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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Oberarzt Dr. Dirk Tabellion führte gestern in seinem Vortrag durch die Welt des Schmerzes

Manchmal muss Dirk Tabellion genau hinhören. Es gibt nämlich himmelweite Unterschiede, wenn ein Schwabe seinen Schmerz beschreibt: „Grad no“ auszuhalten, so der Oberarzt in der Anästhesieabteilung am Klinikum Schwäbisch Gmünd gestern Abend, ist seiner Erfahrung nach deutlich zu viel.

Mittwoch, 15. Juli 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 26 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Im Rahmen der „Klinikgespräche“ ging’s gestern Abend um „Moderne Konzepte zur Behandlung postoperativer Schmerzen“, und um die erklären zu können, gab Tabellion gestern in der Stauferklinik einen tiefen Einblick ins Prinzip Schmerz. Dank anschaulicher Beispiele aus dem Krankenhausalltag gelang es ihm, sein Wissen so zu verpacken, dass all die Laien im Publikum ihn nicht nur verstanden, sondern sich sogar gut unterhalten fühlten. Dass Fasern den Schmerz mit 120 Metern pro Sekunde weiterleiten, wird beeindruckender, wenn Tabellion mit seinem charmanten Dialekt von „abartiger Geschwindigkeit“ spricht, und selten hat jemand Akupunktur so bildlich erklärt.
20 Millionen Deutsche, so der Schmerzspezialist aufgrund jüngere Studien, leiden an mittleren bis starken Schmerzen. Bei acht Millionen ist dieser Schmerz so ausgeprägt, dass sie ihr Leben neu ausrichten. Und zwei Millionen Menschen benötigen eine Schmerztherapie. Bei diesen Zahlen lohnt es sich, genauer nachzufragen. Immerhin, so Dr. Tabellion, ist „Schmerz eine der intensivsten menschlichen Empfindungen“. Nach einem historischen Abriss über das Verständnis und die Behandlung von Schmerz nannte er den akuten Schmerz eine sinnvolle, weil lebenserhaltende Reaktion, die dem Schutz und der Ruhigstellung diene und gut therapierbar sei. Kein Problem also, wenn da nicht das Risiko der Chronifizierung wäre. Denn chronischer Schmerz zermürbe den Menschen, bis dieser kein Leben mehr führen könne, wie er es früher gekannt habe. Detailliert erläuterte Tabellion den Teufelskreis, der entsteht, wenn sich Schmerz, Angst und Stress, sowie Schlaflosigkeit, Verzweiflung und noch mehr Schmerz gegenseitig verstärken – immer verbunden mit all den Begleiterscheinungen, die Familien, Karrieren und vor allem jede Lebensfreude zerstören können. Anhand von Amputation, Brust-​OP, Leistenbrucheingriff und Kaiserschnitt räumte er ein, dass der Prozentsatz derer, die danach an chronischen Schmerzen leiden, zum Teil erschreckend hoch ist. Nicht wenige Ursachen dafür lassen sich dem Fachmann zufolge massiv beeinflussen – angefangen von traumatischer Schnittführung bei der Operation bis hin zum Gefühl des Patienten, nicht gut behandelt und versorgt zu sein.
Nachdem er erklärt hatte, wo und wie Schmerz entsteht und dass das Rückenmark dabei eine entscheidende Rolle spielt, zeigte er mit seinen Fotografien, dass Menschen unterschiedlich schmerzempfindlich sind („das Weichei kann nix dafür“) – was sich anhand der während des Schmerzes aktiven Gehirnregionen nachweisen lässt. Diese Methode taugt auch, herauszufinden, was den Patienten gut tut, etwa wenn ein und derselbe Mann genau denselben Schmerz weit weniger stark empfindet, wenn er abgelenkt ist. Dirk Tabellion hat sich viele Jahre seines Lebens der Schmerztherapie gewidmet; das Klinikum setzt ihn, seine Kollegin und drei Schmerzschwestern gezielt ein, „ohne durch die akute Schmerztherapie auch nur einen Cent verdienen zu können“. Trotzdem werde es gemacht. Wer nach der OP an starken Schmerzen leidet, so Tabellion, leidet an Stress, ist durch Herzinfarkt, Blutzucker, entgleisten Bluthochdruck und Lungenentzündung bedroht, was den Krankenhausaufenthalt verlängert und damit die Kosten steigert. Zudem sei ein erfolgreiches Bekämpfen des Schmerzes die beste, zudem dringend benötigte Werbung für ein Krankenhaus.
Sehr spezifisch wurde es, als der Referent das „Schmerzkonzept“ des Klinikums erläuterte – den multimodalen Therapieansatz, in dem alle Beteiligten intensiv geschult werden und Hand in Hand arbeiten. Einfachste physikalische Maßnahmen wie Eis. Den Versuch, es dem Patienten durch Aromatherapie, Musik etc. so angenehm wie möglich zu machen. Bis hin zu unterschiedlich platzierten Schmerzkathetern („wenn möglich, nicht das Gehirn durch Vollnarkose schlafen und dabei das Rückenmark Schmerzimpulse feuern lassen“) und all den anderen Möglichkeiten eines Krankenhauses.

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