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Ein Aphorismenband von Winfried Schindler: Die Illusion der Wirklichkeit — die Wirklichkeit der Illusion

Kurz waren die Gedichte von Winfried Schindler schon immer, ist er doch ein Meister des Wortes, des prägnanten Ausdrucks, der Verknappung des Inhalts. Nun hat er seine Aphorismen veröffentlicht.

Sonntag, 24. Januar 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 4 Sekunden Lesedauer

BÜCHER (wil). 269 davon auf über hundert Seiten unter dem Titel „Die Illusion der Wirklichkeit – die Wirklichkeit der Illusion“. Schon der Titel des gefälligen Bändchens ist Programm. Wo unterscheidet sich die so genannte Realität von der Wahrnehmung durch den Einzelnen – und ist der Einzelne überhaupt eine Einheit? Aus wie vielen Ichs besteht der Mensch, wie nimmt er sich wahr und wie will er wahrgenommen werden? Winfried Schindler Aphorismen sind folgerichtig in zwei Teile gegliedert: in die unmöglichen Sprüche und in die Fragmente eines Ich-​Romans. Eingeleitet wird der Band von Paul Barié, der die Geschichte des Aphorismus seit Hippokrates aufzeigt, Parallelen zu La Rochefoucauld, Chamfort und Stanislaw Jerzy Lec zieht und die Kunst Schindlers lobt, Dinge auf den Punkt zu bringen. Denn „Der Aphorismus: ein Blitzschlag“ – so Schindler selbst. Der Aphorismus schafft um sich herum eine Leere, in die alles hineinpasst, was er selbst nicht aussagt.
Die Freude am Spiel mit Worten
prägt seine Aphorismen
Diese Leere schafft Winfried Schindler auf bewundernswerte Weise. Er stellt die richtigen Fragen, stellt oft sich und alles andere in Frage: „Unser Bewusstsein gehört nicht uns. Wem aber dann?“ Erweist er sich streckenweise als metaphysischer Nihilist, so entpuppt er sich doch auch als sinnlich einfühlsam: „Bevor wir ein Liebeswort aussprechen, sollten wir es in unserem Innern wie eine Katze streicheln.“ Manches mag böse erscheinen – „Die Frauen sind die besten, die man nie kennen gelernt hat“ – doch auch mit sich selbst geht Schindler vor allem ironisch um: „Schreiben ist eine Beschäftigung, wenn man nichts zu sagen hat“. Es ist die Freude am Spiel mit den Worten, die seine Aphorismen prägt und die den Leser zum ständigen Innehalten zwingt. Seine Themen sind die Realität, die Liebe und der Tod und dies in einem Atemzug. Er philosophiert über die Logik, das Schreiben und den Aphorismus selbst und dies natürlich mit beißender Ironie: „Memoiren dienen ihren Verfassern dazu, die vielen guten Taten in ihr Gedächtnis zu rufen, die sie nie begangen haben.“ Und wer über Sprache schreibt, der darf auch das Schweigen nicht vernachlässigen: „Es gibt Menschen, mit denen man sich nicht zu schweigen traut.“ Was sein Ich angeht, erweist sich Winfried Schindler als wahrhaft multiple Persönlichkeit(en), dabei aber immer kritisch mit sich selbst: „Die Stimme meines Gewissens flüstert mir unaufhörlich zu, was Andere mir Gutes tun sollten.“ Oder er bleibt mit sich allein: „In keinem meiner Sätze über mich komme ich vor.“ Dies ist nahezu Programm für Schindler, damit zwingt er den Leser zur wohl schwierigsten Beschäftigung – der Betrachtung des eigenen Ichs ohne Happy-​End. Manchmal erheiternd, manchmal scharfzüngig, aber immer mit Tiefgang. ohne dabei abzusinken, mit dieser Herausforderung wendet sich Schindler an seine Leser.

Winfried Schindler: Die Illusion der
Wirklichkeit – die Wirklichkeit der Illusion, Sonnenberg-​Verlag, 9.80 Euro,
erhältlich im Buchhandel.

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