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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Was wie Karneval aussieht, ist aber Schlaraffia /​Zum 85. Stiftungsfest lud der Männerbund der Gmünder Schlaraffen zur Sippung ein; dem Ritterspiel mit Humor

Schlaraffialand gibt es auch in Gmünd. Von wegen, die Fasnet sei bereits ausgebrochen, und mit ihr die Büttenreden. Gesprochen, gesungen und viel gelacht wurde zwar beim 85. Stiftungsfest der „Gaudia mundi“ wie bei der „Bütt“. Doch die Schlaraffen der „Gaudia-​mundi“ haben ihre Gaudi unterm Zeichen des Uhus – humorvoller und einen Tick subtiler. Von Giovanni Deriu

Freitag, 06. November 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 38 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND. Ja, haben denn all die Männer im reifen Alter einen Tick? Eine Parallelwelt tat sich vor 85 Jahren in Gmünd (Gaudia-​mundi) auf, und kaum einer, oder nur „Eingeweihte“ wissen davon? Ritter, Knappen und Junker, die auf Namen wie „Ero-​Tick“ (der Zweideutige), im bürgerlichen Leben Professor, oder „Heck-​tik“ (stiftgewaltiger Oberteufel), Verso-​tick, Rela-​tick sowie Spül-​Tick, hören, treffen sich während ihrer Winterspielzeit, vom 1. Oktober bis zum 30. April, regelmäßig mittwochs – sie spielen und sippen also nur im Winter. In ihrer edlen Burg, im Schindelackerweg, davor wacht der hölzerne Uhu, pflegen Gaudia mundis Schlaraffen den Humor (auch wenn sich dieser nicht jedem neuen Pilger gleich erschließt), die Kunst und die Geselligkeit – kurz, die „Freude der Welt“. Gaudia-​mundi eben.
Nein, nein, wehren sie gleich ab, mit den Tempelrittern und anderen Geheimbünden haben die Schlaraffen weltweit nichts zu tun – jedem (Mann) stünde das „Reych“ Gaudia mundi offen, erläuterte „Verso-​tick“ der Lethselige (übersetzt, weinselige) bei der kleinen Festsippung zum 85. Geburtstag. Naja, fast jedem steht das Schlaraffentum offen, bis auf Frauen. Außerdem bleiben Themen wie Politik, Religion und Beruf vor der Tür. Über eine „ordentliche“ Portion Humor sollte man verfügen, und der deutschen Sprache schon mächtig sein, fügt Verso-​tick hinzu, im eigentlichen Leben als Kaufmann Domberg bekannt. Denn, überall auf der Welt, in jedem Schlaraffen-​Reych samt ihrer Burg wird nämlich Deutsch parliert – pseudo Ritterdeutsch, altertümlich wie amüsant. Ganz „Pluralis majestatis“, wie Volker Ernst, pardon, „Bon-​Bon“, uns begrüßt: „Wir Bonbon begrüßen Euch“ – hä? Ich bin doch allein da. Schon ertappt, „wir“ aus der „Profanei“, dem Leben außerhalb der Burg. Große Aufwartung zum 85. Wiegenfest der Gaudia mundi. Aus verschiedenen Reychen ritten sie einher, um den Gmündern Schlaraffen ihre „Glückwünsche“ zu übermitteln. Und alle ganz in Farbe. Gaudia mundis „Mäntel“ in Grün-​schwarz, die Junker und Ritter des „Mutterreychs Stutgardia“ in schwarz-​gelben Rüstungen, in Blau-​gelb nochmals andere „Staufer“ – und man mochte es kaum glauben, gar ein Ehrenritter aus Florida war anwesend, und übermittelte Grüße der „Floridaner“. Deutschtum verbindet, ist aber alles andere als „Deutschtümelei“, wie Bon-​Bon und Luv-​An (ein echter Adeliger) mit der Segelpassion festhalten. Denn, vor 150 Jahren wurde „Schlaraffia“ in Prag (damals deutsche Universitätsstadt) gegründet als Persiflage auf das Leben der oberen 100, und des Adels, und während des Regimes im dritten Reich unterbrochen, wie in der Rückblende vorgetragen wird – einige „Sassen“ schmunzeln süffisant ironisch: „Jaja, das 1000-​jährige Reich“. Nicht das ihre. Der Einritt der Ehrenritter und Gäste unter dem Schwerter-​Bogen wird von lautem „Lulu“ (von „Lustig, lustig, da kommen die Prager“ Schillers Wallenstein) begleitet. Einem Begrüßungs-​, Verabschiedungs– und Beifallsruf. Ein jeder Gratulant trug etwas vor, holte sich einen „wärmenden Händedruck“ bei „Blechle“, dem „Nietlichen“ ab, und bekam auch einen Schluck Wein, „Lethe“. Wie der Uhu als Symboltier des schlaraffigen Humors sowie der Weisheit seine Töne des nächtens von sich gibt, ging nicht nur ein „Lulu“, sondern auch ein „Oho“ und „Aha“ durch den Sippungs-​Saal, als sich der Gral öffnete, orange erleuchtet. Der Schlaraffia-​Gral der Weisheit und des subtilen Humors. Nicht auf der Bütt, dafür auf der „Rostra“ gaben die Ritter und Junker ihre kreativen wie selbst kreierten Einlagen – „Rostra-​Reden“ zum Besten. Der schwäbische Mundartautor (Merkle) und Edelritter Staufens, „Famoso“, ließ sein Gedicht so enden: „…dr onzig Makel den r hend, isch, dass r et vom Schdauffa send.“ Grund für den eisernen „Fehdehandschuh“? Ach was, ein lautes „Lulu“, und alle am „Laben“ und „Atzen“ – Essen und Trinken. Gaudia mundi, für alle Freuden. Alles „gaga“? Nein, eher Lulu.

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