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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Besuch in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) auf dem Hardt — Größter Wunsch ist eine Ausbildung für die jungen Leute

Sie leben mit der Angst, die Asylbewerber und die Geduldeten. „Im Spannungsfeld zwischen Integration und Ausgegrenztsein“, nennen es die Mitarbeiter der Gemeinschaftsunterkunft – sie und ihre „Ehrenamtlichen“ sind meist die einzigen, denen das Schicksal der Gestrandeten am Herzen liegt.

Dienstag, 09. März 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). In loser Folge berichtet die RZ über verschiedene Aspekte der Integration bzw. des „Fremdseins“ in der Stadt, und in diesem Rahmen werden auch Flüchtlingsschicksale vorgestellt, die enormen Belastungen, denen die „Langzeitgeduldeten“ ausgesetzt sind, das Rückkehrerprogramm, die Arbeit der Ehrenamtlichen, das Eingebundensein ins Stadtteilleben und anderes mehr. Der erste Blick auf den Hardt freilich gilt den Mitarbeitern, die allesamt von „Berufung“ sprechen. Wer hier nicht mit Herzblut dabei ist, so wird aus den Gesprächen deutlich, bleibt nicht lange. Auch der Chef selbst, Hans-​Michael Betz, nimmt Anteil. Geleitet wird die Einrichtung von ihrem „guten Geist“, sprich von Marcella Bolsinger, Vertrauensfrau und Ansprechpartnerin für alle in allen Fragen. Und da fällt schon einiges an.
Bußgeld für versäumten Putzdienst und verschmutzte Herdplatte
Die Bewohner der GU erhalten Sachleistungen. Die Erstausstattung umfasst einen flachen und einen tiefen Teller, einmal Besteck, ein Glas, eine Tasse, einen Topf und eine Pfanne, neuerdings auch einen Schöpflöffel und einen Schaber. Alle Beteiligten sind unglaublich froh am Birlik-​Supermarkt, der’s ermöglicht, auf die unseligen Essenspakete oder überteuerte Angebote anderer Anbieter zu verzichten. Die Bewohner erhalten eine Kundenkarte, die es ihnen ermöglicht, jeden Monat ihren Gewohnheiten entsprechend einzukaufen – Erwachsenen stehen 30,56 Euro zur Verfügung, Kindern etwas weniger. Montags und Donnerstags wird von 9 bis 11 Uhr eingekauft, und Mitarbeiterin Eva Hägele stellt sicher, dass sich weder Alkohol, noch Zigaretten oder Hygieneartikel im Warenkorb finden: „Da gibt’s aber nie Ärger“. Wenn ein Alleinstehener freilich von Schokolade und Vitamintabletten leben wollte, dürfte er das theoretisch – wobei Eva Hägele vermutlich zur Vernunft raten würde. Einmal im Monat gibt’s ein Paket mit den nötigsten Hygieneartikeln. Kleidung finden die Flüchtlinge in der Kleiderkammer, die Dank Ehrenamtlicher wie Prof. Köhnlein immer wieder mit Spenden gefüllt wird; lediglich Unterwäsche, Strümpfe und, zweimal im Jahr, Schuhe gibt’s neu.
Auch ein Taschengeld in Höhe von 40,90 Euro erhalten die Flüchtlinge. Wer sich allerdings nicht oder nicht ausreichend um die „schwäbische Kehrwoche“ bemüht, erhält pro versäumtem Dienst vier Euro weniger, die nicht geputzte Herdplatte kostet einen Euro pro Tag. In diesem Bereich arbeitet Simon Török, der auch für die Belegung der Zimmer zuständig ist. Jedem Flüchtling stehen 4,5 Quadratmeter Wohn– und Schlaffläche zu; theoretisch könnten 170 Menschen unterkommen. Praktisch ist das unmöglich. Schlimm genug, dass Neuzugänge manchmal alles durcheinanderwürfeln. Török versucht alles, den Bewohnern das unter diesen Umständen angenehmste Wohnen zu ermöglichen: So erhält eine dreiköpfige Familie mit ein bisschen Glück ein Fünfbettzimmer; traumatisierte oder kranke Neuankömmlinge schlafen oft zwangsläufig allein in einem Zimmer. Türken teilen sich niemals mit Kurden ein Zimmer, ebenso wenig wie unterschiedliche Parteien eines Bürgerkriegs oder Menschen mit völlig verschiedenen Religionen oder Lebenweisen. Über Kontakte zur Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge in Karlsruhe sorgt Török zudem dafür dass sich das nicht ändert, dass 137 Menschen aus 21 Nationen klarkommen miteinander, irgendwie. Dann ist da noch Klara Gräff; sie gibt Post aus, verwaltet Spenden, führt Statistiken etc. Die zentrale Arbeit der Sozialpädagogen im Team, ihre Freuden, Sorgen und Herausforderungen, werden noch vorgestellt.
Wie gerne würden sie arbeiten, darin sind sich alle einig, die mit den Flüchtlingen zu tun haben – sämtlichen Vorurteilen zum Trotz. Und auch wenn die Kinder nicht länger auf die ehrenamtlich geführte „Schule für alle“ angewiesen sind, sondern öffentliche Schulen besuchen dürfen, bedauern die Mitarbeiter sehr, dass diese jungen Leute nach der Schule nicht ausgebildet werden dürfen: Wie viele Talente und Begabungen da verkümmern! Zudem würde eine solide Ausbildung den Rückkehrern in der Heimat ein Auskommen ermöglichen: „Aber alles, was mit Integration zu tun hat, wird vermieden“, bedauert Betz: Die Menschen in der GU sollen sich gar nicht erst heimisch fühlen.
Zwischen Bangen und Hoffen – Integration ist nicht erwünscht
Hans-​Michael Betz leitet den Geschäftsbereich „Integration und Versorgung“ und ist damit unter anderem für die rund 100 Flüchtlinge verantwortlich, die der Ostalbkreis jedes Jahr aufnimmt und in Gemeinschaftsunterkünften unterbringt. Spätaussiedler, jüdische Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion sowie Christen aus dem Irak, kommen im Aalener Wohnheim unter; ihnen geht es in vielerlei Hinsicht besser. Auf dem Hardt leben Flüchtlinge während ihres Asylverfahrens zwischen Hoffen und Bangen. Die wenigen, die anerkannt werden, dürfen sich selbst Arbeit suchen. Alle anderen sind nur „geduldet“; ein weiteres Jahr lang leben sie auf dem Hardt, dann werden sie den Gemeinden des Ostalbkreises zugewiesen, wo sie irgendwie damit zurecht kommen müssen, dass sie gar nicht richtig ankommen sollen im neuen Land.
Betz und sein Team auf dem Hardt nennen das Verständnis für unterschiedliche Lebensweisen und Kulturen sowie den Blick für Gemeinsamkeiten, die genutzt werden können, die wichtigsten Voraussetzungen für ihre Arbeit. Betz: „Durch Migranten wird die Welt viel bunter“, allein es fehle meist an bereichernder Offenheit und Toleranz. Eine enorme Herausforderung sei es auch, die einstige Kaserne mit möglichst geringen Mitteln instand zu halten bzw. für menschenwürdige Bedingungen zu sorgen. Den Hausmeistern gelte große Anerkennung, die nicht nur technisch Höchstleistungen zeigten, sondern auch mit den Menschen umzugehen verstünden – und ebenfalls lernen von den Fremden in ihrer Mitte.

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