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Angehörige in Frickenhofen erfuhren jetzt, wo die sterblichen Überreste ihres Onkels gefunden und beigesetzt wurden

Seit Weihnachten 1944 galt Friedrich Kunz aus Frickenhofen als vermisst. Letzte Woche wurden die nächsten Angehörigen informiert, dass seine sterblichen Überreste in Saldus/​Lettland auf dem dortigen Soldatenfriedhof beigesetzt wurden.

Mittwoch, 19. Mai 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

GSCHWEND-​FRICKENHOFEN (rz). Die Neffen und Nichten von Friedrich Kunz leben in Frickenhofen, Gschwend, Gaildorf und Konz bei Trier. Die Familie hatte 1976 einen Suchantrag beim Deutschen Roten Kreuz gestellt. „Letzten Endes war das Ergebnis, dass er gefallen ist“, sagt Friedhelm Schüle, ein Neffe von Friedrich Kunz. Über die Umstände, oder ob er nicht doch in russische Kriegsgefangenschaft geraten war, wusste man nichts. In den 70er Jahren wurde Friedrich Kunz für tot erklärt, sein Name ist am Kriegerdenkmal an der Frickenhofener Kirche unter „vermisst“ nachgetragen. Friedhelm Schüle aus Konz und seine Schwester Marianne Schüle, die in Frickenhofen wohnende Nichte von Friedrich Kunz, erhielten jetzt vom Bund Deutscher Kriegsgräberfürsorge ein Schreiben: Das Schicksal des Bruders ihrer Mutter ist aufgeklärt. Friedrich Kunz hatte den elterlichen Hof in Frickenhofen übernommen und 1939, kurz vor Kriegsbeginn, geheiratet. Er wurde eingezogen und war Angehöriger des Grenadierregiments 380 der 215. Infanteriedivision. Die Geschichte dieser Einheit ist bekannt, Friedhelm Schüle konnte sie nachvollziehen — über das Einzelschicksal seines Onkels erfuhr er gleichwohl nichts.
Eine zu einem kleinen Kelch umgearbeitete Patronenhülse
Die Division bestand vor allem aus Württembergern und Badenern und wurde am 26. August 1939 an den Standorten Heilbronn, Ludwigsburg und Pforzheim aufgestellt. Zu Beginn des Krieges wurde die Division im Westen gegen Frankreich eingesetzt, wo sie im Juni 1940 im Raum Bitche-​Hagenau die Maginotlinie durchbrach. Anschließend wurde sie im Raum Belfort, Nevers und Besancon als Besatzungstruppe eingesetzt. Im November 1941 erfolgte die Verlegung nach Osten in den Raum Tschudow wo sie in wechselvolle Kämpfe verwickelt wurde. 1942 verteidigte die Division zunächst das Westufer des Wolchow. Von August 1942 bis Dezember 1943 war die Division Teil des Belagerungsringes um Leningrad.
In dieser Zeit hatte der später Verschollene eine zu einem kleinen Kelch umgeformte Patronenhülse mit dem Divisionsabzeichen der 215. Infanteriedivision und der Gravur „Vor Leningrad 1943“ nach Hause geschickt. Es sollte eines der wenigen Zeugnisse bleiben.
Ab Januar 1944 erfolgte der Rückzug unter schwersten Verlusten mit den Einsätzen in den Räumen Luga, Pleskau, Ostrow, Dünaburg, Livland und Bauske. Nach dem Durchbruch der Roten Armee im Herbst 1944 an die Ostsee saß die Heeresgruppe Nord und somit auch die ihr unterstellte 16. Armee mit der 215. Infanteriedivision in der Falle. Sie konnten nur noch über die Ostsee durch die Kriegs– und Handelsmarine versorgt werden. Es begann am 24. Oktober 1944 die erste von vier Kurlandschlachten, an denen u.a. die 215. Infanteriedivision maßgeblich beteiligt war. Die 215. Infanteriedivision hatte während der „2. Kurlandschlacht“ in harten Gefechten um Autz große Verluste erlitten und nach ihrer Ergänzung Anfang Dezember 1944 neue Stellungen südlich von Frauenburg, dem heutigen Saldus bezogen.
