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Stadtansichten aus den Jahren 1914 bis 2009 zeigen Schwäbisch Gmünd im Wandel: Eine Zeit Lang

Wäsche und Bettlaken an der Ecke von Königsturm– und Zeiselbergstraße zum Trocknen auf die Leine hängen? Würde keine Hausfrau mehr machen vor lauter Straßendreck. Doch es war einmal möglich.

Donnerstag, 17. Dezember 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 1 Sekunden Lesedauer

BÜCHER (rw). Es sind die kleinen Entdeckungen in den Bildern, die ganze Geschichten aufdecken. Darauf kommt es Hubert Minsch an, dem Bild-​Koautor des am Dienstag vorgestellten Bildbandes „Eine Zeit Lang. Gmünder Stadtansichten im Wandel 1914 — 2009“ (die Bildtexte stammen von Stadtarchivar Klaus-​Jürgen Herrmann): „Meist nimmt man die Veränderungen gar nicht wahr. Man soll die Bilder lesen und genau hinschauen.“ Auf den ersten Blick sind die Gegenüberstellungen der historischen Aufnahmen von Karl-​Otto Lang und die Fotos Minschs vom gegenwärtigen Zustand Dokumente einer erstaunlichen Kontinuität: Schwäbisch Gmünd hat seine vertrauten Straßenzüge aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum großen Teil erhalten, hinübergerettet über die grausame Zäsur des Zweiten Weltkrieges — das war Glück — und die kaum minder zerstörerische Phase des Wiederaufbaus, als die „autogerechte Stadt“ das Leitbild aller Planer war — das war eher dem kommunalen Geldmangel zu verdanken. Walter Klein, der beste Kenner Gmündischen Wesens in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und Ehrenbürger, brachte die Verschonung Gmünds im Bombenkrieg in seinem epochalen Vortrag „Gmünds Chance“ von 1947 auf den Punkt: „Das ist ein Geschenk und kein Verdienst. Es verpflichtet zur Verantwortung für die Gegenwart und ganz besonders für die Zukunft.“ Goldene Worte bis heute. Karl-​Otto Lang liebte sein Hobby, die Fotografie, und die Stadt, in der er lebte. Für seinen Postkartenverlag und aus purer Neigung fertigte er zwischen 1905 und 1955 Tausende von Aufnahmen Gmünds an, darunter seltene frühe Farbfotografien aus den 30er und 40er Jahren. Die Sammlung wird heute im Stadtarchiv aufbewahrt. „Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, wenn man 60 oder 80 Jahre später mit einer Digitalkamera den Standort der alten Fotos sucht und dann genau weiß, hier hat er sein Holzstativ aufgebaut, seine Kamera eingerichtet, das schwarze Tuch über den Kopf geschoben und dann die Kassette mit der Glasplatte eingelegt — bis die Menschen im oder aus dem Bild waren“, meint Minsch.
Manche Aufnahmen Langs konnte Minsch freilich nicht wiederholen, weil er dessen Position nicht mehr einzunehmen vermochte. Beispielsweise in der Ledergasse: da steht heute der desolate Horten-​Klotz, vor einem Jahrzehnt noch Gmünds Kaufhaus-​Flaggschiff. Er steht noch, muss man sagen, sein Abriss ist beschlossene Sache. Langs Perspektive wird gleichwohl nicht mehr möglich sein, weil ein neues Einkaufszentrum hochgezogen wird. Minschs Gegenüberstellung macht deutlich, dass Kontinuität und Brüche nicht zu trennen sind. Ablesbar ist vor allem der Prozess der Veränderungen — und manche fragwürdige städtebauliche Mode. Man sehe sich nur die purifizierten Fassaden an, die ihre Festons und Friese verloren, deren Sprossenfenster blanken Scheiben wichen. Man betrachte den Verlust von Gärten und Einfriedungen, das Verschwinden von Gehwegen und Randsteinen, die zugleich ein Podest für die Häuser darstellten. Nicht zuletzt kann man die Erkenntnis gewinnen, dass Idyllen trügerisch sind und Zerfall und Entstehen zu jeder Zeit parallel gehen (erschienen im Einhorn-​Verlag, im Buchhandel erhältlich, 15,80 Euro).

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