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Heute vor 125 Jahren wurde Jakob Wilhelm Fehrle geboren, Gmünds bekanntester Bildhauer des 20. Jahrhunderts

Die Gmünder glauben „ihren Fehrle“ zu kennen. Bis heute gehören Werke dieses Gmünder Künstlers zum Stadtbild, stehen im öffentlichen Raum oder in Kirchen. Er war der Bildhauer der Mädchen und Frauen, dem Realismus und dem Figurativen verpflichtet. Heute vor 125 Jahren, am 27. November 1884, wurde er geboren. Von Reinhard Wagenblast

Freitag, 27. November 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

KUNST. Mädchen und Frauen sind das Zentralmotiv in Fehrles enorm umfangreichem künstlerischen Schaffen. Es gibt wohl zahlreiche Porträtbüsten von Männern, doch nicht einmal eine Handvoll Männerakte, sagt Claudia Fehrle-​Choms, die Tochter von Jakob Wilhelm Fehrle und Nachlassverwalterin. Nahezu alle Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts reflektierte Fehrle in seinem fast 90 Jahre währenden Leben am weiblichen Aktmodell: in der Zeichnung und in der Malerei, vor allem aber im vollplastischen Werk, in Gips und Ton, in Steinguss und Holz, in Bronze und Alabaster.
Er ist der Bildhauer der „Mädchen und Frauen“, wie der Titel der bislang letzten großen Fehrle-​Ausstellung im Gmünder Museum im Prediger lautete, die im Frühjahr 2005 gezeigt wurde. Damals wurden über 100 Arbeiten gezeigt, die alle Jahrzehnte seines Schaffens umfassten – von der Zeichnung bis zur großen Plastik. Führungen nahmen Interessierte mit auf Rundgänge durch Schwäbisch Gmünd zu den mit dem typischen „IWF“ signierten Werken im öffentlichen Raum, vom kleinen Relief bis zum Kriegerdenkmal auf dem Marktplatz.
„Fehrles Arbeiten sind bis heute weit über Süddeutschland hinaus bekannt und geschätzt“, schrieb das Gmünder Museum zur Schau vor vier Jahren. „Unzählig sind die Skulpturen und Figurengruppen, die er im privaten und öffentlichen Auftrag geschaffen hat – sei es für Gärten oder Plätze, für Brunnen oder Grabmäler. Somit bietet die Sicht auf Fehrles Werk nicht nur einen Blick auf eine lange Periode der Kunst– und Gesellschaftsgeschichte, die folgenreiche stilistische, ästhetische, politische und wirtschaftliche Umbruchsphasen aufweist. Zu denken ist an Historismus und Jugendstil, Expressionismus und Kubismus, Kaiserreich, Weimarer Republik und zwei Weltkriege, an Nationalsozialismus und Nachkriegsdemokratie.“
Jakob Wilhelm Fehrle, Sohn eines Gmünder Handelsgärtners, wollte früh Künstler werden, zunächst absolvierte er jedoch eine Lehre als Ziseleur bei der Gmünder Metallwarenfabrik Erhard und Söhne. 1904 ging er an die Kunstakademie nach Berlin, wo sein Interesse für Großplastik geweckt wurde. Er wechselte an die Münchner Akademie und ging 1909 für ein Jahr nach Rom, wo er im eigenen Atelier arbeitete, zwischen Bildhauerei und Malerei schwankte und sich mit der Antike und dem Barock auseinandersetzte. Die entscheidende Station seiner Entwicklung waren zweifellos die Pariser Jahre von 1911 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Hier studierte er im „Weltmuseum Louvre“, wie er die damals bedeutendste Kunstsammlung selbst nannte und setzte sich sehr intensiv mit der indischen Plastik auseinander. „Mit offenen Sinnen für das Neue“, so schrieb er selbst in einem autobiographischen Rückblick anlässlich seines 50. Geburtstages, „stand ich in der atemlosen Entwicklung – aber vielleicht war ich doch zu sehr bedächtiger Schwabe, um mein Schaffen rückhaltlos den neuen Ideen unterzuordnen.