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Stuttgarter Saloniker: Eine Reihe faszinierender Ohrwürmer von der Operette bis zum frühen Jazz

Violine, Cello, Bass, Klarinette, Klavier, diese fünf Instrumente hatten die Stuttgarter Saloniker zu ihrem Konzert in der Gmünder Volkshochschule mitgebracht. Manch einer mag denken, was das für eine seltsame Besetzung sei. Nicht für das Genre Salonmusik.

Mittwoch, 20. Januar 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 59 Sekunden Lesedauer

KONZERT (mwk). So, wie heute auch jeder einfach mit Mobiltelefon, Computer, MP3-​Player und so weiter Musik „macht“ oder besser gesagt hört, so hat man um die vorletzte Jahrhundertwende einfach mit dem musiziert, was sich in Haushalt, Familien– und Freundeskreis an Instrumenten fand. Besetzungstreue war nicht das Thema. Es musste Spaß beim Musizieren und Zuhören machen, sprich: Es musste klingen. Das tat es einen schönen Abend lang, wie die Saloniker quer durch Operette, Wiener Kaffeehausmusik und frühen Jazz mehr als nur zweifelsfrei unter Beweis stellten – mit Melodien, die auch heute noch jeder im Ohr hat
„Wien bleibt Wien“ ein spritziger Kopfsprung mit Johann Schrammels Walzer mitten hinein in ein Kaffeehaus, der sofort Lust auf ein Haferl leckeren Kaffee und ein großes Stück Sachertorte machte.
Nach einer charmanten Moderation des Obersalonikers Patrick Siben, der gekonnt und mit viel Augenzwinkern durch den Abend führte, ging es weiter mit der Fledermaus-​Ouvertüre. Es braucht kein großes Orchester, um großen Klang zu erzeugen. Einfach Augen zu und eintauchen in den Straußschen Melodienreigen. Mit den Klängen der Saloniker ein großes Vergnügen: Gefühl, Witz, Charme und Wehmut und zum Schluss wird alles gut! Walzerseligkeit der KuK-​Monarchie in all ihrer Größe und das von „nur“ fünf Musikern. Alle Achtung! Und weil’s so schön war, gleich noch eine Strauß-​Operette: „Eine Nacht in Venedig“ als Fantasie-​Selektion vom Komponisten selbst auf 16 Minuten eingedampft. Heute würde man das wohl einen Sampler nennen.
Doch bevor es losgehen konnte, mussten erst vier Mitwirkende aus dem Publikum für die Glocken des Markus-​Domes – an diesem Abend durch zwei Gongs repräsentiert – gefunden und dann noch ein Linkshänder-​Problem gelöst werden. Für Patrick Siben aber keine Schwierigkeit. Die Glocken übten noch kurz und dann konnte es losgehen mit dieser faszinierenden Ohrwurmreihe. Da stellte sich die Frage, wie fünf Musiker so viel Imagination, so viel Spannung und Gefühl hervor zaubern können? Zum Einen haben sie augenscheinlich viel Freude an dem, was sie da tun, nämlich ihr Publikum mit Urgroßvaters Musik erfreuen, aber sie wissen auch ganz genau was und wie, spielen gekonnt nicht nur auf ihren Instrumenten sondern auch mit Tempo, Agogik, Dynamik und allen Registern, die sie zu bieten haben. Kurz vor Schluss: Staunen und Schmunzeln über die bombastischen „Markus-​Glocken“ aus dem Publikum. Musik, die süchtig machen kann.
Wer hat jemals etwas von Virgilio Ranzato gehört? Wohl kaum einer, die Besucher des Saloniker-​Konzertes am Freitag haben seither wohl dem Großteil der Menschheit etwas voraus: seine „Zigeuner-​Patrouille“ mit Edita Konvicni an der Solo-​Violine: buntes musikalisches Treiben mit Charakter. Dagegen haben sicher schon viele der Konzertbesucher von Julius Fucik gehört. Eher unbekannt dürfte aber sein humoristisches Stück „Der alte Brummbär“ sein, eine Parade-​Partie für Kontrabass und was halt da ist. Herrlich, wie der Bass musikalisch durch die Gegend stolpert, mit seiner Schwerfälligkeit immer und immer wieder den Schwung aus der Musik nimmt, sich alle Mühe gibt, mit zu halten und es dann endlich zum ruhigen Wiegen schafft. Der „Champagner-​Galopp“ von Hans Christian Lumbye jagte das Publikum in die kulinarische Pause – nur echt mit der „Käppseles-​Maschin’“ aus dem Filstal, denn jedes mal einen Sektkorken knallen zu lassen, das wäre dann doch zu unschwäbisch.
Ob das Pausenbierchen alle noch etwas lockerer gemacht hatte? Es ging spritzig swingend weiter in den zweiten Teil mit einem „Cakewalk-​Twostep“ und damit über den großen Teich und zu den Anfängen des Jazz. Getoppt wurde das mit Musik der „Original Dixieland Bluesband“ aus Chicago oder „Down South“ — American Sketches von W. H. Michaelton – ursprünglich für Männerchor, doch auch mit den Salonikern ein wahrer Genuss und das nicht nur, weil das Publikum mitsang, was Patrick Siben gleich darauf zu einem weiteren Stück mit Publikumsbeteiligung anspornte: Die Petersburger Schlittenfahrt, natürlich mit Schlittenglocken gespielt vom ganzen Publikum – denn die mussten alle zwei Takte an Nebenfrau oder Nebenmann weitergereicht werden. Zum Schluss der „Schlittschuhläufer-​Walzer“, der herrliche Bilder von wintersportelnden Damen Hand in Hand mit ihren Kavalieren herbei zauberte. Mit welcher Zugabe muss jedes Neujahrskonzert enden? Natürlich mit dem Radetzky-​Marsch – auch mit den fünf Salonikern ein bombastisches Klangerlebnis. Heftigst herbeigeklatscht der Rausschmeißer: die „Sängerlust-​Polka“ von Johann Strauß. Ihr Schwung reichte bis nach Hause.

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