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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

„Wir wandern auf eine Staatsmedizin zu“

Gleich fünf Abgeordnete hatte die Kreisärzteschaft Schwäbisch Gmünd gestern Abend mobilisiert, um im Prediger über die Gefährdung der ambulanten medizinischen Versorgung zu diskutieren. Von Manfred Laduch

Mittwoch, 20. Mai 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 38 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND. Das „Who is who“ der hohen Politik aus der Region hatte sich auf dem Podium versammelt: Norbert Barthle (CDU– MdB), Christian Lange (SPD-​MdB), Hartfrid Wolff (FDP-​MdB), Ulla Haussmann (SPD-​MdL) und Dr. Stefan Scheffold (CDU-​MdL) diskutierten unter der Moderation von Dr. Lothar Zimmermann (SWR) mit dem Vorsitzenden der Kreisärzteschaft, Dr. Erhard Bode sowie dessen Kollegen Dr. Axel Menden und Dr. Michael Jaumann (Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung.
Viele Ärzte hätten den Eindruck, mehr zu verwalten als zu behandeln. Gleichzeitig gebe es im Gesundheitswesen eine Vielzahl gegensätzlicher Aussagen. Wem kann der Patient noch glauben? So leitete Lothar Zimmermann, gelernter Augenarzt und SWR-​Journalist, die Veranstaltung ein. Christian Lange stellte fest, dass es in unterschiedlichen Medizinbereichen sowohl Unter– als auch Überversorgung gebe. Die unterschiedlichen Interessen im System auszugleichen, sei schwierig. Es sei an der Selbstverwaltung der Ärzte, den gesetzlichen Rahmen auszufüllen.
Die Politik habe die Probleme wahrgenommen und etwas gemacht, ergänzte Norbert Barthle. 3,8 Milliarden Euro würden zusätzlich ins Gesundheitssystem gepumpt. Geld, das aber offenbar nicht in Baden-​Württemberg ankomme. Auch er bekomme von Ärzteschaft, Gesundheitsministerium und Kassen ganz unterschiedliche Aussagen.
Es sei jedenfalls ein Fakt, dass die Ärzte in Nordwürttemberg erheblich weniger Geld pro Patient bekämen, betonte Michael Jaumann Seien es vor der Gesundheitsreform noch 40 bis 50 Euro pro Patient und Quartal gewesen, blieben jetzt gerade noch 23 Euro. „Baden-​Württembergs Bürger sind die Betrogenen dieser Reform“, rief Jaumann aus — und bekam dafür Beifall aus den dicht besetzten Reihen des Publikums.
Ulla Haussmann machte deutlich, dass alle Fraktionen des Landtags die Gesundheitsreform abgelehnt hätten, weil klar gewesen sei, dass Süddeutschland zu den Verlierern zähle. Die steigenden Kosten hätten die Initiatoren der Reform offenbar übersehen.
„Und das, wo wir ja ohnehin viel Geld in die anderen Länder transportieren“, ergänzte Stefan Scheffold. Die Situation sei bedauerlich, aber keine Verfehlung der Landespolitik.
Die Reform „vom Kopf auf die Füße zu stellen“, forderte Hartfrid Wolff. Das Gesundheitssystem verstehe kein Mensch mehr. Diese Planwirtschaft verursache zu viel Bürokratie. Es gehe um beste Versorgung statt Einheitsbehandlung.
„Das war nicht der Weisheit letzter Schluss“, war auch Axel Menden überzeugt. Der Weiterbestand der ambulanten Versorgung im ländlichen Raum werde immer problematischer. Das Vertrauen in einen Arzt sei nicht durch ein medizinisches Dienstleistungszentrum ersetzbar.
Auf das hohe Arbeitspensum und die ständig zunehmende Bürokratie verwies auch Erhard Bode. Es gebe zum Beispiel auch Mehrleistungen durch Patienten, die immer früher aus den Krankenhäusern entlassen würden. Gleichzeitig nehme die Zahl der Mediziner ab.
„Wir sind im Vergleich zu anderen Ländern noch auf einem recht hohen Niveau“, beschwichtigte Norbert Barthle. Das System finanzierbar zu halten sei eine Herkulesaufgabe. Medizin werde immer teurer, die Menschen immer älter. Wo in den 70er-​Jahren noch 1200 Patienten auf einen Arzt gekommen seien, seien es heute nur noch 600. Man könne die Beiträge nicht unendlich steigen lassen — zumal zusätzlich sowieso schon unermessliche Steuergelder im System steckten.
Dem entgegnete Erhard Bode, dass der Anteil ärztlicher Versorgung am Bruttoinlandsprodukt seit 1992 konstant bei 6,2 Prozent liege. „Bei einer Bürgerversicherung würden alle zahlen, auch die bisher privat Versicherten“, warb Christian Lange für das SPD-​Modell.
„Die Idee, medizinische Leistungen in ganz Deutschland gleich zu bezahlen, war richtig, ist aber falsch durchgeführt worden“, betonte Michael Jaumann. Die Verbände hätten das Land schon 2006 auf Schwierigkeiten hingewiesen. Das große Problem sei „das unbegrenzte Leistungsversprechen bei begrenztem Geld.“ Da helfe auch keine Bürgerversicherung, die höchstens zu englischen Verhältnissen führen würde.
„Wir wandern auf eine Staatsmedizin zu“, erklärte Hartfrid Wolff. Man dürfe nicht alles über einen Kamm scheren, müsse mehr Wettbewerb zulassen. Die einzige Lösung, die das System auf Dauer am Leben erhielte, sei die Absicherung eines medizinischen Existenzminimums über Beiträge mit individueller Weiterversicherungsmöglichkeit.

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