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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Wie die hochoffizielle Ehrung für Manfred Köhnlein zu einem lauten, bunten Fest werden konnte

Professor und Pfarrer, Protestierer und Protestant. Sterntaler-​Mann. Er war Friedenskämpfer, Gefangenenbetreuer, Flüchtlingsvater. Er ist ein Freund Israels und ein Unterstützer arabischer Familien. Er ist Manfred Köhnlein. Und am Freitag wurde ihm im Beisein der Familie und all seiner Freunde das Bundesverdienstkreuz verliehen. Von Birgit Trinkle

Montag, 05. Oktober 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND. Einer wie Manfred Köhnlein tut sich schwer mit Ehrungen. Aber er hat sie akzeptiert, dankbar für vieles und vor allem für die Menschen im Saal, mit denen er ein „Sozialfest“ feiern durfte. Wie es die jungen Tiramisu-​Sänger in einem ihm gewidmeten Lied formulierten: Es war sein großer Tag. Bereits bei diesem ersten Gruß durch den Schulchor der Klosterbergschule wurden Taschentücher gezückt, und wohl jeder und jede im Saal spürte, dass dieser Abend so ganz anders werden würde als all die anderen Ehrungszeremonien.
Bürgermeister Joachim Bläse erklärte, diese Ordensverleihung werde in die Geschichte der Stadt eingehen: So viele Menschen aus so vielen Ländern, so viele persönliche Beiträge, so viele Partner, die „das Leben in der Stadt ausmachen“. Bläse sprach in seinem sehr persönlichen Beitrag von Begegnungen und Begebenheiten, die ihn tief bewegt hätten. Er war es auch, der Köhnleins Verdienste aufzählte. Der Mann der 1970 als PH-​Dozent begann, Anteil zu nehmen, widmete sich unterschiedlichsten Lebensbereichen mit dem einen gemeinsamen Nenner: Es galt, die Schwachen zu stärken. Zunächst betreute er vier lebenslänglich Inhaftierte in Gotteszell und organisierte wöchentliche Treffen von Studierenden und Gefangenen. Über ein Jahrzehnt engagierte er sich bei Terre des Hommes Deutschland in der Adoptionsvermittlung verlassener, „fremdländischer“ Kinder, nahm selbst Kinder auf. Von diesem Zeitpunkt an hat die Familie Köhnlein nie aufgehört, Fremde bei sich aufzunehmen und ihnen nach Kräften das Gefühl zu geben, angekommen zu sein. Er wurde Gründungsmitglied des Arbeitskreises „Gmünder Flüchtlingshilfe“, Mit-​Initiator des Projekts „Schule für Alle“ und vermutlich ist es sein größtes Verdienst, den Kindern der Flüchtlinge Orientierung gegeben zu haben und mit schier unerschöpflicher Energie für ihr Recht auf Bildung einzutreten — nicht wenige dieser Kinder wurden exzellente Schüler und Studenten. In der Friedensbewegung war er aktiv, und schließlich wurde er zum „Glücksfall für die Lebenshilfe“. Ach ja, er war auch Kreisrat und langjähriger streitbarer und wortgewaltiger Gemeinderat.
Diese „außerordentlich vielfältigen Verdienste“ würden nun mit dem Verdienstorden auch öffentlich anerkannt, so der Amtschef im Arbeits– und Sozialministerium, Ministerialdirektor Thomas Halder, der Köhnlein das Bundesverdienstkreuz am Bande verlieh. „Nichts ist wichtiger für eine demokratische Gesellschaft als das Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger für die gemeinsamen Belange“, so Halder. Diese Auszeichnung sei ein sichtbares Zeichen des Dankes für beispielhaftes, weit über das normale Maß hinausgehendes Engagement: „Dadurch werden Leitbilder gesetzt, an denen sich andere orientieren können“.
Hans und Ursula Häußler lasen aus Köhnleins Buch „Aus aller Herren Länder“ und erinnerten damit an die späten 80er Jahre, in denen sich jeden Mittwoch bis zu hundert Fremde und Einheimische zum „Tee im Franziskaner“ trafen — zu Wärmestube, Kinderbetreuung, Nachrichtenbörse, Soziallazarett. Zu kleinen Fluchten aus der Traurigkeit.
