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Das Theater Lindenhof begeisterte mit der Geierwally die Zuschauer im Congress-​Centrum Stadtgarten

Es ist die längst untergegangene Welt der patriarchalischen Bergbauern, von Anstand und Gehorsam, von rauer Natur und unbändiger Körperkraft, die Wilhelmine von Hillern in ihrer „Geierwally“ 1873 verewigt hat. Doch das Aufbegehren der Frau und ihr Schwebezustand zwischen Widerspruch und Unterordnung hat heute in gewissen Subkulturen eine ganz eigene Aktualität gewonnen. Von Wilhelm Lienert

Freitag, 22. Januar 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 24 Sekunden Lesedauer

THEATER. Das Theater Lindenhof, das am Mittwochabend im Stadtgarten zu sehen war, hat in der Inszenierung von Heiner Kondschak das Stück entstaubt, es von Raum und Zeit befreit. Dietlinde Ellsässer als „abg’schaffte“, aber ungebeugte „Einheimische“ mit ihrem harten Alb-​Schwäbisch und die junge Linda Schlepps als „Fremde“ bilden eine Rahmenhandlung, die das Stück auf die wirklich wichtigen Szenen beschränkt.
Im Gespräch der beiden bei ihrem Aufstieg in einem fiktiven Gebirge werden die Zuschauer in die Geschichte eingeführt. Am Pfingstfest 1856, der Firmung von Walburga Stromminger, kommt es zum Showdown. Ihr Vater, der reichste Bauer im Tal und Platzhirsch verliert einen Ringkampf gegen den Bärenjosef und just in diesen hat sich Walburga verliebt. Natürlich ist an eine Verbindung der beiden nicht mehr zu denken, Vater und Tochter verharren über Wochen in eisigem Schweigen und schließlich wird dem Mädchen mit Vinzenz (Berthold Biesinger) ein Bräutigam präsentiert. Walburga (Gina Maas) widersetzt sich und wird mit ihrem zahmen Geier auf die höchste Alm am ewigen Eis verbannt.
Das schwache Weib leidet, aber nur körperlich – an ein Nachgeben ist nicht zu denken und allmählich scheint auch ihre Seele zu versteinern. Hier wird die „Geierwally“ zu einem tatsächlichen Drama, weg von jeder kitschigen Liebesgeschichte und Schnulzenherrlichkeit mit Happy-​end. Die erste Rückkehr scheitert, Wally findet Unterschlupf bei den Klotzbrüdern auf ihrem Freihof, aber sie kann vom Bärenjosef (Sebastian Freigang) nicht lassen. Nach dem Tod ihres Vaters wird sie die Hoferbin und frei von allen Zwängen, doch zur Liebe gehören zwei und Josef scheint Afra zu lieben.
Böse kränkt die Geierwally die unschuldige Magd – und wird von ihrem Josef ebenso gedemütigt. Hartherzig fordert sie seinen Tod und Vinzenz, noch immer in Liebe nach ihr verschmachtend, schickt sich an, die Tat auszuführen. Aber Josef überlebt dank Wallys beherzter Rettung, sie überlässt von Schuld gequält Afra den Mann und zieht in die Berge. Doch das Schicksal hat ein Einsehen mit der Hauptfigur, nach alter Bauerntheatertradition ist Afra Josefs uneheliche Schwester und für das Paar gibt es ein Happy End, nur Vinzenz richtet sich wegen seines Anschlags und der unerwiderten Liebe. Diese nun doch recht überholten Vorstellungen von Erziehung und Moral, welche die Emanzipationsbestrebungen der Tochter überdecken und die eben nicht geradlinig verlaufende Lebensgeschichte hat das Theater Lindenhof äußerst kurzweilig verpackt. Als „eine Art Volksmusical“ deklariert Kondschak seine Inszenierung, mit Volksmusik und Chorgesang, der die Handlung immer wieder weiterführt.
Das Bühnenbild ist sparsam wie ein Bauernhaus des 19. Jahrhunderts, ein überdimensionales weißes Laken stellt den Gletscher dar und mit einem roten Spotlicht wechselt es zur brennenden Scheune. Das Holzhacken erklingt aus der Nachttischschublade und die Kredenz wird zur Haustür. Gelungene Gags, die das Stück aus der Verstaubtheit reißen, die Lachen in die Tristesse bringen. Der Geier, die zweite Hauptfigur des Stücks, erklingt durch das Saxophon, was bis zur Fütterung des Musikinstruments weiter getrieben wird. Auch der Wechsel zwischen Dialekt und Hochsprache macht sich als Stilelement erfrischend bemerkbar, zumal sogar die einzelnen Charaktere diesen Wechsel mitmachen. Der lang anhaltende Applaus bewies, dass sich manche schlimmen Befürchtungen des klassischen Theaterpublikums nicht erfüllt hatten und die Melchinger mit ihrer Aufführung für einen gelungenen Abend gesorgt hatten.

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