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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Gmünder Epilepsietag im Stadtgarten

Der vierte Gmünder Epilepsietag fand wieder in Zusammenarbeit zwischen der Praxis Dr. Kirchmeier und der örtlichen Selbsthilfegruppe (SHG) für Anfallskranke statt. Anlässlich des 20-​jährigen Jubiläums der SHG wurde in diesem Jahr erstmals der Versuch gewagt, am Vormittag eine Fortbildungsveranstaltung für Ärzte anzubieten. Die Nachmittagsveranstaltung war für Patienten, Angehörige und Interessierte konzipiert.

Donnerstag, 23. Juli 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (pm). In seiner Begrüßung ging Dr. Kirchmeier auf die im Verlauf der Jahrhunderte wechselnde positive oder negative Stigmatisierung der Krankheit Epilepsie ein. Auch heute noch sind die Informationen über Epilepsie lückenhaft, deshalb gelte es, durch den Gmünder Epilepsietag Aufklärung zu leisten.
Klaus Meyer, Vorsitzender der Selbsthilfegruppe für Anfallskranke in Schwäbisch Gmünd und Umgebung, ging in seinem Vortrag „20 Jahre SHG – Rückblick und Ausblick“ auf die geleisteten Stunden ein: seit 1989 gab es rund 200 Treffen, insgesamt 600 Stunden ehrenamtliche Arbeit. Stolz sei er auch auf das seit 5 Jahren bestehende Büro, in dem über 200 Stunden ehrenamtliche Arbeit geleistet wurden. Skeptisch zeigte er sich gegenüber Informationen aus dem Internet – ihm sei das Gespräch vor Ort und der persönliche Kontakt noch immer wichtig, deshalb riet er Betroffenen zum Besuch einer SHG. Im Ausblick mahnte Klaus Meyer an, dass für verschiedene Berufsgruppen wie Erzieher oder Lehrer die Epilepsie nicht Teil des Berufsalltags sei.
Birgit Baur, stv. Vorsitzende der SHG, dankte u.a. Sigrid Heusel für die Organisation. Sie konnte berichten, dass ihr Sohn nach fast neunjähriger Erkrankung an Epilepsie medikamentenfrei ist und sich auch im EEG keine epilepsietypischen Potentiale mehr zeigen. Dies sollte allen Mut machen, bei denen noch nicht das richtige Medikament gefunden ist.
Danach sprach Bürgermeister Joachim Bläse der SHG seinen Dank aus, denn Selbsthilfegruppen nähmen den Kommunen Arbeit ab. Deshalb sei es nur logisch, dass die Kommune Voraussetzungen für gelingende Selbsthilfegruppenarbeit schaffe. Er gratulierte der Gmünder SHG zu deren 20-​jährigem Jubiläum und wünschte viel Erfolg für die Zukunft. Ganz besonders wichtig war ihm dabei das Motto der Gmünder SHG: Epilepsie braucht Offenheit.
Professor med. Andreas Schulze-​Bonhage sprach zum Thema „Epilepsie behandeln – aber richtig“. Die Diagnose „Epilepsie“ ziehe eine Beeinträchtigung in vielen Bereichen nach sich, sei es nun in Kindergarten, Schule, Beruf, Sport oder bei einer geplanten Schwangerschaft. Epilepsiekranke leben mit vielen Ängsten z. B. der Angst vor einer Hirnschädigung durch den Anfall, Angst um den Arbeitsplatz, Angst vor Unfällen, Angst vor Vererbung der Epilepsie und nicht zuletzt der Angst, bei einem Anfall sterben zu können. Dies alles wirkt sich nicht positiv auf die Lebensqualität aus.
In Untersuchungen wurde festgestellt, dass nicht die Zahl der Anfälle pro Monat ausschlaggebend für die empfundene Lebensqualität ist, sondern deren Schwere. Schulze-​Bonhage ging auch darauf ein, dass viele ältere Antiepileptika depressionsfördernd seien, aus diesem Grund rate er zur Verwendung der Antiepileptika der zweiten Generation.
Diese verursachen weniger Langzeitschäden (unter Valproat kann es z. B. zu Osteoporose kommen) und ergeben neue Möglichkeiten in der Kombination und Therapie der Epilepsie. Als zweiten Teil seines Vortrags ging Prof. Schulze-​Bonhage auf die Problematik der Nachahmerprodukte (Generika) ein. Hier sei festzustellen, dass ein ständiges Wechseln zwischen Originalpräparat und Generikum oder auch ein Wechsel zwischen unterschiedlichen Generika keine Kosten spare, sondern diese eventuell deutlich erhöhe.
