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Christoph Sieber in Iggingen

„Alles ist nie genug“ heißt sein Programm und es klingt wie sein Motto. Von schwäbischen Tugenden bis You Tube spannt er seine Inhalte, vom Schuhplattler bis zum Hip Hop zeigt er seine Talente. Christoph Sieber beschloss in Iggingen die Kabarettreihe der Gmünder VHS mit einem vielseitigen und spritzigen Programm.

Donnerstag, 26. April 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 35 Sekunden Lesedauer

KABARETT (wil). Einige Plätze hätte es noch gegeben, am Freitagabend in der Gemeindehalle Iggingen, doch wer Christoph Siebers Ein-​Mann-​Feuerwerk verpasste ist selber schuld. Im Fernsehen ist er bei Spätschicht, dem Satire-​Gipfel und in TV Total, für die Kabarettreihe der Gmünder Volkshochschule kam er zwischen Erlangen und Würzburg eben mal schnell nach Iggingen. In seinem halben Anzug wirkt er etwas hölzern, doch er versteht es, den eigenen Einheizer zu machen, das Publikum gleich ins Thema zu führen und es zum Jahr des Scheiterns zu begrüßen.
Schon ist er bei Wulff, bei Guttenbergs Comeback und Schettino, dem mit typisch italienischer Abwiegelei ein Lackkratzer passierte. Da bietet sich die FDP an und schließlich die europäische Idee, die zur Bankenrettung verkommt.
Und plötzlich wird er vom Satiriker zum Sozialkritiker, findet es nicht mehr lustig, wenn wir die retten müssen, die durch ihre Spekulationen für Hungerkatastrophen verantwortlich sind. Dass ein Bäcker mit altem Brot feuert, weil dies denselben Heizwert wie Holz hat, klingt zwar komisch, macht aber betroffen. Doch Sieber ist Kabarettist, er will über das Absurde lachen lassen und so findet er immer rasch zurück. Endlich gibt es das unter Wasser taugliche i-​Pad, so dass man auch beim Schwimmen seine Mails checken oder Fotos von den Poolkacheln versenden kann.
In You Tube werden jede Minute für 24 Stunden Materialien eingestellt, um alles anzusehen, was an einem Tag Neues kommt, braucht es über vier Jahre – und da bleibt nicht einmal Zeit für den Therapeuten. Wie sehr uns die Automaten überfordern zeigt er am Kaffeeautomaten auf, und das moderne Auto ist so intelligent, dass es uns überhaupt nicht mehr mitnimmt. Dass die Selbstzahlerkasse bei Ikea kein Fortschritt bei der Kundenfreundlichkeit ist, hat wohl jeder schon bemerkt und wie sehr uns die moderne Kommunikationstechnik überrollt sieht man im Vergleich der Schüler mit den Lehrern. Aber wohin steuert unsere Gesellschaft, wenn die Ludolfs beim Tag der offenen Tür auf ihrem Schrottplatz siebzehntausend Besucher haben?
Beispiele gibt es genügend, die Christoph Sieber feinfühlig herausarbeitet, sauber recherchiert und belegt und dann mit der kabarettistischen Keule zuschlägt. Romeo und Julia wäre heute nicht mehr möglich, Romeo hätte die Capulets gegoogelt und längst mit Julia per SMS Schluss gemacht. In der Detailgenauigkeit liegt Siebers Stärke, denn auch der Wahnsinn hat Methode.
So vielseitig wie seine Programmpunkte ist auch sein darstellerisches Potential, das er vor allem zwischen den Nummern zeigt. Da hüpft er zum Schuhplattler, da zeigt er Breakdance mit Handstand, da wird er zum Hip Hopper. Sein Gedicht über den Lobbyisten trägt er zu einer Jonglage vor, den Originaltext über Isabell Werths Dressurnummer begleitet er pantomimisch in den Rollen als Pferd und Reiterin.
Das ist die Auflockerung, die dem Publikum diesen Abend so angenehm macht, wenn er die Turnstunde nicht nur beschreibt sondern vorführt. Hier braucht es auch einmal keine Worte für glucksende Heiterkeit. Und dann geht es wieder knüppeldick über die Billigflieger und die Gesundheitsreform, die uns mit sinkenden Grenzwerten krank rechnet. Dass der Arzt in seinem Budget gebunden ist, klingt bei Sieber so: „Lungenentzündung ist in diesem Quartal aus, aber Schuppenflechte gibt es noch“. Schließlich haben wir noch die Regierung mit der alternativlosen Frau Merkel und Ursula von der Leyen, die sich zum Aufwärmen in den Kühlschrank setzt. Aber was auch immer kommt, alles ist schon einmal da gewesen.
Wenn Xavier Naidoo heute singt „Dieser Weg wird kein leichter sein“ so hieß das früher „Das Wandern ist des Müllers Lust“. Und so leben wir weiter fröhlich zwischen McDrive und Essen auf Räder

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