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Hochgefühl des Technikrausches — Illustrationen des Göppingers Klaus Bürgle als Kunst

Wer zur Generation der um die Fünfzigjährigen gehört, dem versetzt es hier garantiert einen Nostalgie-​Kick. Fast jeder hat diese Illustrationen gesehen. Sie entstanden nicht weit von hier, an einem kleinen Schreibtisch in der Nachbarstadt Göppingen

Samstag, 20. Februar 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 31 Sekunden Lesedauer

Von Reinhard Wagenblast
AUSSTELLUNG. Die farbigen Zeichnungen — so versteht sie ihr Urheber — zierten Buchdeckel von Jugendbüchern, häufiger aber die Titel und Innenseiten der Zeitschriften „Hobby“, „Bild der Wissenschaft“ und des technisch orientierten Jahrbuches „Das Neue Universum“, die allesamt in Stuttgarter Verlagen erschienen. Sie sind jetzt in einer Ausstellung auf Schloss Filseck zu sehen, kuratiert von der Kunsthalle Göppingen.
Für die Illustrationen, technischen Fantasien und Visionen der 50er bis 70er Jahre ist inzwischen der Begriff „Retro-​Futurismus“ gebräuchlich — er beschreibt aber nur die Perspektive des frühen 21. Jahrhunderts und ihre Sehnsucht nach einer Zeit, in der die Zukunft noch verlockend nach Raketentreibstoff roch. In ihrer Entstehungszeit waren diese Bilder absolut auf der Höhe eines optimistischen Zeitgefühls, das man am ehesten als Technikrausch beschreiben könnte. Die Gegenwart von heute ergeht sich vergleichsweise im Katzenjammer. So kommt’s, wenn man an die Vision einer Zukunft glaubt, in der technisch alles denkbar und möglich ist.
Der Schöpfer dieser schönen neuen Welten war der heute 84-​jährige Klaus Bürgle. Er, einer der ganz Großen der Illustration moderner Technik, lebt noch heute in Göppingen. Sein Werk, dessen Fülle und hohe Qualität, seien kaum zu ermessen, sagt Werner Meyer, der Leiter der Göppinger Kunsthalle: „Das Faszinierende daran ist, dass Klaus Bürgle an einem kleinen Schreibtisch in Göppingen sich so einen Horizont erarbeitet hat.“
Bürgle studierte nach dem Krieg an der Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste und machte zugleich eine Ausbildung als Grafiker, und als „Gebrauchsgrafiker“ bezeichnet er sich noch heute.
Für moderne, zukunftsweisende Technik und Raketen begeisterte er sich früh. Ein Freund schrieb Texte, Klaus Bürgle fertigte Zeichnungen an — zusammen hängten sie diese im alten Schaukasten einer Buchhandlung auf. Irgendwann sah der Chefredakteur des Jahrbuchs „Das Neue Universum“ diese Bilder, Bürgle erhielt einen Auftrag und war fortan der Illustrator. Von den Redakteuren der Zeitschriften bekam er die Texte zu lesen. „Die Motive zu entwerfen und in Szene zu setzen, war weitgehend meinem Vorstellungsvermögen und meiner Phantasie überlassen. Die technischen Erfindungen waren beschrieben, es gab auch technische Zeichnungen; die bildhaften Visionen von Raumfahrzeugen, Mondstationen, Magnetschwebebahnen oder Flughäfen in der Arktis konnte ich erfinden. Es ging auch nicht nur um den Weltraum. Ich hatte viel Spaß dabei, Verkehrsanlagen zu entwerfen, einen Autozug zu erfinden, in dem die Autos quer eingestellt wurden“, erinnert sich Klaus Bürgle.
Man brauchte ihn für alles, was man nicht fotografieren konnte, weil es die Entwicklungen erst im Entwurf gab. Und Klaus Bürgle war einer der wenigen, der dies sachlich und verführerisch zugleich zeichnen konnte — mit Temperafarben.
Bürgles Illustrationen waren Teil einer großen Aufbruchstimmung der 1950er und 60er Jahre, allerdings auch des Kalten Kriegs. Die Bildungsoffensive jener Jahre war Teil des Wettlaufs der Systeme und Weltanschauungen. Erst in den 80er Jahren änderte sich dies, die Ökologiebewegung machte die Gefährdung des Erde bewusst, die Hochrüstung geriet an ihre Grenzen. Das Jahr 1989 markiert hier die Schwelle zu einer anderen Zeit. Für die Bilder entwickelte die Computertechnik neue Möglichkeiten. Bürgle verlegte sich mehr auf die Illustration von Oldtimern, „Hobby“ und das „Neue Universum“ stellten ihr Erscheinen ein.
Gleichzeitig aber wurde es möglich, den enormen ästhetischen Eigenwert dieser Illustrationen zu würdigen, ähnlich wie bei den Tierwelt-​Bildern des 19. Jahrhunderts, bevor die Fotografie die Zeichnung als Medium der Naturdarstellung ablöste. Jetzt kann Bürgles Gebrauchsgrafik Kunst werden.

„Klaus Bürgle — Zurück in die Zukunft“. Ausstellung auf Schloss Filseck bei Göppingen, Öffnungszeiten: Di — So von 14 — 17 Uhr, zu sehen bis zum 24. Mai.

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