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Festival Europäische Kirchenmusik : Die Gruppe Qntal, ein Fall von experimentellem Grenzgängertum

Zum Selbstverständnis der EKM gehört experimentelles Grenzgängertum. In diesem Jahr fiel dieser Part der Band Qntal zu. Man trat eine umgekehrte Zeitreise an: Vom Mittelalter per Elektronik in die Moderne. Von Peter Skobowsky

Freitag, 24. Juli 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 17 Sekunden Lesedauer

KONZERT. Qntal – der Name ist ein Fantasieprodukt der Sängerin Sigrid Hausen. Die Mitglieder des Ensembles präsentierten bereits 2001 im Ensemble Estampie ebenfalls in der Johanneskirche das mittelalterliche Erbe der Troubadoure, Mönche und Laudesi original. Dieses Mal gingen sie auch vom Mittelalter aus, traten aber mittels Elektronik eine „umgekehrte Zeitreise“ an, um eine Konfrontation mit modernen Mitteln zu realisieren. Das bedeutet keine willkürliche Improvisation, sondern nach wie vor gründliche Forschung, die erst den Weg von Qntal erlaubt. Die abgeklärten Profis aus dem Salzburger Mozarteum, u. a. von Nikolaus Harnoncourt oder Andrea Ramm geprägt, wollten mit Qntal einen eigenen Weg gehen, und viele (nicht bestellte, schwarz gewandete) Fans folgen der Band von Konzert zu Konzert. Selten wurde so viel fotografiert, noch mehr applaudiert, gekreischt, „gewiehert“…
Der Kommentar von Menschen, die vor dem Konzert noch einen Blick in die Johanniskirche taten und den Instrumentenaufbau samt Lichtanlage sahen, das sei wohl jetzt „Disco in der Kirche“, hatten so unrecht nicht: Die Apsis war in mystisches Blau getaucht, die Dynamik fast ausnahmslos am oberen Dezibelbereich angesiedelt, laut Klaus Stemmler „kräftig zur Sache“ gehend. Umso mehr faszinierte Syrah (Sigrid Hausen) mit permanenter Stimmpräsenz über 100 Minuten hinweg.
Michael Popp – instrumentaler Gegenpol der Sängerin – wartete mit vielen historischen Saiteninstrumenten, aber auch dem E-​Bass auf. Zu Beginn agierte er als dynamischer Dompteur, der beschwörend den digitalen Sound von Fil (Keyboards, Guitars und vor allem Programming) an– und abschwellen ließ.
Die Vocals bewegten sich bei verhaltener Lautstärke in relativ engen Intervallgrenzen, was sowohl die alten Texte (häufig von Walther von der Vogelweide) als auch den lauten Instrumentalkontext wohltuend erdete. Emotional musste das einfach gefangen nehmen. Die Reaktion der vielen Hörer spiegelte dies deutlich.
Das Nonstop des Programms war zwingend, um nicht den Fluss des Ganzen zu zerreißen. Die Programmfolge entsprach nicht der des Programmhefts, um frei zu sein in der Wahrnehmung des Dialogischen zum Publikum hin. Die Tontechnik von mixtown (Schwäbisch Gmünd) steigerte sich nach anfänglichen Problemen: Das Schlagzeug von Markus Köstner war trotz kräftigem Agieren im ersten Beitrag überhaupt nicht zu hören.
Einen gewichtigen Anteil am Gelingen von Qntal hatte die bewährte Lichtregie von Elmar Eckert. Da wurde so alles aufgeboten, was an Effekten möglich war. Lichtorgelfans wären ganz happy gewesen. Die farblich unterschiedliche Ausleuchtung war das eine, das andere die in den Raum projizierte Ornamentik mit Symbolcharakter, selbst das Blenden des Publikums mit gleißendem Weiß zeigte Wirkung.
Die Musik ging unter die Haut, selten zärtlich zurückhaltend, dafür zumeist aufwühlend. Aber man brauchte wenigstens keine Ohrenstöpsel wie bei der Performance „Op f’ahr“ durch das Ensemble „Est!Est!!Est!!!“ im Juli 2002! Die modernen Troubadoure jedenfalls überzeugten in deren Verständnis von Authentizität. Man müsse so buchstabieren: akribischer Respekt vor der Quelle als Versuch, sich wenigstens ein Stück dem Geheimnis zu nähern, dann aber — eben nicht „statisch“ — Ausdrucksmittel zu praktizieren, die das je Eigene, musikalisch intuitiv zum Klingen bringen. Und das tun sie seit Estampie mit Erfolg, der auch dadurch unterstrichen wurde, dass drei Zugaben (aus dem Programm) den eindrucksvollen Auftritt beendeten. „Disco in der Kirche“ — die Frage bleibt im Raum, auch angesichts Jesu Forderung in Johannes 2,16.

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