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Ziemlich zwiespältig: Webers Oper „Der Freischütz“ in der Inszenierung des Pforzheimer Theaters

Zwiespältiger konnte der Eindruck kaum sein: Webers „Freischütz“ in einer beeindruckenden Inszenierung des Theaters Pforzheim mit Ideenreichtum in vielen Details. Dann aber irritieren verzwungene Regie-​Einfälle Von Peter Skobowsky

Dienstag, 13. Oktober 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 55 Sekunden Lesedauer

OPER. Damit setzt sich diese Aufführung zwischen alle denkbaren Stühle: Viele halten sich genau an Friedrich Kinds Libretto, Loriot pointiert augenzwinkernd mit Lust am optischen Detail, ohne die Substanz anzugreifen. Die Pforzheimer wecken zu Beginn gekonnt Appetit: Da ist das zumeist ausgezeichnet agierende Orchester unter GMD Markus Huber, der mit Umsicht, straff, aber mit dem Gespür für das Wesentliche führt und seinen Vokalpartnern ein zuverlässiges Fundament zur Entfaltung bietet.
Die Hörner patzten beim ersten Einsatz, dann glänzten sie permanent. Zu den satten Streichern gesellte sich packendes Blech samt Pauken, ein rundes Holz, wunderbar durchgestaltete Klarinettenpassagen und ein exzellentes Bratschensolo zu Ännchens Romanze von der „sel’gen Base“ oder ihrer, Agathe aufmunternden, Arie „… holde Freundin, zage nicht!“. Da spürte man die Freude des Ausdeutens jenseits bloßer Routine!
Chor und Ensembles (z. B. der Brautjungfern) bestechen in Klang und Aktion, nicht nur beim „Jägerchor“. Das Bühnenbild (Verena Hemmerlein) versagt sich jedem Schnickschnack, ohne deshalb puritanisch-​karg zu verkürzen. Die Lichtregie (Peter Halbsgut) mit symbolischer Farbeindeutigkeit und oft in Silhouettenmanier unterstreicht treffend das Geschehen. Dann aber geht es los: Eine Frauengestalt (Wirtin, scheinbar „käufliche“ Dame) ist ständig präsent: alter ego? Spiegelung der Handlungsebenen? Später lüftet Regisseurin Bettina Lell das Geheimnis: In „Personalunion“ spielt Lilian Huynen — den schwarzen Jäger(teufel) Samiel! Und — als ob es noch des i-​Punkts bedürfe — erscheint sie in der Schlussszene im Brautkleid, sodass der arme Jägerbursche Max bis zuletzt ambivalent zwischen ihr und seiner Braut Agathe hin und her schwankt! Fazit: Kunst kommt von Können — hier dominierte das Wollen. Und warum Erbförster Kuno zu Beginn Ännchen ohrfeigt und in der Brautjungfernszene aus dem Brautgemach jagt, bleibt ebenso das Geheimnis der Pforzheimer Macher wie die Anweisung, dass Ännchen zu Bett geht, um dann doch wieder aufzutauchen, oder den Totenkranz auf– und sich zum toten Kaspar setzt, als ob sie seine Geliebte wäre. Zu guter Letzt spendet der Eremit dem sterbenden und fluchenden Kaspar die Krankensalbung — ein in des Wortes ursprünglichem Sinn „tolle“ Verfremdung: synkretistisch integrierte Gesamtjenseits-​Assoziation? Fürchterlicher kann Dualismus nicht fehlgedeutet werden.
Das alles wäre ja noch verkraftbar, wenn nicht zugleich das Romantische regelrecht exekutiert wird: In der Wolfsschluchtszene wird der dramatische Dialog, der zugleich die sich steigernde Angst Kaspars ausdrückt, komplett gestrichen — ebenso wie die „Pforten der Hölle“. Kaspars Beschwörung wird von der Samiel-​Darstellerin eher teilnahmslos, geradezu beiläufig „beantwortet“. Statt der Augen eines Wiedehopfs oder Luchses müssen es das Auge eines Kindes (!) und eines Feindes sein. Und dann wird ein Kind in das Geschehen „eingebaut“ mit entsprechenden Weiterungen. Haben die Macher eine Mindestahnung von der Tiefe kindlicher Seele? Übrigens: Nicht Kaspar gießt die Kugeln, sondern die „Samielin“. Das Kind darf die Zahlen im Echo nachschreien. Fazit: Das Ganze ist der Versuch einer „Quadratur des Kreises“: Entmythologisierung der Sage, Kastrierung von deren Mitteln einer emotionalen Sprache, Verfremdung und — wie originell — Neuerfindungen, welche dem Librettisten posthum unter die Nase reiben, wie man den „roten Faden“ zu spinnen hätte. Als ob der heutige Mensch in der Renaissance von Spiritismus und Okkultismus nicht die Sprache und Intention des Originals verstünde.
Natürlich standen all dem viele andere, logisch zwingende, menschlich treffende Details gegenüber, vor allem in den Interaktionen der Rollen: z. B. die genannten Chöre der Bauern, Jäger, der Brautjungfern, die sich eifersüchtig in Szene setzen müssen, die „wilde Jagd“ (im Vorspiel akustisch zu weit weg) …
Die Solisten wurden allesamt ihrer Aufgabe spielerisch und stimmlich gerecht: Vor allem die Hauptrollen ließen aufhorchen: Agathe (Tonje Haugland) und Max (Daniel Brenna) — beide ausgeprägte Lyriker mit dramatischem Zuschnitt; ein quirliges, ganz natürliches Ännchen (Elif Aytekin) mit gewinnend sympathischer Ausstrahlung; Erbförster Kuno (Klaus Geber), der gegen die Vorlage manchmal ruppig daherkommen musste; Fürst Ottokar (Stefan Hagedorn), der bei seinem hochdramatischen „Nein“ leider die bequemere Variante sang; Kaspar als böser Jägerbursche (Axel Humbert), dessen schauspielerische Kompetenz die sängerische überbot; der Eremit (Aleksey Ivanov) in überzeugender Würde; schließlich alle Nebenrollen, die keineswegs nebenbei wirkten.
Wäre Vieles von dem, was im instruktiven Programmheft diskutiert wurde, schlüssig umgesetzt worden, das Pforzheimer Theater hätte der Serie der vorherigen Aufführungen in Schwäbisch Gmünd das nächste Glanzlicht aufgesetzt. So blieb der Eindruck zwiespältig.

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