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Nachrichten Kultur

EKM im Münster: Württembergisches Staatsorchester

Das erste EKM-​Konzert mit dem Württembergischen Staatsorchester Stuttgart glich einem kühnen Sprung mitten in die Festivalthematik hinein: „Zwischen Himmel und Erde“. Die Sechs Monologe aus „Jedermann“ von Frank Martin in der Zweitfassung für Bariton solo und Orchester sowie Bruckners „Neunte“ standen signifikant dafür.

Dienstag, 21. Juli 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
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MUSIK (-ry). Den Jedermann als biografisches Psychogramm zu zeichnen, ist dem Komponisten glänzend gelungen: zuerst in übersteigerter Überheblichkeit ob des grenzenlos verfügbaren Reichtums, dann die zunehmende Angst bis zur demütig zerknirschten Bitte um das Erbarmen Jesu. Selten ist eine so explodierende Dramatik komponiert worden: ein Sänger gegen das eruptive Tutti des großen Orchesters. Mit Konrad Jarnot hatte ein Bariton diesen Part übernommen, der ihn mit unerschöpflicher stimmlicher und geistiger Energie füllte. Eine bravouröse Stimmtechnik, eine Geschmeidigkeit der Stimmführung, vor allem in den zurückhaltenden Passagen — das ging unter die Haut! Oft wird einem bei „Vorschusslorbeeren“ bange ob des so erzeugten Erwartungsdrucks, bei Jarnot überzeugt permanent die Souveränität spannungsgeladener Gestaltung. Und dann das distinguierte Staatsorchester, das bis in die zarten Streichersoli hinein (Nr. 5 — der Epilog attacca in die Nr. 6 überleitend) dem Sänger das Fundament bietet, auf dem er sich entfalten kann. Werk, Sänger, Orchester und Dirigent bewirkten eine nachhaltige Erschütterung, wenn man denn den Text samt der kongenialen Musik an sich heranließ.
Dann der häufig missdeutete Bruckner mit seinem „Schwanengesang“, der vollendet unvollendeten 9. Symphonie. Ganz gegen das Vorurteil hat der Komponist sehr wohl thematisch höchst vielseitig „durchgeführt“. Und die Ineinssetzung der beiden großen Formen abendländischer Musik (Homophonie der Sonaten– und Polyphonie der Fugenform) ist schlechthin der unüberbietbare Gipfel derselben! Wer dies verinnerlicht hat, braucht sich auch nicht mit den Einseitigkeiten diverser Vereinnahmungen auseinanderzusetzen — es verlohnt nicht. Allein die kreative Rezeption bei Eugen Jochum, Franz Konwitschny, Herbert von Karajan oder Günter Wand — sie alle lassen etwas vom Geheimnis dieses zwar schlichten gläubigen, aber musikalisch hocherhabenen Anton Bruckners spüren. Umso mehr gebührt dem vollauf überzeugenden Dirigenten Timo Handschuh (Jahrgang 1975 !) die Ehre, in einer reifen Interpretation gültiger Botschafter der ungeheuer dichten Aussage Anton Bruckners gewesen zu sein, was schon bei Frank Martin deutlich wurde: Mit einer präzisen Schlagtechnik, zugleich ästhetisch sehr schön, ließ er das farbige Spiel des Orchesters durchaus gewähren, sparte geschickt ökonomisch-​gestisch, um dann die Entwicklungen und Höhepunkte zwingend zu fordern. Man hatte den Eindruck des permanenten Singens mit natürlicher Agogik. Dynamisch diffizil ausgelotet, glich das Ganze einer Auftürmung unendlicher Ideenfülle aus dem Nichts in die Majestät eines Fortissimo, das niemals vordergründig protzte, sondern gewichtig glänzte. Die Kontraste waren nie Selbstzweck, sondern stellten die Spannweite zartesten Belcantos bis zum schneidenden Staccatissimo des Scherzos oder zu den triumphalen Entwicklungszielen dar. Was man sonst bei Dirigenten aufgrund langjähriger Reifezeit durchaus erwarten durfte, vermochte Timo Handschuh bereits in vergleichsweise jugendlichem Dirigentenalter.
Die strömenden Holzbläser, das dunkle bis majestätische Blech, die geheimnisvollen bis dominierenden Pauken und der farbige Klangfächer wunderschöner Streicher (mit ihrem namenssymbolisch agierenden 1. Konzertmeister Wolf-​Dieter Streicher) — sie alle belegten Ruf und Rang dieses ausgezeichneten Württembergischen Staatsorchesters.
Ein fulminanter Auftakt als Impuls und Kriterium des Festivals dieses Jahres. Schwäbisch Gmünd hatte einen großen Abend erlebt.

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