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Nachrichten Kultur

Florian Schröder und die Vergleiche

„Entscheidet euch!“ lautet die Botschaft, die Florian Schroeder am Freitag nach Iggingen mitbrachte. Er war der fulminante Schlusspunkt der diesjährigen VHS-​Kabarettreihe, die viele hervorragende Abende hatte.

Mittwoch, 29. April 2015
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 23 Sekunden Lesedauer


KLEINKUNST (wil). Florian Schroeder ist wohl einer der besten unter den jungen Kabarettisten, stets auf hohem Niveau, anständig in Sprache und Thema, vielseitig das Aufgegriffene und dazu ein begnadeter Parodist, der ein gutes Dutzend Prominenter in Tonfall, Mimik und Gestik perfekt drauf hat. Ob ein Interview mit Schäuble oder Oettinger, man erkennt jeden wieder, und wenn er Dialoge spielt, so hat er zur Unterscheidung genügend Dialekte vorrätig. Die Talkshow von Günther Jauch mit Markus Lanz, Angela Merkel und Karl Lauterbach kann er allein bestreiten und schließlich platzt noch der unvergessene Reich-​Ranicki in die Runde. Das Publikum lachte Tränen.
„Entscheidet euch!“ ist mehr als eine Aufforderung, mehr als auch nur Kabarett. Es ist eine Gesellschaftskritik par excellence, bei der Schroeder kein Thema auslässt. Was er in drei Stunden packt, könnte an jeder Universität als soziologisches Oberseminar gehalten werden. Sauber recherchiert sind seine Zahlen, gnadenlos grotesk seine Schlussfolgerungen. Wenn der Rubel rollt, dann muss es doch abwärts gehen — alles klar?
Natürlich geißelt Schroeder den Zeitgeist, fragt sich, ob der Mensch noch einen freien Willen hat und kritisiert die Vergleiche, zu denen wir überall genötigt werden. Es ist falsch, dass nur der optimal entscheiden kann, der alle Optionen kennt, denn dieses Wissen überfordert den Menschen. Als Beispiel zählt er die Shampoos von L’Oreal auf, über zwei Dutzend, die den Käufer im Regal erwarten. Von uns wird erwartet, zu allem eine Meinung zu haben und so verdammt er die Netzkommentare, meist voller Rechtschreib– und Grammatikfehler. Dabei sind die Vergleiche die Ursache allen menschlichen Leids, wie der Psychologe Schroeder zu vermitteln weiß.
Dann sein Streifzug durch die Politik, über die WM in Russland und Katar, die Olympiabewerbung ausgerechnet von Hamburg (Elbphilharmonie) und Berlin (Flughafen) und logisch kommt er zu dem Schluss, dass die Olympiade 2092 in Stuttgart sein müsse. Aktuell zitiert er Gysi mit der „rechten und linken Gewalt“ und die Journalisten mit der Berichterstattung zum German Wings Absturz.
Doch zurück zum Privaten. In Beziehungsdingen entscheiden die Frauen und so bleibt er einige Minuten beim beliebten Geschlechterkampf. Der moderne Mann müsse spüren, was die Frau will, noch bevor sie es weiß. Schonungslos wird die weibliche Logik entlarvt, die dem Mann das Wort im Munde herumdreht. Und wie der Mann sein soll? Er hat keine Hühnerbrust, er isst sie. Wobei Schroeder von der Fortpflanzung über social freezing zur Ernährung kommt und die Veganer aufs Korn nimmt, die „Gemüse-​Taliban“, die so vom Humor befreit sind wie ihr Essen vom Geschmack.
Auch die Kindererziehung hat es ihm angetan, die Frühförderung, damit das Kleine zum Global Player herangezüchtet werden kann. Dabei ist dies nichts anderes als die Projektion der Elternwünsche in das Kind, die dessen schulischen Misserfolg nicht aushalten.
Hier ist Schroeder trotz allem Humor und aller Gags an einer Wunde unserer Gesellschaft angekommen. Nur ein Schritt ist es für ihn, die sprachlichen Verrenkungen einer korrekten Sprache aufs Korn zu nehmen, die aus den Brüsten oder Titten das „kugelförmige Fettgewebe von Wesen mit Menstruationshintergrund“ macht. Zuletzt kommt er auf die „drei Vs“ unserer Zeit: Verbote, Verzicht und „Vitness“ und schildert, wie der vor allem behütete Mensch von Ein-​Euro-​Jobbern mit Schutzhelm versehen in Gruppen über eine beampelte Straße geführt wird. Und hier greift seine Mahnung: am schlimmsten sind die Entscheidungen, die wir gar nicht treffen. Das mussten alle die erleben, die sich zu spät zum Kartenkauf entschieden haben.

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