Aus der Flüchtlingskaserne waren Trommler aus Kamerun und Gambia gekommen, die Manfred Köhnlein schließlich auch noch ein Lied schenkten. Köhnleins Freund Volker Göhrum las ein Gedicht des Geehrten, das mit zu dessen Ehrenname „Vater der Heimatlosen“ beigetragen hat. Gerichtet sind diese Verse an ein Gmünder Ehepaar, das sich über die (damals) am Marktbrunnen „herumlungernden“ Fremden echauffierte, und denen er, ganz ohne erhobenen Zeigefinger, ein paar tränentreibende Einblicke in den Asylanten-​Alltag schenken wollte. Und da waren sie plötzlich gegenwärtig, die 80er, 90er Jahre: Die Asylanten teilen sich zu siebt ein Zimmer, 30 Mann warten darauf, die Dusche benutzen zu können. Sie gehen die Bocksgasse auf und ab, weil sie nicht arbeiten dürfen. Und nicht reisen. Wenn sie den Freund besuchen, der in Stuttgart so sehr unter Heimweh leidet, kostet sie das 50 Mark. Dass sich die wesentlichen Fakten bis heute nicht verändert haben, daran erinnerte Köhnlein später in seiner Ansprache, wortgewandt wie immer. Muss sich Nächstenliebe rechtfertigen? Genügt es nicht, Heimatlose einsam und Unterdrückte hilflos zu sehen? Auch solche Fragen wurden bei dieser etwas anderen Ehrung angesprochen. Aus Köhnleins Buch „Abgelehnt — Protokolle von Fortschicksalen“ las Göhrum schließlich das „Stockbetten“-Kapitel.
Stadtrat Elmar Hägele zitierte aus einer Rede Manfred Köhnleins im Gemeinderat: „Keine Nuklearraketen in Gmünd“. Wie lange hatten Friedensaktivisten darum gekämpft, das Thema im Gmünder Gemeinderat auch nur diskutiert zu sehen, wie schwer war es, sich auf einen „Minimalkonsens der Vernunft“ zu einigen — in diesem Zusammenhang sprach Hägele „die heute drohende Klimakatastrophe“ an. Unterbrochen vom Keyboard-​Ausnahme-​Musiker Kilian Wilke gab es mehrere dieser Beiträge, die deutlich machen, wie bemerkenswert diese Auszeichnung des streitbaren Rechberger Professors ist. Brigitte Abele und Susanne Lutz, für die Grünen im Gemeinderat, lasen aus der wohl bekanntesten Rede Manfred Köhnleins im Gmünder Gemeinderat: „Ein Gedankenstrich – kein Schlussstrich“, die letztendlich den Ausschlag dafür gab, dass heute auf der Gedenktafel an die Opfer der Nazizeit die Namen derer zu finden sind, die den Terror nicht überlebt haben. „Auch in dieser Stadt ist gelitten worden, auch in dieser Stadt ist die Menschenwürde mit Füßen getreten worden“. Köhnlein war es, der diese Gedenktafel am Prediger sehen wollte, einstige Schaltzentrale des Schreckens, und nicht auf dem Friedhof („sollen die Toten der Toten gedenken?“).
Als dann Rosemarie Abele, langjährige Vorsitzende der Lebenshilfe, schilderte, was Manfred Köhnlein in seinen 30 Jahren bei der Lebenshilfe erreicht hat, wie er als Mitbegründer der Stiftung Sterntaler den Lern– und Spielgarten im Sterntaler-​Kindergarten auf dem Hardt überhaupt erst möglich machte, war das ein ganz besonderer Beitrag: Mit den Tränen kämpfend schilderte Abele, wie ein blindes, mehrfach schwerstbehindertes Mädchen in der Nestschaukel jubiliert, wie kleine Rollifahrer durch den Garten preschen, wie Kinder lernen, sich selbst zu bewegen. Dank der Sterntaler-​Zuschüsse wird auch alternden Behinderten geholfen — und die größte Angst ihrer Eltern, das hilfsbedürftige „Kind“ alleine zurücklassen zu müssen, gemildert.
Manfred Köhnlein erklärte aus seinem Christsein heraus, warum er sich den jeweiligen Fragen der Zeit gewidmet hat, Schicksale „nicht an der Haustür abwimmeln“ konnte. Er bedankte sich bei der „stark liberalisierten Stadtverwaltung“, die dieses „Wiedersehens– und Sozialfest“ möglich gemacht habe, und wie es so seine Art ist, legte er den Finger dann in die eine oder andere Wunde, die ihm bis heute keine Ruhe lässt. Als er seiner Frau dankte, die Flüchtlingskinder unterrichtet und so viele Fremde aufgenommen hat, ihre Betten bezogen, ihre Socken gewaschen und ihre religiösen Vorschriften beachtet, als er ihr dann auch noch ein ganz persönliches „Verdienstkreuz“ überreichte, war der ganze Saal auf den Beinen und applaudierte.

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