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Das „Nostalgia trio“ mit Nils Wogram beim Landes-​Jazzfestival im Prediger: Ein feiner Sinn für Ironie und Brechungen

Nils Wogram ist einer der viel beachteten Jazz-​Posaunisten der jüngeren Generation. Der Enddreißiger und seine zwei Mitstreiter bilden das „Nostalgia trio“, das am Samstag, 24. April, beim Landes-​Jazzfestival im Gmünder Prediger auftritt. Man kann sich auf einen Sound einrichten, in dem Blues und Filmmusik eine innige und einzigartige Verbindung eingehen: Jazz aus dem Geist der Hammond-​Orgel.

Dienstag, 13. April 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

JAZZ (rz). Die Idee für das Nostalgia Trio schlummerte in Nils Wogram schon seit vielen Jahren. Entbrannt ist seine Liebe zum Trio mit Hammond-​Orgel in New York auf zahlreichen Sessions in Harlem. Nostalgia Trio möchte diese mitreißende und schwelgerische Stimmung transportieren. Für die Originalität sorgen die Kompositionen mit der Handschrift Nils Wograms und deren eigenwillige Interpretation. Die Triomitglieder sind tief in der Jazztradition verwurzelt. Sie haben sich als Bandleader einen Namen gemacht und einen unverwechselbaren eigenen Klang auf ihren Instrumenten entwickelt. Zu erwarten ist ein mitreißendes Konzert, das den Zuhörern bluesige, sehnsüchtige und skurril-​witzige Momente beschert.
Nils Wogram ist ein Musiker, der auf Kontinuität setzt. Mit seiner Band Root 70 hat er eine der erfolgreichsten Jazz-​Formationen Deutschlands aufgebaut. Im zeitgenössischen Jazz selten genug, vermag er Akzente zu setzen, ohne sich eine Programmatik überstülpen zu müssen. Mittlerweile lebt Wogram selbst in Zürich und der Rest von Root 70 ist über ganz Europa und Amerika verstreut. Als er 2004 das erste Album von Nostalgia aufnahm, klang das noch wie ein zaghafter Kontrapunkt zu Root 70. Mittlerweile ist auch Nostalgia zum festen Ensemble geworden.
Mit dem Kölner Pianisten und Organisten Florian Ross hat Wogram nicht nur einen der versiertesten Tastendrücker Deutschlands in seinem Trio, sondern auch einen regelrechten Klangarchitekten, der bei jedem Ton, den er spielt, stets die gesamte Form, mag sie auch noch so komplex sein, in Auge und Ohr hat. Ross ist ein Musiker mit der Abstraktionskraft eines ganzen Orchesters. Er kann meilenweit aus einem Bandkontext ausscheren und wird doch immer darauf achten, dass das Fundament erhalten bleibt. Erhalten bleibt das warme An– und Abschwellen der Hammond-​Orgel, in Musikerkreisen auch „Schweineorgel“ genannt, doch hier hört man sie von einer anderen Seite.
Der Nürnberger Schlagzeuger Dejan Terzic ist liefert den Kraftstoff, der Posaunist und Organist antreibt. Es mag an seinen Balkan-​Roots liegen, dass er oft den Eindruck erweckt, er würde aus mehreren synchronen Grooves eine Art Meta-​Rhythmik destillieren. Terzics Timing ist atemberaubend, sein Spiel ebenso unaufwendig wie komplex.
Mit „Daddy’s Bones“, dem ersten Album von Nostalgia, wollte Wogram einen unprogrammatischen Bogen vom Jazz der fünfziger Jahre bis in die Gegenwart schlagen. Wer bis jetzt auch nur einen einzigen Ton des Posaunisten gehört hat, weiß, dass es ihm dabei um nichts weniger geht, als eine neue Retro-​Debatte zu entfachen. Aber die Tradition ist ein Teil unserer Erfahrung, und ohne Gepäck kann man nicht auf Reisen gehen. „Daddy’s Bones“ war ein unsentimentales Bekenntnis zu tatsächlich und scheinbar Gehörtem. Ein nachdenkliches Klangabenteuer, das es in dieser Form noch nie gegeben hat — allein die Besetzung von Posaune, Orgel und Schlagzeug dürfte bis dato in der Jazzgeschichte einmalig sein — die es aber durchaus hätte geben können.
Nils Wogram vereint in seiner künstlerischen Persönlichkeit den unbeschwerten Jazz-​Visionär und den verklärten Romantiker. Mit Nostalgia kann er diese beiden Seiten seiner Persönlichkeit überzeugend in Einklang bringen. Dabei geht ihm jede Wehmut ab. Wenn Wogram sich auf Nostalgie beruft, fehlt im jenes Sentimentale, das die Grenze zum Kitsch überschreiten würde. Sein Begriff Nostalgie hat eben nichts von jener angestaubten Plüschigkeit, die man gerade dem deutschen Jazz nur allzu oft nachsagt.
Nostalgia überwindet die Grenzen zwischen dem 20. und dem 21. Jahrhundert ebenso leicht und heiter wie zwischen Europa und Amerika. Nostalgie — das ist bei Wogram, Ross und Terzic auch ein feiner Sinn für Ironie und Brechungen. Es ist wie bei einer Fahrt auf der Autobahn, auf der man seinem Ziel entgegen eilt und doch nie den Rückspiegel aus dem Auge verliert. Es ist weder Aufbruch noch Ankunft, sondern eben genau das Stück dazwischen.
„Affinity“ swingt wie die Hölle. Doch sind Wogram, Ross und Terzic Lichtjahre davon entfernt, in die Nähe des Swing Revivals eines Roger Cicero zu rücken. Swing bedeutet für das nostalgische Trio, die Erinnerung nach ihrem Gusto zu interpretieren. Die Improvisationen der drei Musiker gehen weit über die Limits des landläufigen Solos hinaus. Hier finden Verschränkungen, Kollektivabstraktionen und Extrapolationen auf allerhöchstem Niveau statt. So unterhaltsam die neun Stücke auch sind, so sehr die Patina der gemeinsamen Erinnerung Erinnerung sich auch mit den Projektionen jedes einzelnen Hörers vermischt, so tollkühn und rücksichtslos brechen die drei fröhlichen Nostalgiker auch mit jeder Erwartung. Die Musik steckt voller unerwarteter Details und Pointen, die oft den Gang des Ganzen jäh in eine andere Richtung lenken können.

Samstag, 24. April, 19.30 Uhr im Prediger, großer Saal: „Nostalgia trio“. Einlass ab 18.30 Uhr. Vorverkauf: i-​Punkt im Spital, Kartenvorbestellung www​.jazz​-mis​sion​.de. Ein Konzert im Rahmen des Landes-​Jazzfestivals in Schwäbisch Gmünd, veranstaltet von der Jazz-​Mission Schwäbisch Gmünd in Zusammenarbeit mit dem Landesjazzverband Baden-​Württemberg und dem Kulturbüro der Stadt Schwäbisch Gmünd.

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