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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

„Ein langer Weg durch die Wüste“

200 Jahre ist es her, dass Gotteszell vom Kloster zur Haftanstalt wurde. Mit einer Exerzitienwoche für Gefangene soll hier nun ein Stück klösterliche Tradition wieder aufgegriffen werden. Von Tanja Bullinger

Freitag, 22. Mai 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 41 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND. Den Anstoß zu diesem ungewöhnlichen Projekt gab Gefängnisseelsorgerin Susanne Büttner. Und sowohl bei ihrer katholischen Kollegin Schwester Johanna Koluder als auch bei der Anstaltsleitung sei diese Idee sehr positiv aufgegriffen worden, erklärt sie erfreut. Denn ihr ist natürlich bewusst, dass eine solche Veranstaltung innerhalb der Gefängnismauern einen enormen organisatorischen Mehraufwand bedeutet, sollen doch die elf Frauen, die teilnehmen können, in dieser Woche nicht in ihren Zellen in verschiedenen Häusern, sondern alle unter einem Dach wohnen und schlafen.
„Unsere Frauen hier sind ja ohnehin sehr vom normalen Alltag abgeschirmt, natürlich kann man sich da fragen, ob Exerzitien, das Sich-​zurück-​ziehen wirklich notwendig ist“, meint Anstaltsleiterin Sybille von Schneider-​Holl. Doch auch im Gefängnisalltag sei es leicht, den eigenen Problemen aus dem Weg zu gehen, im Rahmen von Exerzitien die Möglichkeit zu bieten, ruhig zu werden, in sich hinein zu hören, diese Idee habe ihr deshalb von Anfang an sehr gut gefallen.
„Auch unser Alltag ist sehr gleichförmig und durchstrukturiert und dennoch ziehen wir uns regelmäßig zurück“, erklärt Schweser Eleonore vom Kloster der Franziskanerinnen — eines der sechs Frauenklöster, die die Teilnehmerinnen der Exerzitienwoche durch Fürbitten begleiten werden.
Als sie gehört habe, dass die Franziskanerinnen täglich für die Frauen in Gotteszell beten, habe sie das schon sehr berührt, meint eine junge Frau, die an der Woche teilnehmen wird. Sie freut sich darauf, zur Ruhe zu kommen, was in einem Haus mit 50 Gefangenen tatsächlich sehr schwierig sei. In der Freiheit sei es einfacher, Orte der Stille zu finden. Eine Möglichkeit, sich in sich zurückzuziehen sind Meditationen, die Susanne Büttner in abendlichen Gruppenstunden regelmäßig anbietet. Eine weitere Frau besucht diese Gruppe seit zweieinhalb Jahren regelmäßig — „und das hat viel in mir verändert“. Auch sie freut sich auf die Exerzitienwoche, kann sich aber noch nicht so richtig vorstellen, zwei ganze Tage lang wirklich zu schweigen. Auch Susanne Büttner ist gespannt, wie sich die Woche entwickelt, zumal ihr Schwester Eleonore augenzwinkernd gesagt hat, dass das Murren ebenfalls zu einer Exerzitienwoche gehöre.
Die geistliche Übungswoche orientiert sich an entsprechenden Angeboten von Klöstern für Menschen, die Einkehr und Orientierung suchen, erklärt Susanne Büttner. Der gemeinsame Tag beginnt um 7 Uhr im Schweigen und endet um 21 Uhr im Schweigen. Verschiedene Elemente der Übung in der Stille, des Arbeitens in der Stille und der Tagzeitengebete im Stile der Klöster strukturieren den Tag. Zwei Tage werden ganz im Schweigen verbracht. In der Woche wird das Thema „Weg durch die Wüste“ entfaltet. Das Gefängnis wird von Inhaftierten immer wieder als existentielle „Wüstenerfahrung“ mit vielen Durststrecken beschrieben. Im „Kloster im Gefängnis“ wird diese Erfahrung aufgegriffen und es wird eine Begleitung für den jeweils eigenen inneren Weg angeboten. Die leitende Überzeugung ist die, dass auch lange Jahre im Gefängnis zur Lebenszeit eines Menschen gehören, die in eine sinnvolle Zukunft münden soll.
Neu erfunden wurde die Exerzitienwoche im Gefängnis in Gotteszell nicht. Susanne Büttner wurde durch verschiedene Vorbilder inspiriert. So gibt es beispielsweise im Hochsicherheitsgefängnis in Kumla/​Schweden mehrmals im Jahr 30-​tägige Exerzitien für Inhaftierte. Die Dominikanerinnen von Bethanien, die alle zwei Monate eine Ordensfrau nach Schwäbisch Gmünd zur Seelsorge entsenden, entstanden im 19. Jahrhundert aus Exerzitien in französischen Frauengefängnissen.
Ordensfrauen unterstützten auch die Exerzitienwoche in Gmünd. In der Woche, die vom 25. bis 31. Mai, wird in sechs Klöstern für das „Kloster im Gefängnis“ Fürbitte gehalten, unter anderem im Kloster Untermarchtal — Mutterhaus der katholischen Seelsorgerin in Gotteszell — und in der Abtei Münsterschwarzach, deren Abt das Projekt geistlich begleitet.
Sowohl die beiden Seelsorgerinnen als auch die Anstaltsleitung sehen im „Kloster im Gefängnis“ eine Chance, neue Wege der inneren Orientierung für Gefangene zu beschreiten — und dabei auf ganz alte Formen zurückzugreifen. In Gotteszell liegen sie greifbar in der früheren Geschichte der heutigen Vollzugsanstalt.

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