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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Streit um Nötigung durch einen Flüchtling aus Afrika und um eine Müll-​Kamera vor dem Gmünder Amtsgericht

Eine solche Gerichtsverhandlung hat das Amtsgericht noch nicht gesehen: Mit äußerst strengen Sicherheitskontrollen der Justiz und unter Polizeischutz ging dort am Montag eine Verhandlung wegen des Vorwurfs gemeinschaftlicher Nötigung über die Bühne. Tagsüber begleitet von lautstarken Protestzügen einer Gruppe von Flüchtlingen aus Afrika durch Gmünd und schließlich auch vor dem Amtsgerichtsgebäude (Bild).

Montag, 11. Mai 2015
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

Richter Hegele, Erster Staatsanwalt Burger und Rechtsanwalt Unrath sowie eine zeitweise sichtlich überforderte Dolmetscherin versuchten das Verhalten des aus Nigeria stammenden Angeklagten Charles E. am 3. März letzten Jahres in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge auf dem Hardt sowie bei einer „Gewahrsamsnahme“ durch die Polizei aufzuklären. Bevor dies geschah, gab’s gestern lautstarke Demos vornehmlich von etwa 25 Asylbewerbern aus Afrika. Den mitgeführten Plakaten und verteilten Flugblättern war „massive Polizeibrutalität“ und sogar der Vorwurf eines Messerangriffs eines Hausmeisters des Landratsamtes auf Asylberwerber auf dem Hardt zu entnehmen. Im Amtsgericht herrschten Sicherheitsvorkehrungen mit Personenschleuse und Körperkontrollen strenger als auf jedem Flughafen. Dazu absolutes Fotoverbot, um diesen Aufwand zu dokumentieren. Sogar der Rucksack des RZ-​Redakteurs mit dessen alltäglicher Ausrüstung wurde bis ins Detail inspiziert, die Jacke peinlichst durchfingert. Am Amtsgericht waren schätzungsweise ein Dutzend Polizei– und Justizbeamte im Einsatz.
Konkret ging es um einen Strafbefehl wegen gemeinschaftlicher Nötigung, weil der Angeklagte am 3. März Mitarbeiter der Betreuungsbehörde (Landratsamt) sowohl bei der Arbeitsaufnahme um 12.30 Uhr als auch bei der Heimfahrt in den Feierabend um 16 Uhr zusammen mit anderen blockiert habe. Auslöser war der Protest einer kleinen Gruppe von Bewohnern der Gemeinschaftsunterkunft gegen eine vermutete „Videoüberwachung“ der Eingänge. Die Demonstranten forderten damals einen sofortigen Abbau dieser Kamera. Die Demos entwickelten sich damals zu Tumulten, weshalb praktisch den ganzen Tag über im Polizeirevier Gmünd mit regionaler Verstärkung Großalarm ausgelöst wurde. Bis zu 80 Polizisten mussten die Mitarbeiter der Gemeinschaftsunterkunft bei Arbeitsantritt nach der Mittagspause schützen und nach einstündiger Wartezeit deren Fahrt in der Feierabend gewährleisten. Acht Zeugen wurden vernommen, Mitarbeiter der Gemeinschaftsunterkunft und Polizeibeamte. Hierbei wurde die bedrückende Situation am besagten Tag und der Widerspruch zu Demos und Tumulten deutlich. Was die von einer Gruppe von Asylbewerbern beanstandete Video-​Überwachung anbelangt, wurde von den Zeugen eine übereinstimmende Beurteilung dargelegt: Die Kamera war lediglich auf die Müllcontainer gerichtet, um „Fremdpersonen“ vor einem Missbrauch durch wilde Müllablagerungen abzuschrecken. Es sei zudem eher eine „Pseudo– und Billigkamera für 100 Euro“ gewesen, auf deren Aufnahmen eh keine Person oder Autokennzeichen zu erkennen gewesen sei. Zehn von elf Bewohnervertretern (Flusprecher) hätten sich sogar im eigenen Interesse für diese Videoüberwachung ausgesprochen. Angeklagter Charles E. und etwa 25 Mitstreiter haben sich dagegen in ihrer Privatsphäre eingeschränkt gefühlt.
Die aktuelle Situation heute wurde auch beschrieben: Der Raum zur Kamera wurde in der Zwischenzeit aufgebrochen, das Gerät gestohlen und vom Landratsamt nicht wieder ersetzt.
Am 3. März kam es zu Tumulten und Straßenblockaden. Alle Zeugen erkannten im Angeklagten ein Anführer, der mit einem Megaphon nur herum gebrüllt, sich sehr aggressiv und für Gesprächsangebote völlig unzugänglich gezeigt habe. Eine Gewahrsamsnahme durch die Polizei, die laut Charles E. mit „Brutalität“ durchgeführt worden sei endete in einer Gefängniszelle im Polizeirevier. Dort waren die Ordnungshüter, so ergaben die weiteren Zeugenaussagen, vor die nächste wirre Situation gestellt. Das Revier wurde von einer lautstarken Protestversammlung belagert, die eine sofortige Freilassung von Charles E. und weiteren drei Festgenommenen forderten. Der als Zeuge geladene Einsatzleiter und Vize-​Revierchef versicherte jedoch, dass die Vier sich trotz Aufforderung der Polizisten weigerten, das Polizeirevier wieder zu verlassen. Dafür wurde geschildert, wie an diesem Tag nur durch massive „Polizeiketten“ die Mitarbeiter der Gemeinschaftsunterkunft geschützt werden konnten.
Mehrere gleichfalls als Zeugen geladene Mitarbeiter der Gemeinschaftsunterkunft, darunter auch eine Sozialarbeiterin, schilderten Charles E., der heute als Hartz-​4-​Empfänger in einer Wohnung in Gmünd lebt, als „bekannten Unruhestifter.“
Der Angeklagte wehrte sich in der Verhandlung mit Gegenfragen und eigenen Darstellungen, wonach die Versammlungen der sogenannten Flursprecher in Sachen Videokamera unrechtmäßig gewesen seien und die Hausmeister sich gegenüber den Menschen dort „brutal“ verhielten. Einer aber gab dem Richter zu, dass er tatsächlich mal mit den Nerven völlig fertig gewesen sei und es mit der Angst zu tun tun bekommen habe, weil er von einer kleinen Gruppe bedroht, ja regelrecht gejagt worden sei und er sich deshalb mit einem Griff zum Messer vor einem drohenden Übergriff habe schützen wollen.
Der turbulente und augenscheinlich überdurchschnittlich kostenintensiv Verhandlungstag endete mit der Bestätigung des ursprünglichen Nötigungsvorwurfs aus dem Strafbefehl:. Der Gmünder „Ausnahme-​Neubürger“ Charles E. muss 25 Tagessätze zu jeweils fünf Euro an die Gerichtskasse zahlen.

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