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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

„Eine Kultur des Wegschauens“

Wer wegschaut, macht mit, sagten die Initiatoren und wählten „Hinschauen und Handeln – für ein l(i)ebenswertes Gmünd“ als Leitbild und Ziel einer polarisierenden Aktion. Von Birgit Trinkle

Montag, 27. April 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 13 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND — Ob sie am Samstag, als sie Theater– und Sozialpädagogen ein Lehrstück über Zivilcourage inszenieren ließen, übers Ziel hinausgeschossen sind, lässt sich trefflich diskutieren: Hinschauen wollten wenige, bevorzugtes Handeln vor allem der älteren Passanten wäre heillose Flucht oder eine handfeste Keilerei gewesen.
„Die ganze Woche Ärger, und nun auch noch am Samstag derart rotzig angegangen und belästigt“ zu werden, sei unverschämt und werde sicherlich Konsequenzen haben, war nur eine von zwei, drei Dutzend extrem negativen Reaktionen auf Ilona Piel, mehrfach diplomierte Sozial– und Theaterpädagogin, ihren Kollegen und Partner Achim Schnegule sowie Guido Müller, EDV-​Experte und Ehrenamtler in der kirchlichen Jugendarbeit. Wer am Samstag über den Wochenmarkt bummelte oder auf dem Marktplatz die Sonne genoss, lernte die drei nämlich als extrem unliebsame Zeitgenossen kennen: Sie grölten, beleidigten, inszenierten Eifersuchtsszenen und Beinahe-​Prügeleien, während die Mitglieder des Arbeitskreis „Lebenswelt Jugend“ mit all denen sprachen, die die Begegnung hinter sich gebracht hatten.
Nur vereinzelt gab es Lob und die erhofften Ergebnisse, nämlich Diskussionen über Zivilcourage und den richtigen Umgang mit Aggression. Vor allem mussten die Initiatoren jedoch beschwichtigen, sich Kritik anhören, auch mal einen Euro zurücktragen, den jemand den Akteuren in die Hand gedrückt hatte.
Wirklich positiv wurde gegen Ende der Aktion die Reaktion der allermeisten jungen Leute bewertet – „gelassen, bedächtig, unaufgeregt“ – die freilich auch angaben, solchen Situationen oft ausgesetzt zu sein. Ein Ergebnis der Aktion war demzufolge die Erkenntnis: „Man kann Situationen verschärfen, aber auch mit Gelassenheit gut bewältigen“.
Zum Auftakt der Veranstaltung stellte Oberbürgermeister Wolfgang Leidig den Arbeitskreis und seine Aufgaben vor – bereits bei dieser Pressekonferenz in der VHS meldete sich Achim Schnegule als Störfaktor zu Wort; er bescheinigte Leidig später, sehr gut reagiert zu haben. Dem Arbeitskreis, so der OB, gehe es in erster Linie um ein bewusstes und aufmerksames Miteinander aller Generationen in Gmünd. Bürgermeister Joachim Bläse, Vorsitzender der Aktion Sichere Stadt, die sich seit 14 Jahren um die Innenstadt verdient macht, stellte die drei Akteure vor, die bereits eine Vielzahl vergleichbarer Aktionen durchgeführt haben, zudem unterschiedlichste Seminare, Workshops, Fortbildungen.
Raimund Vogt und Daniela Maschka-​Dengler erinnerten an die groß angelegte Auftaktveranstaltung im Oktober im Prediger, bei der das Sicherheitsbedürfnis der Gmünder abgefragt wurde. „Das Stimmungsbild zur gefühlten Sicherheitslage“ bestärkte die Mitglieder des Arbeitskreis in ihrem Engagement. Immer mehr Bürger, so Vogt und Maschka-​Dengler, „schauen einfach weg, wenn Menschen von anderen belästigt, beleidigt, gedemütigt oder gar geschlagen werden“. Menschen würfen achtlos Dinge fort oder beschädigten fremdes Eigentum, und nur die wenigsten fühlten sich berufen, einzuschreiten. Bedürftigen werde nicht immer selbstverständlich Unterstützung angeboten. Kurz: „Eine Kultur des Wegschauens schleicht sich ein; sie ist in allen Bevölkerungsschichten und Altersgruppen anzutreffen“.
Gemäß dem Slogan „Wer wegschaut macht mit“ werde der jüngste Arbeitskreis der Aktion Sichere Stadt nun verstärkt für dieses Problem sensibilisieren. Von selbst, da sind sich die Mitglieder einig, ändert sich freilich nichts. Marktbesucher „aus der Reserve zu locken“, war ein Versuch.Raimund Vogt erinnerte an die fünf jungen Frauen, die im vergangenen Jahr durch lautes Rufen geholfen haben, als am unteren Marktplatz jemand zusammengeschlagen wurde. So etwas sollte selbstverständlich sein.

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