„Perlen und Säue“: Nessi Tausendschön gab Gastspiel im Café Spielplatz

Kultur

Rems-Zeitung

Vielfältig ohne roten Faden, heiter aus dem Augenblick heraus, wandelbar in Stimme und Outfit – das ist Nessi Tausendschön, die am Mittwoch im Café Spielplatz zu sehen war. Es wurde viel gelacht, oft ohne zu wissen warum, man ließ sich auf den Arm nehmen und nass spritzen – eine Wohltat in dem zur Sauna gewordenen Café.

Samstag, 20. Juni 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
131 Sekunden Lesedauer

KLEINKUNST (wil). Der Programmname „Perlen und Säue“ gibt für den Inhalt nicht viel her, aber das ist wohl auch nicht die Absicht von Nessi Tausendschön. Episode für Episode zeigt sie sich von einer anderen Seite, bringt Figuren aus früheren Programmen ein, überrascht mit plötzlich wechselnden „Kostümen“ und gefällt sich in allen Sparten der Comedy. Hätte sie dabei ihre Mimik so im Griff gehabt wie ihre Stimme, sie wäre überzeugend gewesen. Aber allzu oft verwischte ein Grinsen die eigentlich strenge Rolle, ließ sie sich vom Lachen des Publikums anstecken, das sie eigentlich gerade schulmeistern wollte. Schade, dass ihr Auftritt damit die Perfektion vermissen ließ, die man heute von Bühnenstars gewohnt ist. Aber sie wollte ja auch nicht die Perfektion sein, sondern die „Priorität“, natürlich zu Lasten ihres ausgezeichneten Pianobegleiters Jürgen Grimm. Nessi Tausendschöns Paraderolle war die des Schutzengels, als der sie nach der Pause auftrat. Hier outete sie sich als Alkoholikerin, verfiel in Gestik und Sprache zunehmend dem Suff und plauderte ungeniert aus dem Nähkästchen über ihre Schutzengel-​Kollegen. So hat der von Westerwelle ein Arschgeweih, der von Sonja Kraus Sprechdurchfall und der SPD-​Schutzengel eine Flügelamputation. So muss Kabarett sein, schnell und treffend und perfekt gespielt. Nessi Tausendschön tingelte in ihrem Programm durch alle Sparten: die befehlsgewaltige, unfreundliche DDR-​Untergruppenleiterin, die sanfte Lyrikerin, die ihr Lebenswerk promotet, die übermotivierte Mannsuchende, der jeder recht ist. Sie nimmt aufs Korn, was ihr gerade vor die Flinte kommt: Horst Seehofer und die GEZ, den Eisprung und die Flugangst und nicht zuletzt den Eisbecher der Besucherin in der zweiten Reihe. Ein bisschen Publikumsbeschimpfung und Einbeziehung, ein bisschen Belehrung und Dressur – die Gäste gingen willig mit, denn Lachen ist ansteckend. Als wahres Talent erwies sie sich mit ihrer Stimme. Ob Trompetensolo oder Balalaika-​Orchester, sie konnte alles bieten, sogar die Säge brachte sie zum Singen.
Sie will die Weltherrschaft, das ist ihr erklärtes Ziel, sie will, dass es den Menschen besser geht. Sie propagiert die „neue deutsche Leichtigkeit“ und gibt Einblicke in ihre Biografie. Sie wurde im Irak zur Extremsängerin ausgebildet und schmettert „Die Partei hat immer recht“, sie sieht ihr Studium in Erlangen als ihre größte Niederlage im Leben und schildert gelangweilt das Leben im absoluten Luxus. Als „Konifere“ frönt sie dem alten Stilmittel der Fremdwortunsicherheit und wo die Worte fehlen, wird russisch als Fremdsprache eingesetzt – zumindest etwas, das so ähnlich klingt. Aber sie singt das russische Schlaflied sowieso in kyrillisch, etwas Bildung sollte es beim Zuschauer schon sein. Und die wird im Lyrikbeitrag abgefragt, wenn sich die Todesarten reimen müssen.
Nessi Tausendschön gefiel mit tausenderlei Details, streifte unzählige Themen, brachte ein ohnehin schon schwitzendes Publikum noch mehr in Wallung – und genoss viele Gags einfach mit. Oder leistete sie doch Schwerstarbeit und wollte austesten, welche Programmteile am besten zusammenpassenten? Irgendwie wurde man den Beigeschmack des Zufälligen nicht ganz los.