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LTT mit „Benefiz“: Habt Erbarmen mit den Armen

Eine Generalprobe als Theateraufführung und als Inhalt nicht das Abendprogramm sondern die Akteure – eine gewagte Komposition, die sich Ingrid Lausund einfallen ließ, die aber beim Publikum bestens ankam.

Montag, 05. März 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 45 Sekunden Lesedauer

THEATER (wil). Denn wie soll man politisch korrekt und unter Einbeziehung aller moralischer Überlegungen jemandem helfen, ohne als aufdringlich oder gleichgültig zu erscheinen? Das Landestheater Tübingen gastierte am Freitag mit dem Stück „Benefiz“ im Stadtgarten, warb für ein real existierendes Entwicklungsprojekt und karikierte die Bemühungen so mancher Gutmenschen.
Denn es ist schon ein sonderbares Häuflein Aufrechter, das sich zusammengefunden hat, um einen Benefiz-​Abend für eine Schule in Guinea-​Bissau vorzubereiten. Und so kommen die Akteure locker durch den Saal zur Bühne, suchen einen Schirmherrn, wobei allerlei örtliche Größen vom OB bis zu Scherrenbacher vorgeschlagen werden und verlegen somit das Geschehen mitten unter uns. Der Abend verspricht, heiter zu werden.
Recht schnell outen sich die fünf Darsteller als Charaktere, wie man sie überall antrifft. Da ist Eva (Ina Fritsche), der personifizierte Gutmensch, kritiklos und dauerbetroffen, immer um Korrektheit bemüht und völlig widerstandslos. Sie kann alles und wenn ihre Fähigkeiten nicht reichen, passt sie eben die Realität ihrem bescheidenen Können an.
Daneben steht Nadia Migdal als Christine, der die ganze Aktion wurscht ist, die hier eine Plattform wittert, sich in Szene zu setzen und ständig an ihrer Karriere bastelt. Sie bestimmt, an welcher Stelle des erschütternden Lebensberichts sie spontan in Tränen ausbrechen wird und wird fuchsteufelswild, als Eva dann mitweint und ihr die Show stiehlt.
Rainer, um die Vierzig, ist der erfolgreiche Businesstyp mit beginnender Midlifecrisis, noch immer auf der Sinn– und Frauensuche, mit schnellen Lösungen zur Hand, aber doch wieder zur kritischen Hinterfragung aufgelegt, unstrukturiert, Strahlemann voller Selbstzweifel und vom ganzen Spendenquatsch abgeschreckt. Sein Gegenpart ist Gotthard Sinn als Eckard, der Senior, Typ duldender Öko-​Pfarrer. Er blickt auf ein Leben zurück, in dem er nichts mehr braucht, ist überzeugt, von dem, was er tun will und kann sich doch nicht entscheiden, wo er mit dem Helfen anfangen soll. Also tut er das einzig Logische – er prüft, bedenkt, wartet ab. Und tut nichts.
Leo (David Liske) ist der Freak in der Runde, jung, technisch auf der Höhe und noch immer am Eingang des Freizeitparks Leben. Er will jetzt seinen Spaß in der Hilfsgruppe für Afrika haben, für sie hat er einen Song komponiert und getextet, für sie die Diashow zusammengestellt. Und wenn man seine Eingangsnummer streicht, so ist er nur kurz verstimmt. Was solls?
Zwei Stunden lang darf das Publikum bei der Probe des Abends dabei sein, darf die Typen allmählich kennen lernen und durchschauen, denn sie outen sich langsam. Erster Höhepunkt ist die Frage, ob Valeria, eine gute Freundin aller und offenbar Schwarzafrikanerin, mit einbezogen werden soll. Allein die Frage, wie Valeria bezeichnet werden darf, füllt eine Szene und während es Eva noch „ganz, ganz schlimm“ findet, dass sie als Schwarze für Afrikaner werben soll, dreht Rainer den Spieß um und wirft Eva vor, Valeria wegen ihrer Hautfarbe auszugrenzen. Treffend wird hier thematisiert, was als normal empfunden werden soll und wo manche schon ein Problem sehen. Schade, dass die Stehpulte in Form einer Holzgiraffe nie diskutiert werden! Dafür linkt Leo die ganze Gesellschaft, als sich sein afrikanisches Volkslied, bei dem er noch ausführlich an der richtigen Textbetonung arbeitet, als Abwandlung des Lieds vom Eiermann herausstellt. Das Leid der Kinder ist nicht zu zeigen, da der Diaprojektor streikt, doch die Probe wird eben mit dem weißen Bildschirm fortgesetzt, was zu allerlei Situationskomik führt. Und so führt Christine die Gruppe mit fester Hand durch den Abend, Eva donnert ihre Parolen fanatisch in den Saal, Rainer verheddert sich bei jedem Auftritt und Eckards Appell, der mit der Aufzählung unseres Überflusses beginnt, verkommt zur Publikumsbeschimpfung. Es ist Leo, der den Abend rettet. Er fordert nicht hundertprozentige Überzeugung, wie Eva oder Eckard, ihm genügen 51 Prozent. Denn das ist eine Mehrheit und wie oft tun wir etwas, von dem wir kaum überzeugt sind.
Aber wir tun es, und darauf kommt es an – auch beim Helfen.

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