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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Ein Wort wie ein Schiff gemalt: Kalligraph Zehrudin Mehedinovic schmückt den Bau der bosnisch-​islamischen Gemeinschaft im Schindelackerweg

Zahirovic Suljo, Vorsitzender der bosnisch-​islamischen Gemeinde, freut sich, einen bemerkenswerten Kalligraphen für das völlig um-​, ja ganz neugestaltete Gemeindezentrum im Schindelackerweg gefunden zu haben: Zehrudin Mehedinovic.

Donnerstag, 05. März 2015
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer


SCHWÄBISCH GMÜND (bt). In den meisten Kulturen war die Kalligraphie zu irgend-​einem Zeitpunkt wichtig, die Kunst des Schönschreibens. In Europa ist sie mittlerweile fast ausschließlich Kunstform und Hobby, meditative Beschäftigung mit ästhetischer Ausgewogenheit, auch eine Möglichkeit, Emotionen auszudrücken. Nicht selten war das Abschreiben heiliger Texte selbst sakraler Vorgang – das gilt der Bibel ebenso wie dem Koran. Und aufgrund des Bilderverbots im Islam kommt der Kalligraphie als wichtigstes Schmuckelement bis heute besondere Bedeutung zu. Die arabische Schrift wird hier selbst zum Kunstwerk; aus den Linien der Buchstaben entstehen Bilder, die über den Text hinausgreifen und eine weitere Bedeutungsebene aufbauen.
Bei Zehrudin Mehedinovic sieht ein Wort schon mal wie ein Schiff aus. Als der künstlerisch begabte Geistliche gehört hat, dass die Gmünder einen Kalligraphen suchten, war für ihn klar, sagt er, dass er diesen Auftrag wollte. Die Stadt sei in Bosnien bekannt. Es gebe nicht nur im Internet Bezüge, auch das bosnische Fernsehen habe über Gmünd berichtet, sowie über Veranstaltungen des Gmünder bosnischen Kulturvereins KUD-​Cardak. „Die Gmünder haben sich in Bosnien einen Namen gemacht durch ihre großzügige Bereitschaft, nach der Jahrhundertflut in Not geratenen Menschen mit viel persönlichem Engagement zu helfen. So etwas vergessen die Menschen in Bosnien nicht“, lässt der Kalligraph ausrichten. Dass er selbst jetzt in Gmünd arbeitet, gefällt ihm: „Für mich ist das die Gelegenheit, den Bewohnern der Stadt Schwäbisch Gmünd den Dank meiner Landsleute auszudrücken.“
Die bosnische Gemeinde hatte vor einem Jahr den Bau an der Moschee unterbrochen, um den Menschen im Krisengebiet zu helfen. Des Weiteren wurde Geld gespendet, das für den Bau im Schindelackerweg bereits verplant war – viel Geld für eine so kleine Gemeinde. Schwäbisch Gmünd sei eine im positiven Sinne sehr ungewöhnliche Stadt, sagt der Kalligraph, eine Stadt, die er zu den bei der Landesgartenschau aufgestellten Rekorden nur beglückwünschen könne. Er sei vor allem von den interreligiösen Aktivitäten und vom Miteinander positiv überrascht: Das kenne er so nicht. Zehrudin Mehedinovic hat mit mehreren Gemeinden in unterschiedlichen Städten und in verschiedenen Ländern gearbeitet, zuletzt in Hamburg und davor in Luzern in der Schweiz.
Immer wieder während seiner ersten Zeit hier sei der Name Joachim Bläse gefallen: „Dr. Bläse hier, Dr. Bläse da“ – zunächst habe er gedacht, von einem Arzt, einem „Allesheiler“ sei die Rede: Wer ist das, warum kann der so viel richten? Der Irrtum hat für Gelächter gesorgt, weil er eben einige Verwirrung stiftete. In diesem Zusammenhang gibt es auch ein großes Lob der Gemeinde für den Ersten Bürgermeister, der sich kümmere. Besonders Bläses Maxime „gemeinsam diskutieren anstatt gegeneinander demonstrieren“ habe beeindruckt.
„Die Gemeinde agiert sehr demokratisch und interreligiös“
Bürgermeister Dr. Joachim Bläse
Mehedinovic hat einfache und verständliche Suren aus dem Koran ausgesucht, die auch im Christentum Bedeutung haben. Er hat zudem den Vorschlag aufgegriffen, unter die arabische Kalligrafie eine deutsche Übersetzung zu schreiben. Es sei ihm wichtig, dass Besucher, die der arabischen Schrift und Sprache nicht mächtig seien, auch ohne Begleitung die übersetzten Suren lesen und sich über deren Bedeutung eigene Gedanken machen könnten. Das zeige dann die Verknüpfung der hier lebenden Bosniaken mit ihrer Stadt Schwäbisch Gmünd und dem Land, in dem sie sich entschieden hätten zu leben, nämlich Deutschland. Dass sich die Gemeinde in Gmünd wohl fühle, sei offensichtlich.
Bürgermeister Bläse spricht von guten Beziehungen zur bosnisch-​islamischen Gemeinde; dass deren Sprecher Fuad Koldzic Vorsitzender des Integrationsbeirats sei, erleichtere den Austausch. Die Gemeinde agiere sehr demokratisch und interreligiös; es gebe Interesse an Musik und Tanz und gute Jugendarbeit. Die bosnischen Muslime seien in vielen Gmünder Vereinen verwurzelt und mittlerweile fester Bestandteil im Integrationsbeirat und in Gmünd selbst; sie seien bereit, Verantwortung zu übernehmen und ihre Stärken in die Stadtgemeinschaft einzubringen. Der Kulturverein KUD-​Cardak wird sich in der nächsten Sitzung des Integrationsbeirats vorstellen.
Fuad Koldzic meint im Gespräch mit der RZ, die Gemeinde – vor neun Jahren von 52 Familien aus Ex-​Jugoslawien, also aus Bosnien, Serbien und Montenegro gegründet – sei verwurzelt in der Oststadt. Dass im 2009 im Schindelackerweg gekauften Gemeindezentrum Muslime zu Gemeinschaft und Gebet zusammenkamen, zeigte sich lange Zeit gerade mal am Briefkastenschild. Bald aber platzte das Haus mit seine Klassenzimmer, der Wohnung und dem Gebetsraum aus allen Nähten. Seit September 2013 wird nun gebaut. Die Bausubstanz war so schlecht, dass in weiten Teilen ganz neu gebaut wurde: „Abbruch und Neubau des vorhandenen genehmigten Gebetsraums auf der bestehenden Gebäudegrundfläche“, liest sich das im Amtsdeutsch. Koldzic bedankt sich bei den Nachbarn, die nicht nur keine Einwände geltend gemacht, sondern das Projekt auch mit guten Wünschen begleitet hätten. Rund 4000 Arbeitsstunden wurden seither ehrenamtlich geleistet; nicht eingerechnet die Leistungen von Firmen, die Arbeitskraft und oder Material spendeten – etwa beim Estrich oder beim Putz.
Für die heute über 130 Familien starke Gemeinschaft stehen auch Vorsitzender Suljo Zahirovic und Imam Mirhed Joldic, der fließend deutsch spricht und bei den „Glaubenswegen“ in der Oststadt sehr aktiv ist. Künftig wollen sie stärker in Erscheinung treten, zum Fastenbrechen einladen, Buchvorstellungen oder Vorträge organisieren. Künftige Gäste, so viel steht fest, haben einiges zu besichtigen: Bereits jetzt ist das Interesse an Zehrudin Mehedinovics Arbeit groß.

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