Dies liegt daran, dass für das Originalpräparat eine weit geringere Schwankung der Wirkstoffdosis als für Generika. Hieraus ergibt sich bezüglich der Medikamentenspiegel eine enorme Schwankung und der Patient kann leicht über– oder unterdosiert werden. Kommt es dann wieder zu Anfällen und der Patient verletzt sich und muss ins Krankenhaus, so haben die Krankenkassen nichts gespart.
Zum Schluss ging Schulze-​Bonhage noch auf die Vagusnerv-​Stimulation ein. Hier wird ähnlich wie bei einem Herzschrittmacher alle 30 Minuten ein Impuls gesendet. Hat der Patient eine Aura, kann er den Vagusnerv-​Stimulator selbst aktivieren und den Anfall unterbinden. Damit hat er ein Kontrollgefühl, außerdem wurde festgestellt, dass sich nach Einsetzen eines Stimulators die Stimmung deutlich bessert.
Dr. med. Dieter Dennig, der eine Schwerpunktpraxis Epileptologie in Stuttgart betreibt, sprach mit seinem Vortrag „Epilepsiepatienten werden erwachsen – der Übergang vom Kinderarzt zum Neurologen“ besonders Jugendliche an, aber auch deren Eltern. Er wünschte sich, dass dieser Übergang geplant werde, z. B. indem man den Neurologen aussuche, dabei die langen Wartezeiten beachte und Unterlagen zusammenstelle.
Er sprach die Hürden vom Kinderarzt zum Neurologen an, aber auch die Chancen durch diesen Wechsel: selbständiger Umgang des Patienten mit seiner Krankheit und neue Therapie– und Behandlungsmöglichkeiten. Angst, Scham und Vorurteile spielen bei jugendlichen Epilepsiepatienten oft eine große Rolle, hier muss im Arzt-​Patienten-​Gespräch geklärt werden, wie die Krankheit beschrieben werden kann und wem man von seiner Krankheit erzählt.
Natürlich stellt sich bei Jugendlichen die Frage nach dem Führerschein, was Dr. Dennig folgendermaßen beantworten konnte: normalerweise kann nach einem Jahr Anfallsfreiheit der Führerschein gemacht werden. Wenn bei jungen Erwachsenen der Auszug ansteht, muss natürlich über Risiken und Unfallgefährdung gesprochen werden. Auch Sport und Epilepsie ist ein Thema, wobei Dr. Dennig meinte, dass Epilepsiekranke viel zu wenig Sport trieben. Alle Leichtathletikarten sowie Laufen oder Tanzen sind unbedenklich, beim Schwimmen, Reiten und Fahrradfahren sollten entsprechende Schutzmaßnahmen getroffen werden.
Von Boxen, Steilwandklettern, Tauchen, Drachenfliegen oder Sportschießen wird abgeraten. Da junge Leute auch gerne reisen ist vorher zu klären, in welche Gegend; z. B. sind Malaria-​Mittel dafür bekannt, dass sie Anfälle auslösen können. Impfungen sind normalerweise kein Problem, man sollte sich aber den chemischen Namen sowie die mg-​Stärke seiner Medikamente notieren, weil diese im Reiseland vielleicht unter einem anderen Namen vertrieben werden. Außerdem sei es notwendig, an verschiedenen Stellen im Gepäck genügend Anfallsmedikamente zu deponieren, falls einmal ein Koffer geklaut wird oder nicht am Bestimmungsflughafen ankommt. Im Bereich Freizeitgestaltung (Problem Disco, Alkohol) wies Dr. Dennig darauf hin, dass es wichtig sei, die Peergroup des Jugendlichen einzubeziehen; dann sagt vielleicht der beste Freund, jetzt wäre es besser, nicht noch ein Bierchen zu trinken oder heimzugehen. Dieser Rat wird meist besser angenommen als von den Eltern oder dem Arzt.
Zum Schluss ging Dr. Dennig noch auf das Thema Ausbildung ein. Hier werden die Anfälle nach Gefährdungsgesichtspunkten eingeordnet und die Prognose der Epilepsie mit einbezogen. Er wies darauf hin, dass Ausbildungsbetriebe über das Integrationsamt spezielle Leistungen erhalten könnten oder die Ausbildung in einem Berufsbildungswerk gemacht werden könnte.
Hier hat vor Ort das BBW in Waiblingen einen Epilepsieschwerpunkt. Wenn die Anfälle nur selten auftreten, muss die Epilepsie nicht genannt werden, jedoch wäre eine gute Möglichkeit, die Epilepsie mit dem Betriebsarzt zu besprechen, denn er unterliegt der Schweigepflicht.

Die Selbshilfegruppe trifft sich jeden letzten Mittwoch im Monat, das nächste Mal am 29. Juli in der Kappelgasse 13 ab 19 Uhr. Das Büro ist jeden 2. und 4. Donnerstag von 15 – 17 Uhr besetzt, es kann dann unter der Telefonnummer 07171/​9979828 erreicht werden.

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