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Der Latvian Radio Choir sang in der Augustinuskirche Werke der EKM-​Preisträgerin Sofia Gubaidulina

Seit zehn Jahren verleiht die Stadt Schwäbisch Gmünd im Rahmen des Festivals den Preis der Europäischen Kirchenmusik, zum 11. Mal an die russische Komponistin Sofia Gubaidulina. Von Peter Skobowsky

Donnerstag, 23. Juli 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 42 Sekunden Lesedauer

KONZERT. Die zierliche, aber kernige 78-​Jährige, spätestens seit (des beim Konzert anwesenden) Helmuth Rillings Auftragskomposition der Johannespassion im Bach-​Jahr 2000 einem großen Publikum bekannt, zählt zu den markantesten Komponisten der Neuzeit im Allgemeinen, der geistlichen Musik im Besonderen. Der Laudator des Abends in der Augustinuskirche, Hans-​Ulrich Duffek, verstand es ausgezeichnet, ein Porträt der Preisträgerin zu zeichnen, das die Persönlichkeit, ihre durchtragend christlichen Wurzeln, das martyriumsgleiche Dasein im sowjetischen Staatskommunismus, aber auch ihren demütig ungebrochenen Willen zu Wahrhaftigkeit, die Mahnung als Vision betonend, dass wahres Künstlertum nur aus der Religion an Gott möglich ist. Für sie spricht die Klugheit, inmitten allgegenwärtig sowjetischer Zensur mit lateinischen Titeln ihre Botschaft zu verkünden. Sie spricht davon, dass sie „mit ihrer Musik den Himmel mit der Erde verbinden“ möchte, symbolisiert in beiden Balken des Kreuzes. Für sie ist die Aufspaltung in Konfessionen „eine Fortsetzung der Kreuzigung“.
Aus solchem Glaubensfundament wird verständlich, mit welcher tiefen Kraft sie komponiert, wie ihr Personalstil Altes mit Neuem verbindet. Auch dies passte wunderbar zum Leitwort des Festivals 2009: „Zwischen Himmel und Erde“. Und die sichtlich gerührte Künstlerin sagte u. a. in ihrem Dankeswort: „Die Kirche braucht unseren Dienst“, und „ich träume (davon) …, eine sakramentale Handlung zu konzipieren“ unter der Maxime: „Alles was atmet, lobe den Herrn!“
Damit war der Boden bereitet für ein eindrucksvolles Konzert mit dem prächtigen Latvian Radio Choir, dem herausragenden Cellisten Ramon Jaffé, den ungemein quirligen, allgegenwärtigen Schlagzeugerinnen Anja Füsti und Teresa Malik sowie dem 34-​jährigen Organisten Aigars Reinis, der auf der Emporenorgel den Chor im Altarraum bestens begleitete — eine nicht leichte Aufgabe, der räumlichen Entfernung mittels Spiegelverständigung wegen.
Das erste Werk, „Jauchzt vor Gott“ für gem. Chor und Orgel aus dem Jahre 1989 atmet noch klar den Geist der Avantgarde mit den ihr verpflichteten Ausdrucksmodi: lange linear, später ausgesprochen flächig mit einer enormen Dominanz der Orgel, unglaublich vielfältig (um)registriert bis zum Tutti, dem der ca. sechsfach besetzte Kammerchor ohne Mühe Paroli bieten konnte. Nur das Tenorsolo stach überforciert.
Das folgende Orgelwerk mit dem Titel „Hell und Dunkel“ (1976) leuchtete deren Pole facettenreich und ergiebig aus. Allein die technische Bewältigung ist selbst für den Kenner erstaunlich: was da über verschiedenartigsten Clustern (ruhigen oder raschen in Sextolen) an Linien perlte, an Trompetentrillern zu labialen Tremolandi, wiederum dezenten Clustern in höchsten Lagen oder Prinzipal-​Linien, im Pedal große Sekunden — das ist angesichts der Ausdrucks– und Ideenfülle nur schwach zu beschreiben möglich.
Schließlich das Hauptwerk des Abends, der „Sonnengesang“ des hl. Franziskus für Violoncello, Kammerchor, Schlagzeug und Celesta. Die für Ausführende und Hörer überaus anspruchsvolle und lohnende Komposition von 1997 belegt alle genannten Intentionen und Kriterien der Sofia Gubaidulina. Raum und Zeit gerinnen zu Ewigkeitsassoziationen, machen von Teil zu Teil des „Laudato si, mi Signore“ im Lobpreis der Schöpfung und ihres Schöpfers eine geradezu zwingend symbolische Entwicklung durch von der großen Sekunde über die Terz, Quarte, Quinte.
Die Haupt“last“ trug der Cellist, der mit einer nicht überbietbaren Hingabe seinem Instrument, dem Flexaton (einem elastischen Metallblatt), der großen Trommel und dem Gong mit Bogen und Schlägeln kreativste Klänge entlockte wie die viel beschäftigten hochkarätigen Schlagzeugerinnen ihre Instrumentenbatterie mit der Celesta als Abrundung samt Gläsern, mit dem Finger gestrichen. Der Chor im Unisono, der Zwei– bis Vielstimmigkeit, auch der Frauenstimmen oder des Männerchors, hatte eine Mammutleistung von schlichter Tonsprache bis zum explosiven Fortissimo in „himmlischen Längen“ zu vollbringen. Dem sensiblen Chefdirigenten, Sigvards Klava, gelang es meisterhaft, dieses Klanggemälde feinsinnig zu strukturieren.
Nach lang anhaltendem Beifall des aufgestandenen Publikums für die Ausführenden und die sichtlich bewegte Komponistin überreichte Oberbürgermeister Leidig mit gleichermaßen bewegten Worten des Dankes und der Würdigung Sofia Gubaidulina den Preis, den sie bescheiden und dankbar annahm. Der Kairos des Abends lag über einem unvergesslichen Abend, der Schwäbisch Gmünd zur Ehre gereicht.

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