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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Am Freitag Abend im Stadtgarten: Premiere des „Scharlachroten Siegels“ /​Das Kolping Musiktheater war noch nie so gut

Noch sechsmal gibt es die Gelegenheit „The Scarlet Pimpernel“ im Stadtgarten zu sehen. Eine großartige Inszenierung, unbedingt sehenswert.

Samstag, 26. Februar 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer


SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Vom scharlachroten Siegel wird seit hundert Jahren immer wieder erzählt. Es gibt Muster, die immer spannend sind, die von alters her mitfiebern lassen, mitlachen, mitweinen. Die jüngste Kolping-​Produktion ist ein Abenteuer, wie es im Buche steht. Nicht nur tollkühne Taten, auch das „Herrgott, du Dummer, sie hat deinen Freund nicht umbringen lassen“-Motiv hält die Spannung bis fast zum Schluss. Und dann wird’s richtig aufregend.
Oder sind es nicht doch die Liebeslieder, die das Stück zum Erlebnis machen? Dieses Musical muss Vergleiche mit „Elisabeth“ oder „Wicked“ nicht scheuen. Ganz bestimmt nicht. Gut, niemand schwebt durch den Saal, nichts explodiert. Aber Joe Marra gibt in ein und demselben Kostüm – unter anderem Dank der vom Winde geblähten Bluse – einen glaubhaften Schiffsbug und die streitbare, mehr oder weniger barbusige Marianne, der die Soldaten nachjagen. Wie alles in dieser Produktion sind Reiner Schmids Bühnenbilder nicht nur von Ehrenamtlichen gestaltet, in Arbeitsstunden, die jede Profi-​Produktion an ihre Grenzen brächte, sondern ein ganz bemerkenswertes Zeugnis von Fantasie und Kreativität.
Vieles ist anders dieses Mal. Zum einen die Besetzung. Ernst Kittel als Robespierre ist nicht witzig. Der Grandseigneur des Gmünder Theaters knarrt nur in dem ihm ureigenen Tonfall, wenn er den Zyniker gibt, und selbst dann noch ist er furchterregend. Für ihn wird es übrigens ebenfalls: Die Revolution frisst nicht nur ihre Kinder, auch ihre Väter.
Thomas Sachsenmaier, bekannt unter anderem als Sir Mole, der Maulwurf, ist mitnichten albern überdreht. Er ist der Prinz von Wales, der mehr ahnt, als gut für ihn ist, der sein Land schützen will und kurzfristig sogar ins Lager der Gecken überwechselt – oder lässt er sich wirklich übertölpeln? Auch Michael Schaumann, Regisseur und Hauptdarsteller, hat sich vom Sonnenschein-​Image verabschiedet. Er ist als Chauvelin böse, richtig böse; Anklänge an ganz große Schurken sind weder zufällig noch unbeabsichtigt. Wie er mit Günter Helle und Hartmut Weller umgeht, ist unter aller Kritik – und das sind seine Spießgesellen. Wehe seinen Feinden. Und doch gelingt es ihm, auch den zutiefst verletzten Verlassenen zu mimen: Liebt er die Heldin wirklich so sehr, oder hasst er es nur, sie verloren zu haben? Nicht zuletzt stemmt er sehr souverän Lieder, die ihm wirklich alles abverlangen. Chapeau, Chauvelin.
Dann die Musik. Keine Gershwin– oder Cole-​Porter-​Titel dieses Mal, sondern moderne Musicalmusik – von großen Gefühlen getragene Pop-​Balladen und Gänsehaut machende Ensembleszenen; die musikalische Leiterin Tanja Goldstein, die das alles mit der Mick-​Baumeister Big Band ganz, ganz großartig umsetzt, sagt, dass alle Musiker in dieser Produktion ununterbrochen gefordert sind. Fällt nur nicht immer auf: Wie Filmmusik schaffen und verstärken Töne im Hintergrund Emotionen, ja, sie leiten das Publikum durch die Liebeswirren und das Chaos der Französischen Revolution. Vera Braun und Miriam Lapini wiederum lassen nicht die Puppen, wohl aber die Pariserinnen tanzen, die englischen Dandies, eigentlich alles, was auf der Bühne steht. Auch dafür ein Riesen-​Lob.
