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Wirtschaft: Der Preisträger des renommierten „E.ON-Future-Awards“ des vergangenen Jahres kommt aus Waldstetten

Aus dem Ländle kommt ein weiterer Tüftler und Forscher. Erst 29 Jahre alt und schon so ein „Cleverle“. Weise, aber leise. Oder haben Sie etwa gewusst, dass der E.ON-Future-Award-Preisträger des vergangenen Jahres aus Waldstetten kommt? Von Giovanni Deriu

Samstag, 22. August 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

WALDSTETTEN. Benjamin Alles, ehemaliger Abiturient am Scheffold-​Gymnasium, möchte kein Aufsehen um seinen Preis und arbeitet weiterhin im Hintergrund — auch für unsere Sicherheit im Auto.
Benjamin Alles ist bei Infineon im Bereich „Operation Assembly test Power Semiconductor Technology“, kurz (und dennoch lang), O-​P-​A-​T-​P-​S-​C-​T, genannt. Da, wo große Elektroströme auf kleinere heruntergebrochen werden. Alles klar? Doktor Alles lächelt und gibt zu, dass im Technology-​Bereich, „alles anglifiziert sei“. Benjamin Alles ist im Bereich der Halbleitertechnik tätig. Er ist Mitarbeiter in der „Gehäusevorentwicklung“ für Leistungshalbleiter. Diese Bauteile, so Alles, sind sehr weit verbreitet. Überall in unserem Alltagsleben begegnen uns diese Bauteile – als „unsichtbare Helferlein“, fügt Dr. Alles (der auf die Doktoranrede wenig Wert legt) hinzu. Die „Helferlein“ stecken im Detail: „Im Netzteil des Heimrechners und Computer, in der Waschmaschine“, aber in großen Mengen in jedem Auto („fast zu 100 Prozent sind Infineon-​Chips in jedem Wagen“). Allein beim „Starten des Motors“ nutze ein Auto heute mehr „Rechenleistung“, wie der NASA beim Flug auf den Mond vor „40 Jahren in der Rakete“ zur Verfügung stand, veranschaulicht Benjamin Alles die immensen Datenmengen.
Bedenkt man, dass die „ganzen elektrischen Funktionen“ vom Chip gesteuert werden, könne man schnell schlussfolgern, die Gehäuseentwicklung sei vergleichsweise einfach. Dem widerspricht Dr. Alles energisch: „Gerade bei den Leistungshalbleitern ist das Gehäuse sehr wichtig“ – der empfindliche Chip müsse von der Umwelt geschützt werden, „mechanisch und chemisch“. Außerdem müssten stets die Betriebsbedingungen mit den „hohen Zuverlässigkeits-​Anforderungen“ in Einklang gebracht werden.
Das habe es aber in sich. Benjamin Alles und sein Team entwickeln speziell für den Fahrzeug-​Bereich die dementsprechenden „Gehäuse“ für die kleinen Datenträger auf kleinstem Raum, „etwa bei 100 Nanometern“, was umgerechnet „1000 Atome sind“.
Benjamin Alles und sein Team schütteln nun bei ihrer Tätigkeit die Atome gehörig durcheinander. Am Rechner, aber auch ganz realitätsnah beim „Stress-​Test“, einem internen TÜV im Unternehmen, gleich nebenan. Entweder in Kältekammern mit hohen Minusgraden oder in Öfen mit Temperaturen wie in der Sahara. Klar, Deutschlands Autos werden schließlich überallhin verkauft. Da darf die abgespeicherte Datenmenge für den intakt laufenden Motor keinen Schaden nehmen. Ein Motorausfall „bei 180 Sachen?“, die Bremsen blockieren?, beschreibt Alles die „Worst-​Case-​Szenarien“, fürchterlich wären die „Regressforderungen“ an das Unternehmen. Viel Verantwortung spüre Benjamin Alles bei seinem Job. Die virtuelle Simulation und „computergestützte Analysen“, im Bereich „Virtual Engineering“, ermöglicht, kritische Stellen schneller und günstiger zu finden, erklärt Mathematiker Benjamin Alles, der Experte für enorme Datenmengen auf „Kleinstflächen“. („Ein Fingernagel ist schon riesig“).
