irgendwo eben, habe man versucht, untröstliche Hinterbliebene zu trösten – oft genug Lehrerfamilien. Mehwish Iftikhar: „Peshawar ist die Stadt, die am meisten unter dem Terrorismus zu leiden hat.“ Seit 2001 seien fast 50 000 Pakistani dem Terror zum Opfer gefallen. Die Folgen seien verheerend. So besuchten immer weniger Kinder die Schule – an Feiern, Sporttage, Ausflüge etc. sei nicht zu denken. „Wenn heute eine Mutter ihren Sohne zur Schule schickt, hofft sie, dass er sicher zu ihr zurückkehrt, dass er auf seinen eigenen zwei Beinen kommt und nicht im Sarg.“
Im Oktober 2009 wurde ihre Mutter bei einem Bombenattentat schwer verletzt. Im Mai 2013 kam es zum Angriff auf die Computerfirma ihres Mannes, wobei auch ihr Mann verletzt wurde. Sie selbst hat darüber ihr Baby verloren – und wollte und konnte so nicht weitermachen.
Im August 2014 hat sie Peshawar verlassen, wollte in Lahore, wenige Kilometer von der Grenze zu Indien entfernt, einen Neuanfang. Aber sie selbst ist vom Volk der Paschtunen, und sie fühlte sich dort ausgegrenzt und diskriminiert: „Wir sind für die Menschen dort alle Terroristen.“ Als ihr klar wurde, dass sie und ihre Familie immer entsprechend behandelt würden, beschloss die Familie, ihr Glück und ihren Frieden in Europa zu suchen.
Als sie dann hier war, in Gmünd, und von dem Anschlag auf die Nachbarschule in Peshawar hörte, die Army Public School, habe ihr der Gedanke an all die Familien, die ihr Liebstes verloren, schier das Herz gebrochen. Es hört einfach nicht auf. Auch ihre Nichte besucht diese Schule, entkam dem Blutbad aber unversehrt.
So zerrissen sei sie, sagt sie, den Frieden, den sie sucht, findet sie nicht wirklich: So gerne würde sie helfen, dort, in ihrer Stadt Peshawar. „Aber sie haben einen Lehrer vor seinen Schülern im Klassenzimmer verbrannt. Als Lehrerin wollte ich tapfer sein. Als Mutter bin ich ein Feigling.“ Sie wünscht sich vor allem anderen, zu wissen, wie den Menschen in ihrer Heimat zu helfen ist.

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