Es ist das Jahr 1793. Marguerite St. Just (Asita Djavadi) schlägt ihr Märchenbuch zu. Jetzt lebt sie nämlich ihr eigenes Märchen. Sie ist verliebt bis über beide Ohren. Und sie will weg aus diesem Land, das jedes Maß und Ziel aus den Augen verliert. Sie selbst war damals dabei, als die Bastille gestürmt wurde, als die um ihre hungernden Kinder bangenden Frauen alles wagten für ein bisschen Brot, für ein besseres Leben. Aber jetzt: Diese Megären, die „Madame Guillotine“ einen schaurigen Tanz widmen, die nach dem Blut Unschuldiger dürsten – das ist nicht mehr ihre Welt. Mit dem englischen Adligen Sir Percy (Mischa Mang) bricht sie auf in die Zukunft. In der Hochzeitsnacht jedoch hat der Mann allen Grund, an ihr zu zweifeln: Sie ist die Verräterin, die seinen Freund und dessen Familie in den Tod geschickt hat. Oder etwa nicht?
In nur einem Lied wird der unterm Herzschmerz schier zusammenbrechende Liebende zum Kämpfer. „Ich wanke, doch ich stehe noch“, singt er. Und später:„Wo andre verzagen, muss einer was wagen und aufstehn“. Er rekrutiert seine besten Freunde – Bernhard Stütz, Thorsten Hammer, Joe Marra, Michl Pick, Joachim Reißmüller sowie Alexander und Michael Bofinger – und zieht los, mit ihnen gegen das Unrecht zu kämpfen. Wohl die stärkste Szene überhaupt. Sie reiten und streiten mit all ihrer Kraft. Berge stehn im Weg: Reißt sie ein, räumt sie weg. Und mit stolzen Segeln segelt das Marra-​Schiff wohl über das wilde Meer. Na ja, es ist der Ärmelkanal, aber mehr Pathos geht nicht: „Mitten ins Feuer“ geht’s. Fortan rettet der Geheimbund, dessen Erkennungszeichen das scharlachrote Siegel ist, mit immer neuen Tricks Menschen, die ein Treffen mit Madame Guillotine haben. Und das sind längst nicht mehr nur die Adligen. Miriam Lapini ist als die Künstlerin Marie Tussaud und Marguerites beste Freundin so eine Todeskandidatin – mit dieser Rolle macht sie sich endgültig einen Namen.
Aber es soll ja kein englisch-​französischer Krieg werden. Also geben die Helden („warum muss ich lila Chiffon tragen?“) eine Gruppe unerträglich blasierter Snobs, deren Sorgen allein dem nicht richtig gefältelten Kragen gelten. Manschetten mit Pailletten sind angesagt — niemand soll auf die Idee kommen, dass sie die Verschwörer sind. Nach Frankreich fahren, so oft? Mein Gott, da gibt’s nun mal die besten Stoffe.
Unterdessen fällt Marguerite immer mehr in sich zusammen. Ihr Mann, der Mann ihres Lebens, ist nicht mehr da. Wenn sie den Fremden ansieht, den sie geheiratet hat und der sie offenkundig hasst, erinnert höchstens ein kleines Lächeln an ihren Mann. Und die Erinnerung „tut viel zu weh“. Es wäre wohl richtig tragisch geworden, wenn nicht Marguerites Bruder (Simon Ihlenfeldt, von dem sicherlich noch zu hören sein wird) ebenfalls im französischen Kerker auf den Tod warten würde. Geschlagen und zu Tode erschöpft auf Hilfe hoffend. Gut, das hört sich nicht wirklich erbaulich an. Aber es wird gut. Ehrlich.
Aus dem Tanz der Damast-​Tüchlein wird ein Tanz auf Leben und Tod. Die Männer, die im Scherz mit dem Schmetterlingsnetz gefochten haben, stürzen sich degenschwingend auf ihre Gegner. Marguerite zeigt sich als die Kämpferin, die sie nun mal ist. Und Madame Guillotine wartet. Gute Geschichte. Unbedingt sehenswerte Produktion.
Ach ja: Abgesehen von der Leistung, die der Kolping-​Chor in dieser bis an die Grenzen gehenden Produktion bringt: Welche Frau träumt nicht davon, einmal ein solches Kostüm zu tragen?

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