Anders als im „Front-​End“, wo „jedes Stäubchen“ eine Ladung minimieren kann, und sich die Mitarbeiter in Astronauten-​Anzügen durch absolute „reinste Reinräume“ bewegen, „Marsmenschen-​ähnlich“, fügt Alles hinzu, arbeitet er nun im „Back-​End“. In „normaler Kleidung“ kämen alle zur Arbeit, auch rauchen dürften die Mitarbeiter in den Pausen, nur die „elektrische Aufladung“, beispielsweise durch Gummi-​Schuhsohlen, würde vermieden — dazu diene ein Armband, das einfach geerdet wird. Alles kennt aber beide Arbeitsbereiche.
So gesehen startete die Karriere von Benjamin Alles an der Technischen Universität („TU“) München. Ein Praktikum im Rahmen des Studiums beim Unternehmen „Carl Zeiss SMT AG“ in Oberkochen, hat Alles damals sehr „fasziniert“. Die Vielseitigkeit der Mathematik und Physik in der „industriellen Praxis“, deren „Anwendbarkeit“ in der „nicht mehr wegzudenkenden Schlüsseltechnologie“ haben es dem 29-​jährigen Doktor der Naturwissenschaften bis heute angetan. Jedenfalls schloss Alles auch seine damalige Diplomarbeit in Zusammenarbeit mit Siemens „mit sehr gut“ ab. Die Diplomarbeit überzeugte. Spezialisiert hat sich Dr. Benjamin Alles auf das Aufbringen, „einer Art des Aufkopieren“ der Masken auf die Silizium-​Blättchen. Diese „Präzisions-​Arbeit“ beim Auftragen der „Masken“ hat den Naturwissenschaftler früh interessiert. Die Anwendung dieser „Photomasken“ dient sehr fein strukturierten Halbleitern, wie Computerprozessoren, erklärt Alles (vereinfacht). Hierbei, erwähnt er weiter, bewege man sich im Bereich von Kleinst-​Masken „unter 50 Nanometern“, bei 500 Atomen also. Seine Doktorarbeit zum Thema „Gekoppelte Drift-​Diffusions-​Probleme mit impliziten Quelltermen und deren Anwendung“ bestand er hervorragend mit der Auszeichnung „Magna cum Laude“. Diese Promotion mit dem „Titel-​Ungetüm“ beschäftigt sich eben mit der Herstellung der „Photomasken“, hatte aber zudem den Begleiteffekt, bestimmte Ungenauigkeiten beim Strukturieren von sehr feinen Masken deutlich zu reduzieren, ohne dass neue Geräte hinzugekauft werden mussten. Und immer wieder ging es um „Präzision“ – da wo unsereiner eigentlich nichts mehr sieht.
Die Platzierungsanforderung, erklärt Benjamin Alles, für eine etwa „15 mal 15 Zentimeter große Maskenfläche“ liege bei „zehn Nanometern“ oder darunter. Immerhin weniger als 100 Atome. Wir bitten um einen Vergleich. Doktor Alles überlegt, und meint, es wäre so, „als ob Sie von einem Hochhaus mit einem Dartpfeil den auf einem Fußballfeld gepflanzten Stecknadelkopf treffen“ – und das mehrere Millionen Male „hintereinander“. Da bleibt einigen die Spucke weg.
Sein Doktorvater, Prof. Dr. Bernd Simeon, schrieb dann das Empfehlungsschreiben für Benjamin Alles. Im November vergangenen Jahres wurde Benjamin Alles als erster Mathematiker für seine Doktorarbeit mit dem E.ON-Future-Award, einem „Oscar“ für Innovation an der TU München ausgezeichnet. Den Preis erhielt Benjamin Alles für die Idee, aber viel wichtiger, für die gezielte Anwendbarkeit. Benjamin Alles, der sich selbst als „Agnostiker“ beschreibt, möchte weiterhin neugierig bleiben, ihm gehe es auch um die „Zuverlässigkeit von Vorhersagen“, aber er ist demütig genug, um zu wissen, dass ein „Restrisiko“ wohl immer bestehen bleiben wird. Im Bereich der Atome, wie in unserem Alltagsleben.

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