Am Morgen des 20. Dezember 1944 setzte an dem Frontabschnitt der 215. Infanteriedivision sowie ihrer beiden benachbarten Divisionen starkes sowjetisches Artillerie– und Granatwerferfeuer ein, das drei Stunden lang andauerte und einen großen Teil der deutschen Bunker und Schützengräben zerstörte. Schlachtflieger bombardierten die Gefechtsstände, die Artilleriestellungen und Nachschubstraßen; sowjetische Ferngeschütze schossen bis in die Nacht hinein nach Frauenburg. Das war der Beginn der 3. Kurlandschlacht, deren Hauptstoß am nächsten Tag die 215. Infanteriedivision traf. Sowjetische Panzer drangen bis weit hinter die Stellungen des Grenadierregiments 390 bei Sudmali vor. In harten Kämpfen wurde der größte Teil des Regiments eingeschlossen und aufgerieben. Gleichzeitig hatten starke sowjetische Infanterieeinheiten das Grenadierregiment 435 bei Klintaisi sowie das Grenadierregiment 380, zu dem Friedrich Kunz gehörte, bei Zebergi in Richtung Frauenburg abgedrängt. In kniehohem Eiswasser, ständig gegen weit überlegene sowjetische Truppen kämpfend, gelang es den deutschen Einheiten, den Durchbruch des Gegners nach Frauenburg einstweilen zu verhindern. Die Schlacht dauerte noch bis 24. Dezember 1944. Innerhalb von vier Tagen hatte die Division den Verlust von mehr als 600 Gefallenen, Vermissten und Verwundeten hinnehmen müssen. Unter den Vermissten befand sich auch Friedrich Kunz.
Für die Eltern, seine Frau Sofie Kunz sowie seine Schwester Sofie Schüle mit Familie begann ein jahrelanges Hoffen und Warten. Täglich wurde Onkel Frieder in die Gebete mit einbezogen, aber der Wunsch einer Rückkehr wurde nicht erfüllt. Das Schicksal von Friedrich Kunz wäre wohl nie ohne den politischen Wandel nach 1990 aufgeklärt worden. Seither darf der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge auch im Baltikum Soldatenfriedhöfe anlegen.
Die Erkennungsmarke lag in einem ehemaligen Schützengraben
Die sterblichen Überreste des Vermissten mit der Erkennungsmarke –1– Batterie leichte Artillerie-​Ersatz-​Abteilung 215 wurden in einem ehemaligen Schützengraben bei Berzkausi, Bez. Saldus, früher Frauenburg/​Kurland aufgefunden und auf dem Soldatenfriedhof Saldus zur letzten Ruhe gebettet. Dass es sich bei dem Toten um Friedrich Kunz handelt, der am 9. August 1909 in Frickenhofen geboren wurde, konnte zweifelsfrei anhand des bei der „Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht“ in Berlin vorliegenden Schriftgutes der ehemaligen Wehrmacht nachgewiesen werden.
Friedrich Kunz war Organist und begeisterter Kirchenmusiker in Frickenhofen. Auch zwei seiner Neffen und eine Nichte sind diesbezüglich in seine Fußstapfen getreten. Marianne Schüle, geboren 1942, sagt, dass sie ihren Onkel „noch ganz leicht in Erinnerung“ habe. Sie habe nicht erwartet, dass sie von seinem Schicksal noch etwas erfahre. Friedhelm Schüle will den Soldatenfriedhof in Saldus besuchen.
Ein Nachtrag: Die 215. Infanteriedivision wurde im März 1945 auf dem Seewege nach Westpreußen verlegt, wo sie in Abwehrkämpfen in der Tucheler Heide und im Raum Gdingen aufgerieben wurde. Der Rest der Division kapitulierte am 8. Mai 1945 auf der Halbinsel Hela und trat den Marsch in die sowjetische Kriegsgefangenschaft an. Wie Überlebende der Division bestätigten, hat die vor Hela liegende sowjetische Truppe sich sehr korrekt gegenüber dem geschlagenen Gegner verhalten. Nach 1945 kehrten erstaunlich viele Angehörige der Division zurück, viele starben aber auch in der Gefangenschaft. Insgesamt hatte die Division über 8000 Gefallene und 3000 Vermisste zu beklagen.

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