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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Ärzteforum organisierte Podiumsdiskussion zum Thema „Kinderwelt ist Bewegungswelt“

Was brauchen Kinder, wie verhilft man Kindern am Besten zu einem guten Start ins Erwachsenenleben? Vor allem: Was bewirkt mangelnde Bewegung und wie lässt sich dem begegnen? Diese Fragen bestimmten die jüngste Veranstaltung des Ärzteforums.

Mittwoch, 07. Oktober 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 50 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (rz). Der Sportpädagoge Dr. Dieter Breithecker, der auch den Vortrag gehalten hatte, sowie die Experten auf dem Podium sehen große Gefahren für Kinder — und damit meinen sie nicht, dass diese einen Beinbruch riskieren, wenn sie in einem Baum herumturnen.
Der zunehmende Medienkonsum aber sei ein Problem, also dass Kinder zunehmend Erfahrungen aus zweiter Hand machen. Sie haben weniger Spielpartner und beschäftigen sich viel zu oft alleine. Auch die „verplante Kindheit“ bereitet Sorgen, dass Kinder vereinnahmt werden durch organisierte „Events“ und angeleitete Aktivitäten Erwachsener. Unter „gutgemeinter Überbehütung“ wiederum verstehen die Fachleute verunsicherte Erwachsene, die Kinder in ihrem spontanen Bewegungswillen und Spieltrieb einschränken. All das führe zu einer einseitigen Stimulierung des Seh– und Hörsinnes, während andere Sinne und hier insbesondere das Tasten sowie die Sinne, die für das Körper– und Bewegungsgefühl verantwortlich sind, vernachlässigt werden.
Experte Breithecker sieht den entscheidenden Spannungsbogen zwischen Fremdbestimmung und Selbstverantwortlichkeit, zwischen Bewahrungen, etwa durch Verbote, und Freiräumen zur Verankerung eigener Erfahrungen. Wo er dafür plädierte, Kindern unbedingt freie Hand zu lassen, hielt Prof. Axel Horn, Institutsdirektor und Abteilungsleiter Fachgebiet Sport an der PH: Er sprach von Bewegungsqualität, von einer Erziehung zur Bewegung: Es gebe gewisse Kriterien, etwa beim Weitwurf, wie Bewegung gelinge; diese müssten erarbeitet werden. Früher sei vieles durch das Vorbild der Eltern vermittelt worden, doch das Elternhaus gebe solche Aufgaben mehr und mehr an die Erzieher ab.
„90 Prozent aller Kinder sind heute nicht mehr fähig, eine Minute lang auf einem Bein zu stehen“, sagt Dr. med. Jürgen Wacker, erfahrener Orthopäde und Sportmediziner; bereits heute hätten zehn Prozent der Zehnjährigen und 15 Prozent der Fünfzehnjährigen Probleme mit dem Rücken; Verletzungen wie der Kreuzbandriss seien bei Kindern früher unbekannt gewesen. Wacker macht „die fehlende Basiskompetenz“ der Kinder als Ursache aus und gibt zu bedenken, dass da „einiges auf uns zukommt“. Auch aus anderen Berufsfeldern wird gewarnt.
Axel Horn erklärte, durch mangelnde Bewegung nehme die Leistungsfähigkeit der Kinder ab, sie würden weniger belastbar. Er macht „unser einseitiges Verständnis von Bildung“ dafür verantwortlich; die ästhetische Bildung, zu der er auch den Sport zählt, sowie die soziale und die ethische würden sträflich vernachlässigt.
Dr. Jochen Riedel, Chefarzt der Kinderklinik Schwäbisch Gmünd, nannte Bewegung ein Grundbedürfnis, etwas, das Organ– und Persönlichkeitsentwicklung gleichermaßen unterstütze und die Intelligenz fördere. Konkret sprach Riedel von Übergewicht, Koordinationsstörungen und anderem bis hin zu Problemen mit Sozialkompetenz und Teamfähigkeit.
„Die Zeitbombe in Sachen Kinder und Gesundheit tickt“, erklärt Fred Eberle, Erfolgstrainer und DLV Präsidiumsmitglied für Zukunftsfragen, seit langem. Auch er zeigte auf, dass „wir eine bewegungsarme Gesellschaft sind. Es gehe nicht um die Kinder in den Sportvereinen; dringend gebraucht werde ein Grundausbildungsprogramm. Kinder müssten „fähig gemacht werden für Bewegung und Sport“. Eberle skizzierte am Beispiel eines Gemeinschafts-​Staffellaufs, wie er sich das vorstellt. Dass Kinder überall hingefahren würden, etwa mit dem Auto zur Sporthalle gebracht, findet Eberle ebenfalls kontraproduktiv.
„Mit Sport allein ist es nicht getan“ — griff Dieter Breithecker den Tenor seines Vortrags auf. Immer weniger könnten sich Kinder an der Gestaltung der Welt beteiligen, immer weniger hätten sie Freiräume, um ihre eigene Kreativität spielerisch zu entdecken. Statt dessen würden sie mit Reizen überflutet und verängstigt, daran gehindert, eigene Erfahrungen bei der Bewältigung von Schwierigkeiten und Problemen zu machen: „Sie lernen nichts weiter, als dass nichts Spaß macht; sie verlieren ihre Neugier und Begeisterungsfähigkeit oder sie wenden sich anderen Dingen zu“. Einig waren sich bei dieser Veranstaltung alle Teilnehmer darin, dass gegen diese Bewegungsarmut mit vereinten Kräften und auf vielerlei Ebenen vorgegangen werden müsse.
Organisiert wurde der sehr gut besuchte Abend vom Ärzteforum Gesundheit Schwäbisch Gmünd. Seit sieben Jahren gibt es diesen regionalen Zusammenschluss von engagierten Ärzten aus der Praxis und dem Klinikum Schwäbisch Gmünd.

Zu den Zielendes Ärzteforums Gesundheit Schwäbisch Gmünd gehören die Stärkung des Präventionsgedanken, die Verbesserung der Kooperation und Vernetzung innerhalb der Ärzteschaft sowie zwischen Klinik und Praxis durch gemeinsame Aktionen und die Garantie der Qualität der angebotenen Leistungen.

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