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„Bolero Berlin“ beim Gschwender Musikwinter: Vorzügliche Grenzgänger zwischen Klassik, Jazz und südamerikanischem Tanz

Mit „Bolero Berlin“ gastierte im Musikwinter Gschwend eine Formation, die man als Grenzgänger zwischen Klassik, Jazz und südamerikanischem Tanz bezeichnen darf.

Dienstag, 22. Februar 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 29 Sekunden Lesedauer

KONZERT (-ry). Crossover der besonderen Art: stilistisch vielfältig, kammermusikalischer Interpretation verpflichtet, Sound, Improvisation und Emotionen durchaus rational kalkuliert. Dazu passend eine kokettierende Conférence, die schlagfertig, schlitzohrig, rhetorisch (scheinbar) mühsam (mit vielen „Ahm“-Füllseln), aber stets aktuell das Publikum gefangen nahm, das seinerseits förmlich an den Lippen des spiritus rector hing: Martin Stegner, Bratscher bei den Berliner Philharmonikern, dessen Faszination ausdrucksansteckend Publikum und Kollegen gleichermaßen inspirierte: Prof. Esko Laine (Kontrabass), Manfred Preis (Bassklarinette, Klarinette, Sopran– und Altsaxophon) und Raphael Haegner (bei den Berlinern Schlagzeuger, hier in seiner zweiten Leidenschaft als Pianist). Komplettiert wurde „Bolero Berlin“ durch den argentinischen Percussionisten Daniel „Topo“ Goia und den begnadeten Gitarristen Helmut Nieberle.
Der erste Wermutstropfen: Erst nachdem der Pianist medikamentös versorgt war, konnte das Konzert beginnen. Leider hielt er nicht lange durch, sodass ein „Notprogramm“ (Stegner) gespielt würde. Das mochte glauben, wer wollte, so hervorragend spielten sich die (restlichen) Künstler die Bälle zu. Musikalischer Kronzeuge war der facettenreiche Astor Piazzolla; man konnte meinen, der Abend sei eine Hommage an ihn, zumal auch andere Beiträge seinem Esprit verpflichtet schienen. Die Ensembles gerieten genauso hochkarätig wie die Soli, mit (Zwischen-)Beifall reich belohnt. Wann hörte man je in solchem Kontext echte zwei Bratschen– und ein Kontrabasssolo, arco und pizzikato — mit sinnlicher Hingabe! Die „technische“ Perfektion setzt man bei solchen Künstlern voraus, aber das Ausfüllen der (gedruckten oder gedachten) Noten hatte ganz eigenen Charme. Jeder des Sextetts hatte ausreichend Gelegenheit, das Publikum hinreißend zu beglücken. Der Percussionist machte ob seinem sensiblen Spiel staunen: höchstens Besen, ansonsten mit den Händen ergab sich eine riesige Palette an Möglichkeiten — einfach authentisch.
Zweiter Wermutstropfen: die unausgewogene Abmischung des Mischpults. Anfangs stand der kammermusikalische Ansatz quer zur fast mulmigen Fülle des Hörergebnisses. Oft war die Gitarre einfach zu dominierend, wodurch wichtige Details anderer Musiker zu Unrecht in den Hintergrund traten. In den Soli war dann alles perfekt und erlaubte so ganz sublime Wahrnehmung.
Tongebung, Rhythmik und Instrumentierung fesselten den ganzen Abend über. Das Konzept ging auf. Und was ein „klassischer“ Solo-​Bassklarinettist so alles an Farben und Virtuosität bot, ergänzte einfach kongenial. Sagenhafte Bearbeitungen oder Kompositionen der Künstler mussten begeistern, und so war der Abend viel zu schnell vorüber. Dann zwei Zugaben, wie absichtlich dafür aufgehoben, die letzte mit einer Ukulele, weit mehr als ein Gag. Die (musikalische) Aktualität des durch die Medien prasselnden Plagiats kam ebenso zur Sprache wie die geografische Zerstreuung der „Berliner“.
Das Publikum kam vollends auf seine Kosten, und bei der Übergabe der gelben Rosen an die Künstler legte die Überbringerin symbolträchtig eine auf den verwaisten Flügel.
Soweit konnte man im Glück sein.
Dritter Wermutstropfen: Was bei „Elbtonal“ am 6. Februar der Vorjahres begann, setzte sich heuer penetranter fort: Hat das Gotteshaus keine Würde mehr, der man gebotenen Respekt zollt? Männer legen erst in letzter Sekunde den Hut ab, die permanente Lautstärke der Unterhaltung und die Benutzung des Handys konterkariert den Ort des Gebets und der Stille. Man kommt essend, trinkend in keinen Konzertsaal hinein — in die Gschwender Kirche aber mit Butterbrezeln und Cola. „Kultur“ dagegen kommt von „colere“, pflegen, verehren!
In der Rezension von „Elbtonal“ hatte der Schreiber angemahnt: „Und damit war die Zwiespältigkeit des Abends vollends offenbar: „Musikwinter und Kirchengemeinde müssen aufpassen, dass der ‘erspielte’ Ruf nun nicht ‘verspielt’ wird. Gilt es weder Pietät noch Ehrfurcht zu pflegen? Verkommt das Haus des Gebets vollends zu einer Markthalle?“ Tröstlich: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht gelingt es ja, die Freude des Konzertgenusses zu versöhnen mit der nötigen Achtung des sakralen Raums.

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