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Internationale Kunst der Gegenwart — die Fotos von Guy Tillim

In der heutigen Etappe des RZ-​Streifzugs durch die Daimler-​Kunstsammlung geht es in die Galerie im Prediger, die den dritten Teil dieser umfangreichen Präsentation beherbergt.

Dienstag, 08. September 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 9 Sekunden Lesedauer

AUSSTELLUNG (joh). Versammelt sind hier Pop Art, Readymade, internationale Gegenwartskunst sowie Auftragsarbeiten zum Thema Automobil. Gleich beim Eintritt in die Galerie im Prediger lenkt die Neonskulptur „Gib Gas“ von Albert Hien (geb. 1956) alle Blicke auf sich und hinterfragt unsere mobile, technisierte Welt.
Die vordergründig sexualisierte Sprache der Motor-​Sport-​Coverseiten exponiert die 1960 in Genf geborene Sylvie Fleury, indem sie diese vergrößert vor die Wand lehnt; zugleich verwandelt Fleury den Formel-​1-​Overall von Mika Häkkinen in ein elegantes Abendkleid mit Flammendekor. Die Pop-​Art Leitfigur Andy Warhol (1928 – 1987) feiert die Silhouetten des Mercedes-​Flügeltürers und des legendären Formel-​Rennwagens W 125 aus den 1930er Jahren als Ikonen der Mobilität und Fetisch einer expandierenden Konsumgesellschaft. Und im Hyperrealismus zweier großformatiger, in Kohle und Graphit gehaltener Schwarz-​Weiß Zeichnungen von oben betrachteter Mercedes-​Modelle macht Robert Longo (geb.1953) auf normierte, „schwarz-​weiß“ vereinfachte Denkmuster aufmerksam, mittels derer man die Welt zu verstehen und zu konsumieren glaubt.
Original, Plagiat, Fälschung, Zitat — nirgends ist die Zuordnung dieser Begriffe so zentral wie in der Kunst: John M Armleder, geb. 1948 in Genf, lässt in seiner Installation „Don’t do it!“ die Geschichte des Readymades im 20. Jahrhundert mit marktfrischen Doubles der ihrerseits auratisierten Vorläufer Revue passieren. Mathieu Mercier (geb. 1970) zitiert mit Baumarkt-​Regalen heiter und lässig die Bildsprache von Piet Mondrian. Und für seine Skulptur „König Gerrit“ hat Nic Hess (geb. 1968) die Farbpalette von Gerrit Rietvelds revolutionärem, rot-​blauem Lehnstuhl von 1918 – 23 per Kleberollen erweitert und lässt sie nun schneckengleich in den Raum hineinwachsen.
Höhepunkte nicht nur südafrikanischer Fotokunst, sondern auch tief berührende gesellschaftskritische und politischen Reflexionen sind die beiden großen Fotoserien von Jane Alexander und Guy Tillim, beide Preisträger des seit 2000 vergebenen „Daimler Award for South African Culture“. Jane Alexander, 1959 in Johannesburg geboren, hat ihre Kamera wie ein Überwachungsfahrzeug eingesetzt, mit dem sie durch die Long Street in Kapstadt fährt; ihre am Computer einmontierten Skulpturen transponieren die Szenerie in ein unwirkliches Zwischenreich von Obdachlosigkeit, Vereinsamung, Rausch und Verwahrlosung. Im Dialog mit Alexanders Arbeiten stehen die jungen Gesichter der Kamajoor-​Milizionäre (Kindersoldaten) von Guy Tillim. Seit den 1980er Jahren hat sich der 1962 in Johannesburg geborene Tillim in Serien von Schwarz-​Weiß-​Fotografien mit verschiedenen Krisenherden im südlichen Afrika beschäftigt.
Einer der brutalsten Kriege begann 1991 in Sierra Leone, wo Rebellen gegen staatliche Truppen kämpften. Um zwischen den Fronten nicht völlig aufgerieben zu werden, setzte die Zivilbevölkerung in den Dörfern Jugendliche zur Verteidigung ein, die sogenannten Kamajoor-​Milizen. Tillims Porträts der jungen Milizen wurden innerhalb weniger Minuten aufgenommen, da sie zwischen den Fronten ständig in Bewegung waren. Eingenäht in ihre Jacken tragen sie kleine, von den Medizinmännern des Dorfes rituell „geheiligte“ Gegenstände, welche die jungen Soldaten vor den Kugeln der Feinde schützen sollen.
Tillims Bilder spiegeln auf kritisch-​sensible wie poetische Weise ein Bild Afrikas und bezeugen trotz ihrer politischen Brisanz und eines fast journalistischen Charakters eine hohe künstlerische und ästhetische Qualität.

Geöffnet noch bis zum 13. September. Di, Mi, Fr 14 – 17 Uhr, Do 14 – 19 Uhr, Sa, So, Feiertage 11 – 17 Uhr, Mo geschlossen. (www​.museum​-galerie​-fab​rik​.de).

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