“ In Paris lernte er Künstler wie Georg Kolbe, Wilhelm Lehmbruck, Aristide Maillol, Paul Klee und Pablo Picasso kennen und fand zu seiner eigenen Formensprache. Die entfaltete er in den 20er-​Jahren. Doch zunächst war er von 1914 bis 1918 Soldat an der Westfront, gegen sein vorheriges Gastland. Es hat ihm zu schaffen gemacht, wie man aus Briefen weiß, und vielleicht auch seine Entscheidung beeinflusst, nach Gmünd zurückzukehren. Er heiratete Klara Maria Menrad (1885 – 1955), die selbst als Autodidaktin künstlerisch tätig war. Fehrle erwarb ein altes Fachwerkhaus samt Obstgarten am Zeppelinweg, der Architekt Paul Schmitthenner entwarf ihm dort ein Atelier – im Gegenzug zierte Schmitthenners Wohnhaus eine Engelsfigur Fehrles. In diesen Jahren hat sich Fehrle entschieden – für die Bildhauerei, für eine sich am Realismus orientierende Figürlichkeit. Maillol und Lehmbruck sind Vorbilder. Er entwickelte einen Stil, den er selbst als „barocke Gotik“ beschrieb, ungewöhnlich schlanke und bewegte Bildwerke, darunter eine Verkündigungsgruppe von 1922, die sich heute im Gmünder Museum befindet. Fehrle etablierte sich und erhielt 1928 den Professorentitel.
Der Erfolg hielt in den 30-​er Jahren an, wuchs sogar noch durch große öffentliche Aufträge der NS-​Machthaber. In Gmünd schuf er das Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, eine neun Meter hohe Bronzesäule, ein Trajanssäulen-​Zitat mit umlaufendem Relief ausziehender, kämpfender und fallender Soldaten, gekrönt von Hakenkreuz und Reichsadler, aufgestellt 1935. Seit 1948 steht eine Engelsfigur mit Flammenschwert darauf. Auch dieser Wächter des Paradieses ist ein Werk Fehrles.
Wie leicht oder schwer es ihm fiel, daran scheiden sich die Geister
Fehrle lavierte und passte sich an – wie leicht oder schwer es ihm fiel, daran scheiden sich bis heute die Geister. Es sei daran erinnert, dass in einer seltsamen Gegenläufigkeit noch 1937 Werke von ihm aus der Stuttgarter Staatsgalerie und dem Ulmer Museum als „entartet“ beschlagnahmt und nach Berlin gesandt wurden. Hinzu kam die seit den 30er Jahren deutlicher werdende psychische Erkrankung seiner Frau, deren Leben zunehmend gefährdet war. Kurz vor Kriegsende musste er sie aus der Göppinger Heilanstalt Christophsbad zurückholen, um sie vor der drohenden Ermordung zu schützen. An den jährlichen Ausstellungen im Münchner „Haus der Deutschen Kunst“ nahm Fehrle kontinuierlich teil. Dort hatte Hitler 1937 zur Eröffnung eine Rede gehalten, die eine Kriegserklärung an die Moderne darstellte und ihre Künstler zu Fällen für die Psychiatrie oder das Strafrecht erklärte.
Kunst geht nach Brot, Bildhauerei zumal, die auf Öffentlichkeit angewiesen ist. Den akademisch ausgerichteten Konservatismus gab es lange vor 1933, und in den 30er-​Jahren herrschte eine breite internationale neoklassizistische und monumentalisierende Strömung. Nicht alles, was in diesen Jahren in NS-​Deutschland entstand, ist schon deshalb Schund. Aber alles, was gebilligt oder von der NS-​Propaganda gar als beispielhaft gepriesen wurde, ist auf Dauer von der Nazi-​Ideologie vergiftet worden.
Eine Hypothek auch für Fehrle, der

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