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An Edelgard Wellers Gedecken könnte halb Eschach Kaffee trinken /​Kleines Museum in Waldmannshofen

846 „Sammeltassen“ hat Edelgard Weller zusammengetragen – dreiteilige Sets aus den meisten deutschen Manufakturen, in allen Farben leuchtend, wie’s nur das „weiße Gold“ möglich macht. Die Freude, die sie daran hat, ist mit Geld nicht zu bezahlen.

Samstag, 19. Februar 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

ESCHACH (bt). Schön. Richtig schön: Auf den ersten Blick sieht sie die Sammeltasse, die wie gemacht ist für ihre Sammlung. Was sie denn geben wolle, wird Edelgard Weller von den beiden Männern gefragt, die an ihrem Flohmarktstand die Ergebnisse einiger Haushaltsauflösungen verkaufen. „Nicht viel“, erklärt die mittlerweile 69-​Jährige, die in den vergangenen Jahren gelernt hat, hart zu verhandeln, „einen Euro?“ Eigentlich müssten die Verkäufer jetzt herzlich lachen, und dann käme man richtig ins Gespräch. Statt dessen wird ihr Tasse, Unterteller und Teller eingewickelt: „Immer noch zuviel für Poltergeschirr“. Die Jungs hatten wirklich keine Ahnung. Es geht nicht ums Geld, es geht darum, dass sie sich jetzt an Dingen freuen kann, die früher den Reichen vorbehalten waren – und von denen sie einst kaum zu träumen wagte. Solche kleinen Sternstunden lassen sie lächeln, richtig strahlen vor Freude. Über eine Frühlingswiese, die auf Tasse und Teller blüht, über Rosen in allen Varianten, über mit Gold und Silber verzierte Arbeiten. „Der Anfang gab’s der Erde, die Erde den Händen, die Hände dem Feuer, das Feuer dem Licht zum Spiele: Hart, doch zart, undurchsichtig, doch klar. Das ist vollendet“, heißt es in einer Liebeserklärung ans Porzellan.
Als kleines Mädchen in der vom Krieg gezeichneten Stadt hat sie in Schutthügeln nach zertrümmertem Geschirr gesucht. Spielzeug gab’s nicht, aber nicht deshalb war ihr diese Schatzsuche so wichtig: Schon damals konnte sie sich gar nicht satt sehen an den mit kleinsten Blüten überzogenen Scherben, deren Farben keinen größeren Gegensatz zur tristen Umgebung hätten bilden können. Später dann hat sie inmitten eines Buchen-​Wurzelgeflechts kleine Puppenstuben gebastelt, die sie mit dem Porzellan-​Bruch eingefasst, zum Teil auch eingerichtet hat.
Die Jahrzehnte, die dann kamen, waren harter Arbeit vorbehalten, und der Familie. Ihr Goldrand-​Service hatte keine besondere Bedeutung. Aber dann 1999, als sie Schloss Linderhof und die Vasen– und Porzellansammlung König Ludwigs besichtigte, war sie auf einmal wieder da, diese alte Liebe. Zwei Sammeltassen hatte sie bereits, darunter ein wunderschönes Set mit Rosenmotiv, das ihr der Großonkel zur Konfirmation geschenkt hatte; diese zwei bildeten den Grundstock ihrer Sammlung. In den ersten Jahren kam sie auch mal mit 18 gut verpackten Gedecken vom Flohmarkt heim, die sie dann kaum tragen konnte. Wie hat sie sich geärgert, als ihr einmal eine Tasche voller Porzellan aus den Händen geglitten ist. Oder als sie daheim feststellte, dass die Händlerin vergessen hatte, die Tasse einzupacken.
Tief berührt ist sie, wenn ihr Wildfremde Exponate bringen, damit diese eben nicht irgendwann auf irgendwelchen Flohmärkten verhökert werden. Die Frau etwa, die ihre Sammeltassen ein Leben lang in Ehren gehalten und mit größtem Aufwand aus der DDR in Sicherheit gebracht hatte, nur um jetzt festzustellen, dass niemand in ihrer Familie Interesse hat daran. Und die Erinnerung an eine vielvermisste Großmutter ist ebenso wichtig, wie ein besonders schönes Stück aus dem Gmünder Fabrikantenhaushalt.
Heute kennt sie all die Tricks und Kniffe – geht zum Beispiel so früh wie möglich auf Flohmärkte, bevor sich die Profi-​Händler bei den „Privaten“ eindecken. Es kam schon vor, dass sie ein und dieselbe Tasse auf dem selben Flohmarkt für 3 und für 30 Euro angeboten sah. Das war freilich nichts für sie: Die hatte sie schon. So erstaunlich es ist: Mal abgesehen von den weniger geschätzten 60er-​Jahre-​Winterlingen – das sind die mit den hohen „Füßchen“ – kennt Edelgard Weller jedes einzelne Stück ihrer Sammlung. Und sie irrt nie. Neuerwerbungen werden zunächst in der Küche aufbewahrt, wo sie immer und immer wieder in Augenschein genommen und bewundert werden, solange bis ihr jedes Detail vertraut ist. Wie sonst wüsste sie, was in der Kollektion 1929 bis 1931 fehlt, die Arbeiten unterschiedlichster Hersteller in den selben, damals hochmodernen Orangetönen und zum Verwechseln ähnlichen Mustern zeigt.
Heute kommt’s immer wieder vor, dass sie ohne Beute heimkommt vom Flohmarkt; was nicht ausnehmend schön ist, muss sie nicht haben. Entscheidet sie sich zum Kauf, versucht sie zunächst Hersteller und Produktionsjahr zu ermitteln und auf einem kleinen Aufkleber an der Unterseite des Untertellers zu notieren. Rosenthal, Waldershof, Hutschenreuther Hohenberg, Sophienthal (heute Thomasporzellan), Tielsch Altwasser, Blankenheim, Wallersdorf und wie sie alle heißen haben ihre Stempel immer wieder variiert. Das lässt sich am Beispiel Meißen sehr schön sehen: Die sächsischen Kurschwerter als Markenzeichen wurden nicht nur immer wieder neu stilisiert, es gibt sie in Unterglasurblau, Aufglasur, mit dickem und dünnem Pinsel aufgetragen, mit viel und weniger Farbe, scharf umrissen oder fast bis zur Unkenntlichkeit zerlaufen – ohne ihr Bestimmungsbuch hätte Edelgard Weller nicht den Hauch einer Chance, herauszufinden, wann ihre Schätze entstanden sind.
Die schönsten Stücke, mit denen sie auch Gäste bewirtet, bewahrt sie im Wohnzimmer auf; früher hat sie an runden Geburtstagen auch schon mal ganz in Blau eingedeckt, ganz in Bordeauxrot, oder in einer der vielen Pastellfarben, die sie so liebt – aber der Aufwand, so viel Porzellan aus der umgebauten Museumsscheuer ins Wohnhaus zu transportieren, ohne es zu zerschlagen, ist beträchtlich. Heute bleibt alles, wo es ist, und regelmäßig empfängt sie Gruppen, die sich ebenfalls nicht satt sehen können an dieser Sammlung – Busgesellschaften tun gut daran, ebenso wie Langholztransporte oder Milchwagen die Erlaubnis der Gemeinde Eschach einzuholen, das Sträßle nach Waldmannshofen nutzen zu dürfen.

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