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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Der frühere Bundeswehroberstarzt Reinhard Erös hielt einen Vortrag an der Gmünder Volkshochschule

Reinhard Erös sprach in der VHS über Afghanistan und seine drängenden Probleme. Erös, ehemaliger Oberstarzt der Bundeswehr und vorzeitig pensioniert, leitet die private Organisation „Kinderhilfe Afghanistan“.

Freitag, 27. November 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (ww). Schon 1985 bis 1990, zu Zeiten der sowjetischen Besetzung, war er im Kriegsgebiet tätig. Seit dieser Zeit ist er Afghanistan verbunden. Wenige Deutsche kennen das Land und seine Zustände so gut wie er.
Die Situation in Afghanistan richtig einschätzen
Um die Situation in Afghanistan richtig einzuschätzen, so Erös, sollten die wichtigen Meinungsmacher in den USA, die Los Angeles Times gehört dazu, gehört werden. Diese Zeitung fordere den Rückzug aus Afghanistan schon bis 2010. Eine Nachricht, die in Deutschland noch gar nicht richtig angekommen sei. „Dabei lächelt die Welt über die deutschen politischen und militärischen Zwerge“, ist sich Erös sicher. Zur Einschätzung der talibanischen militärischen Kräfte zitiert er einen ihrer Führer: „Schickt ruhig noch ein paar Soldaten mehr, ihr wisst ja, „viel Feind, viel Ehr“, aber für uns gilt „noch mehr Feind, noch mehr Ehr“.
Für Erös als Landeskenner ein ernstzunehmender Hinweis, dass der Krieg in Afghanistan militärisch nicht zu gewinnen sei. Leider sei dies in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, denn über Afghanistan sei in der deutschen Medienlandschaft keine wirklich freie Berichterstattung mehr möglich. Dabei herrsche heute in Afghanistan ein Chaos, das größer und schlimmer sei als unter der ehemaligen Sowjetbesetzung. Die momentan praktizierte Kriegsführung der Nato prangert er als deutlich kontraproduktiv an.
„Denn für jeden getöteten Zivilisten stehen nach dem Gebot der Blutrache zehn neue Kämpfer auf“, bedenkt Erös, „und jetzt schon sind neun Millionen Afghanen im kampffähigen Alter – und ihre Zahl wächst.“ Ebenfalls nicht dienlich seien die vom westlichen Bündnis auserkorenen Politiker Afghanistans, denn viele dieser seien ganz einfach Kriminelle. Aber die deutschen Politiker seien oft zu wenig informiert und daraus entstünde eine zum Teil seltsame Außenpolitik. Die Afghanen fühlten sich daher von den westlichen Mächten kolonialisiert.
Die deutschen Journalisten kritisierte Erös ebenfalls. Ihre Informationen kämen zum größten Teil aus zweiter Hand, ins eigentliche Krisengebiet wagten sich nur wenige. Deutlich mutiger seien da britische und französische Korrespondenten.
„Ursprünglich war ja der afghanische Islam eine tolerante Version“, erklärte Erös. Erst mit der Eroberung des Landes durch die Taliban habe sich die saudiarabische fundamentalistische Interpretation durchgesetzt. Dennoch sei festzuhalten, dass bis 2001 die Taliban das Land fest im Griff hatten. Unter ihnen sei das Afghanistan der Vorkriegszeit allerdings nicht mehr zu erkennen gewesen, „alles“ war verboten. Im Übrigen seien zur Talibanzeit keine Ausländer zu Schaden gekommen. Klar festzustellen sei: „Die Taliban sind keine Monster.“ Eine Tatsache, welche die übliche Berichterstattung nicht erwähne. Ebenso wie die Tatsache, dass heute mehr Burkas das Straßenbild bereicherten wie zur Talibanzeit. Das Comeback des Schleiers sei auch in der Türkei zu beobachten.
20 Völker mit 20 Sprachen machen das Miteinander schwierig
Dass Afghanistan schwer zu regieren sei, liege auch daran, dass in diesem Land 20 Völker 20 Sprachen sprächen. Und das bei 25 Millionen Einwohnern. „Der Multikultizirkus dient nicht der Effizienz“, stellt Erös fest, „das sollten auch unsere A14-​Gutmenschen mal bedenken.“
Aus dieser Konstellation ergebe sich, dass Afghanistan dezentral regiert werden müsse. Und genau dies bedenke das vom Westen oktroyierte Modell nicht. Darüber hinaus enthalte das Westmodell der afghanischen Verfassung – von westlichen Verfassungsexperten mitkreiert – spezifisch islamische Elemente. Würden diese dann konsequent durchgesetzt, herrsche einmütig großes Entsetzen. Den Einsatz der Bundeswehr hält Erös schlicht für unnötig und nutzlos. Von den dort stationierten Soldaten kämen lediglich 500 von 4500 zum Einsatz.
Der Rest halte sich in stark befestigten Stellungen auf. Teuer allerdings sei der Einsatz. Dies gelte auch für die anderen am Krieg beteiligten Mächte, die sich hinter dicken Mauern schützten. Schlecht sei auch das Lohngefälle, das die westlichen Mächte ins Land trügen. Afghanen, die bei deren Organisationen beschäftigt seien, verdienten ein Vielfaches afghanischer Normalmenschen. Das führe dazu, dass qualifizierte Afghanen lieber als Hilfskräfte arbeiteten als ihrem Können gemäß für ihr Land.
Ausländer seien im Übrigen, anderen Verlautbarungen entgegengesetzt, nur in
Begleitung von Soldaten gefährdet. Wer in Afghanistan etwas tun wolle, müsse dies unbewaffnet und in ziviler Kleidung tun. Ein Grund, so Erös, weshalb er für seine Projektgelände Bannmeilen für Militärs erwirke. Erös baut und betreibt in Afghanistan privat finanzierte Schulen. Nur afghanische Mitarbeiter werden akzeptiert, so bleibt das Geld im Land und hilft den Einheimischen in mehrfacher Hinsicht.
Erfolgreich bilden diese Schulen sowohl Jungs und Mädchen als auch Männer und Frauen aus. Finanziert wird mit Spendengeldern aus ganz Deutschland, die Mitarbeiter wirken ehrenamtlich und kostenlos. Auch ohne Spesen; so ist gewährleistet, dass alles Geld zu 100 Prozent an die richtigen Stellen kommt.

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